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DVD/Blu-ray: SAVERIO MERCADANTE: DIDONE ABBANDONATA – live gefilmt bei den Innsbrucker Festwochen für Alte Musik im August 2018, NAXOS  

06.08.2019 | dvd

DVD/Blu-ray: SAVERIO MERCADANTE: DIDONE ABBANDONATA – live gefilmt bei den Innsbrucker Festwochen für Alte Musik im August 2018, NAXOS

 

Oper im Originalklang kennen und schätzen wir bisweilen. Teils in Erinnerung an spektakuläre Einzelereignisse wie Jordi Savalls Mozart Requiem oder aus Gewöhnungsgründen, weil die Opern-, Konzert- und Tonträgerbranchen hier natürlich neue und ausgiebige Betätigungsfelder gefunden haben. Es gibt viele Beispiele, wo neue und ansprechende neue Perspektiven auf altbekanntes Repertoire oder Aufführungen nach Entdeckungsfahrten in Archive bereichernd auf das neugierige Melomanenherz gewirkt haben.

 

Allerdings bedarf es dazu bester Instrumentalisten und auch Solisten, die – Originalklang oder nicht – in der Lage sind, ihre Partien technisch, vom Ausdruck her und womöglich mit ansprechenden Timbres gesegnet zur Wonne des Publikums darzubieten.

 

Die Innsbrucker Festwochen für Alte Musik haben sich bei der Aufführung von Mercadantes Dramma per musica in zwei Akten „Didone Abbandonata“ für das Ensemble „Accademia Montis Regalis“ unter der Leitung von Alessandro De Marchi entschieden. Das italienische Orchester spielt diese Belcanto-Oper des 19. Jahrhunderts  aus dem Jahr 1823, also im selben Jahr wo etwa Rossinis „Semiramide“ uraufgeführt wurde, mit Instrumenten aus der Entstehungszeit, die um einen Viertelton tiefer gestimmt sind, also 430 statt der heute üblichen 440 Hertz. Der Dirigent rühmt in einem Interview, dass der Klang feiner, transparenter sei und eine viel bessere Grundlage für die Sängerinnen und Sänger darstelle.

 

Das nun in guter bildlicher Qualität erhältliche Dokument der Aufführungsserie in Innsbruck belehrt uns aber eines Anderen. So dünn und scharf in den Streichern, unsauber im Blech (kieksende Naturhörner) und mit vager Intonation habe ich schon lange kein Opernorchester mehr gehört. Transparent ja, aber das reicht in diesem Kontext einfach nicht. Zumal die schon frühromantisch lyrische-Textur der Musik einen weicheren einfühlsameren Klang erforderte. Dabei dirigiert De Marchi mit Verve und hoher Spannung, gibt die dramaturgisch passenden richtigen Akzente und vermag Aufmerksamkeit und Interesse für die in ihrer Gesamtheit auf Basis des Turiner Autographs zu hörende Partitur (ausgenommen einige gekürzte oder umgestellte Rezitative) zu erwecken.

 

Der wie Bellini bei Zingarelli in Neapel ausgebildetete Saverio Mercadante komponierte bis 1866 sechzig Opern. „Didone Abbandonata“ auf ein Libretto von Metastasio in einer Bearbeitung von Andrea Leone Tottola, stammt demnach aus einer frühen Schaffensphase.  Tottola sei Dank gibt es statt der üblichen Abfolge Arien und Rezitativen an der Stelle Letzterer in Mercadantes Oper Männerchöre, Duette, ein Terzett, ein großes Finale im ersten Akt und ein Rondeau als Schluss des zweiten Akts. Die Musik ist allemal eine Wiederbelebung wert, wenngleich das Solistenensemble in der „Locker vom Hocker“ Regie mit einer Nullachtfünfzehn Personenführung auf oftmals vernebelter Drehbühne von Jürgen Flimm überwiegend an der Oberfläche kratzt und den enormen sanglichen Anforderungen der Partitur Adäquates gegenüberzustellen kaum imstande ist.

 

In einfachen Bühnenbildern von Magdalena Gut mit geschmäcklerischen Accessoires wie roter Mischmaschine, weißem Kühlschrank, Ventilator und Chesterfield Lederclubfauteuils spielen und singen in den Hauptrollen die litauische Sopranistin Viktorija Miškūnaitė die Didone und die deutsche Mezzosopranistin Katrin Wundsam den Enea. Die Tessitura und Anforderungen an Didone folgt dem Prinzip des sogenannten „Soprano assoluto“, das heißt die Verbindung von Lyrischem mit ordentlich dramatischen Akzenten, endlosen Verzierungen und Koloraturen samt vielen Spitzentönen. Von Ausdruck und Bühnentemperament her liefert Viktorija Miškūnaitė eine starke Performance. Allerdings neigt ihr lyrischer Sopran zu die Gesamtleistung stark beeinträchtigenden Intonationstrübungen vor allem in der Mittellage und harten Tonansätzen in den höheren Regionen. Katrin Wundsam geht für die Travestiepartie des Enea mit einer hervorragenden Technik ins Rennen. Ihr schlank geführter Mezzo überzeugt vor allem in der Tiefe, die kleinen  Noten kommen wie geschmiert. Das eher trockene Timbre ist Geschmackssache.

Problematisch und wenig ohrenschmeichelnd ist die Besetzung der männlichen Hauptrollen. Carlo Vincenzo Allemanno in der laut Dirigent „Baritenore -Rolle des die Hand Didos ersehnenden Maurenfürsten Jarbas verfügt über den nötigen heldischen Impetus (immerhin erklärt er, dass Afrika nicht hinnehmen werde, wenn ein Überlebender aus Troja die Angebetete des Königs der Mauren bekommt), vermag mit angestrengter Stimme und sprödem Material erst gegen Schluss hin so etwas wie irgendwie interessant zu werden. Araspe, Vertrauer von Jarbas und in Selene verliebt, würde vom Typ her dem Chilenen Diego Godoy aufgrund der Beweglichkeit und Agilität seines Spieltenors sowie der schlanken Stimmführung beinahe maßgeschneidert passen, wäre da nicht die Tessitura der Partie. Die bringt es mit sich, dass so manche Spitzentöne unangenehm gequetscht klingen. Die Rolle des in seine Chefin Dido verliebten Vertrauten Osmida, wird vom italienischen Bassbariton Pietro Di Bianco unschön vibratoreich dargeboten. Selene ist hingegen bei Emilie Renards Mezzo bestens aufgehoben. Die junge Französin besitzt die klangschönste Stimme der Aufführung und verbindet geschickt Farbgebung und Ausdruck.

Der Männerchor des Coro Maghini hat gute Bässe aufzuweisen, die Tenöre sollten einmal über eine gedecktere Stimmgebung (=weniger Schärfe) nachdenken.

Irgendwie schade das Ganze. Die Musik der Oper weckt den inneren Qualitätskompass und lässt aufhorchen. Zur Ehrenrettung eines vergessenen Werks braucht es aber eine besonders überzeugende, wenn nicht in allen Aspekten spektakuläre Umsetzung. Dies ist den Innsbrucker Festwochen für Alte Musik diesmal nicht geglückt.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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