DVD + BLU-RAY ALBAN BERG: WOZZECK – Live Aufnahme aus dem Haus für Mozart, Salzburger Festspiel 2017 – harmonia mundi
„Der Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einen, wenn man hinunterschaut.“ Wozzeck
Regisseur William Kentridge lässt das sozialkritische Stück passend zur Entstehungszeit der Oper zur Zeit des ersten Weltkriegs spielen. Die Figur des Wozzeck als Symbol der Benachteiligung, mehr noch der grausamen Erniedrigung von Teilen der Bevölkerung ist aktueller denn je. Was bei Büchner und Berg die verelendete Arbeiterklasse und die Gewalt gegen Soldaten durch Medizin und Offiziere gewesen ist, darf heute als diffuses Gefühl der Ohnmacht breiter Gesellschaftsschichten gegenüber den sogenannten Eliten, als materielles Abgehängtsein gelten.
Wesentlich ist, was aus dieser Erniedrigung und individuellen Verengung, aus der Chancenlosigkeit des Entrinnens aus der menschlichen Seele erwächst. Es ist immer wieder Gewalt, die sich selbst reproduziert und sich entweder in den eigenen vier Wänden gegenüber der Familie entlädt oder sonstwo auf der Straße. Wie in einer Sezierstube des Klangs hat es Alban Berg verstanden, dem Soldaten Wozzeck, der zum Mörder wird, dennoch Empathie zuwachsen zu lassen.
William Kentridge interessieren in seiner bewegenden Inszenierung vor allem die Militarisierung und die damit einhergehende Brutalisierung der Gesellschaft sowie die Verzweiflung der Mittellosen. Tugend ohne Geld ist nicht möglich, sagt Wozzeck zum Hauptmann. Extreme Armut gebiert Mörder ist letztlich die Moral des Stücks. Das visuelle Vokabular der Regiearbeit basiert auf einer Serie von Kohlezeichnungen, der Grobkörnigkeit und rauen Oberfläche von grobem Papier. Die Ästhetik alter Fotografien und der Rauch, der nach dem ersten Weltkrieg über der Asche des zerstörten Europas lag, sind stilbestimmend. Projektionen vom Krieg gezeichneter Gesichter, eines Teiches, verwüsteter Dörfer und Wälder auf massiven Bühnenbauten, die auf verschiedenen Plattformen verteilt sind. Den einzelnen „Spielorten“ entsprechen verschiedenen Ebenen. Ein kleiner Bereich für Maries Zimmer, ein Schrank steht für das Haus des Doktors, eine Etage darüber gibt es eine vorgelagerte Ebene, auf der gefeiert und getanzt wird und der Handwerksbursche seine Predigt hält.
In dieser Anordnung gibt es keinen Umbau, es wird immer nur ein anderer Teil der Bühne beleuchtet. Manchmal verschwindet das Bühnenbild hinter den Projektionen. Diese Optik ist faszinierend vielschichtig, kann für das Auge aber auch einen Overkill der Reize bedeuten. Zumindest live im Theater. Im Film kommen mittels der konzentrierten Kamera-Naheinstellungen die intimen Momente der Partitur und die Dramatik der Zweierkonfrontationen gut zur Geltung.
William Kentridge legt in dieser filmisch-erzählerischen Arbeit, wie er in einem ausführliche Interview im Booklet darlegt, keinen Wert auf Psychologie. Er will die Geschichte mit Musik zur Geltung bringen und den Fokus darauf lenken, was auf der Bühne passiert. Das Kind vom Marie und Wozzeck lässt er durch eine u.a. von einer Rote-Kreuz Krankenschwester geführten Handpuppe mit Gasmaske verkörpern.
Die Besetzung hat mit Matthias Goerne und Asmik Grigorian als Wozzeck und Marie zwei exzellente Sänger und Bühnendarsteller aufzubieten. Für mich ist es Goernes beste Partie, perfekt auf die derzeitige Verfassung seines breit geführten Baritons zugeschnitten. Auch in der Darstellung von Verzweiflung, existenzieller Not und finaler Gewaltentladung liefert Goerne ein wahrhaftiges Rollenporträt. Asmik Grigorian ist eine ganz große Klasse für sich. Ihr Luxussopran leuchtet und fasziniert in allen Lagen gleichermaßen. Ausdruck, Stimmschönheit und Figur verschmelzen zu einem übergeordneten Gesamtkunstwerk. Besser geht das nicht. Gänsehaut garantiert.
Der übrige Besetzung mit John Daszak als Tambourmajor, Mauro Peter als Andres, Gerhard Siegel als Hauptmann, Jens Larssen als Doktor, Tobias Schnabel als erster Handwerksbursch, Huw Montague Rendall als zweiter Handwerksbursch, Heinz Göhrig als Narr bietet solides Mittelmaß, mehr nicht.
Ereignishaft ist hingegen, was Dirigent Vladimir Jurowski aus dem Orchestergraben holt. Die Wiener Philharmoniker präsentieren sich in absoluter Bestform. Da holt einer aus der trotz aller Dissonanzen und Vorformen der Zwölftontechnik im Wesen spätromantischen Partitur alles an Expressivität und an im Rotlichtschein des Weltenbrands verglimmender Schönheit heraus. Der Wiener Luxusklangkörper dufte wohl an diesem Tag als unangefochtener Weltmeister seiner Branche gelten.
Die Box enthält die Oper in zwei technischen Formaten, als DVD und Blu-Ray. Und das zum Preis von einer
Fazit: Eine Regiearbeit, die man ihrer Originalität und assoziativer Bildkraft wegen durchaus schätzen kann, die in ihrer filmischen Überfrachtung aber auch abzulenken vermag. Die Qualität der Gesangsdarbietungen in kleineren Rollen ist nicht immer festspielwürdig. Ein Orchester in Traumverfassung und ein Dirigent der Spitzenklasse sind ebenso ereignishaft wie die nicht überbietbare Asmik Grigorian als Marie und der in dieser Rolle auch im historischen Vergleich Maßstab setzende Matthias Goerne.
Dr. Ingobert Waltenberger