Ab 5. Oktober 2012 in den österreichischen Kinos
DIE WAND
Deutschland, Österreich / 2012
Regie: Julian Pölsler
Mit: Martina Gedeck
Wer sich je nicht nur mit den Werken, sondern auch ein wenig mit der Biographie der Oberösterreicherin Marlen Haushofer (1920-1970) befasst hat, weiß um ihre geradezu panische Angst vor den Menschen an sich und den Mitmenschen konkret. Selten sind Ängste überzeugender in Literatur übersetzt worden als in ihrem 1963 erschienen Roman „Die Wand“. Dass man die Ich-Erzählung einer Frau, die gänzlich allein mit sich selbst ist, in einen Film übersetzen kann, noch dazu in einen so überzeugenden, hätte kaum jemand erwartet. Regisseur Julian Pölsler ist es mit seiner kongenialen Hauptdarstellerin Martina Gedeck in bewundernswertem Maß gelungen.
Seltsam übrigens, wenn auch erfreulich, dass die „Wand“ bei den Lesern so populär geworden ist, denn einfach ist die Sache nicht – und sie funktioniert auf vielen Ebenen, die alle begriffen werden wollen. Zuerst einmal ist es eine zutiefst absurde und solcherart dann metaphysische Geschichte. An sich möchte die Frau, deren Namen man nie erfährt, mit einem befreundeten Ehepaar (es gibt keinerlei biographische Hintergründe zu dieser Situation) in deren Waldhütte fahren. Sie tun es auch, das Ehepaar will abends noch ins Dorf gehen, die Frau geht zu Bett, als sie am nächsten Morgen aufwacht, sind die beiden nicht da. Nur vom Hund begleitet, dem einzigen Lebewesen weit und breit, macht sich die Frau auf, nach den Bekannten zu suchen und ein wenig die Gegend zu erforschen.
Wenn sie dann an eine Wand stößt, die nicht sichtbar ist, aber sehr wohl da, eine schmerzliche Grenze, gegen die man sich vergeblich wehrt, ist das Erstaunliche an der Geschichte, wie die Frau Eingeschlossenheit und Einsamkeit ohne Aufbegehren akzeptiert – fast wie eine Selbstverständlichkeit, wie eine Chance, nicht als Akt der Verzweiflung und des Widerspruchs. Schon hier ist außerordentlich, wie selbstverständlich Pölser und die Gedeck diese Situation vermitteln. Und dann, in Zeitverschiebungen und auf verschiedenen Zeitebenen (die Frau sieht im Lauf der Jahre natürlich anders aus, es ändert sich die Frisur, es ändert sich ihr Gesicht), schlicht und einfach erzählt, wie sie lebt und überlebt.
Wie sie lernt, sich Tiere als Haustiere zu halten. Lernt, auch Wild zu schießen. Lernt, die Früchte des Bodens zu kultivieren. Es ist keine wirkliche Robinson-Geschichte, denn sie kann sich keine materiellen Güter aus einem Schiffswrack holen, sie kann nur mit dem umgehen, was die Natur bereit hält. Und das tut sie. Ohne Widerstand. So selbstverständlich, als müsse es so sein. Ohne pathetische Klage. Und ganz offenbar ohne Sehnsucht nach der Menschenwelt, die sie hinter sich gelassen hat. Eine Aussteiger-Geschichte? Auch. Und eine, die ohne große Geste der Natur als Lebensraum huldigt – und dem Tier als wunderbarstem Gefährten des Menschen. Es war gar nicht so leicht, ihre Beziehung zu dem Hund nicht kitschig geraten zu lassen.
Es geschieht so wenig, und doch ist der Kinobesucher, der sich auf das Geschehen einlässt, ohne Unterbrechung mit Interesse „dabei“. Wie groß die Angst der Autorin vor Menschen war, zeigt die dramatische Wendung am Schluss – plötzlich ist da offenbar ein Mann durch die Wand, in ihre Welt gedrungen. Das bedeutet aber keine Erlösung – endlich ein Mensch! Von ihm geht nur Gewalt und Bedrohung aus. Sie erschießt ihn. Es ist auch rabenschwarzer Pessimismus, der diese Weltflucht-Geschichte durchzieht.
Was Literatur leisten kann, an Gedanken-Anstößen und emotionalem Zurückwerfen des Lesers auf sich selbst, die „Wand“ tut es. Und dem Film gelingt es auch. Eindrucksvoll. Natürlich nichts für Leute, die es gern laut, schnell und kommunikativ in ihrem Leben haben. Es ist nie alles für alle.
Renate Wagner