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DIE GROSSE VERSUCHUNG – LÜGEN, BIS DER ARZT KOMMT

08.07.2014 | FILM/TV

FilmPlakat Grosse Versuchung~1

Ab 11. Juli 2014 in den österreichischen Kinos
DIE GROSSE VERSUCHUNG – LÜGEN, BIS DER ARZT KOMMT
The Grand Seduction / Kanada / 2013
Regie: Don McKellar
Mit: Brendan Gleeson, Taylor Kitsch, Liane Balaban u.a.

Wir würden Tickle Cove ein kleines Dorf nennen, aber es ist nicht einmal ein solches – ein Hafen irgendwo an der kanadischen Atlantikküste, vergessenstes Neufundland, wenig mehr als hundert Leute, und sie können von der Fischerei, auf die man einst stolz war, nicht mehr leben. Tatsächlich hat man anfangs den Eindruck, dass da ein echtes soziales Drama um ein Thema aufgerollt wird, das wohl überall auf der Welt virulent ist: Arbeitslosigkeit.

Und man erfährt einiges über die Demütigung, sich um die Sozialhilfe anzustellen – und absolut keine Zukunftsperspektive zu haben. Die Gattin von Murray, unserem ältlichen, schrulligen Helden (der immer, also auch hier hinreißende Brendan Gleeson), verlässt ihren Mann, um in der nächsten größeren Stadt zu arbeiten – ganz am Ende, wenn sie von dort weggeholt wird, sieht man, was sie macht: Sie sortiert am Fließband Müll auseinander…

Aber Regisseur Don McKellar, selbst Kanadier, wollte keine Absterbens-Tragödie, sondern eine Überlebens-Komödie erzählen, und wenn das auch manchmal recht konventionell ausfällt, so ist es doch eine liebenswerte Dorfgeschichte, die das Herz wärmt. Überleben – aber wie? Ja, wenn sich ein Konzern überreden ließe, im Dorf eine petrochemische Fabrik zu bauen, selbst wenn diese nicht gänzlich umweltfreundlich wäre, aber zumindest die Leute ernährt. Die Ungeheuerlichkeit, dass einer der geschniegelten Chefs eine gewaltige Bestechungssumme verlangt (die trickreich beschafft wird), wirkt beschämend – und so typisch für unsere Welt. Untypisch und schön: Wie hier eine Dorfgemeinschaft zusammen hält, wie sie gemeinsam alles bespricht und beschließt – und wie das Allgemeinwohl über alles geht…

Was die Dörfler, die auch angeben, zahlenmäßig weit mehr zu sein, als sie tatsächlich sind (auch das ergibt ein paar amüsante Slapstick-Szenen), brauchen vor allem eines: einen im Ort ansässigen Arzt, sonst gibt es keine Fabrik. Aber wer will schon an dieses Ende der Welt? Die letzten acht Jahre jedenfalls hat man keinen hierher locken können…

Der deutsche Titel von „The Grand Seduction“ fügt zu „Die große Versuchung“ (die eigentlich „Verführung“ heißen müsste!) noch die zwar blöde, aber eigentlich völlig passende Bezeichnung „Lügen, bis der Arzt kommt“ hinzu. Wie dieser Dr. Lewis, seines Zeichens eigentlich Schönheitschirurg, nach Tickle Cove kommt (um sich davor zu retten, am Zoll wegen etwas Kokains im Gepäck festgenommen zu werden), ist dramaturgisch mehr als knieweich. Was die Dorfbewohner tun, um ihm ihr Örtchen „g’schmackig“ zu machen, dass er über den einen Probemonat hinaus bleibt, das ist die Komödie. Paul Lewis ist Cricket-Fan – die guten Leutchen aus Tickle Cove, die großteils nicht einmal wissen, was das ist, verkleiden sich als „Mannschaft“ und erklären den Sport zu ihrer kollektiven Lieblingsbeschäftigung…

Murray, der als „Mastermind“ hinter allem steht, will sogar das hübscheste Mädchen des Ortes, die das Postamt führende Kathleen (Liane Balaban), dazu verdonnern, mit dem Doktor zu flirten, aber darauf lässt sie sich nicht ein, im Gegenteil. Ja, und die alten Ladies des Dorfes haben dem Doktor nicht nur sein Häuschen mit dem rührendsten Kitsch ausstaffiert, sie überwachen noch seine Telefongespräche und lassen prompt seine Lieblingsspeise, sobald er diese erwähnt, im örtlichen Gasthaus als Spezialität auftauchen…. Wenn es zwischen ihm und seiner fernen Freundin dann zu einer Art Telefonsex ausartet, wird mit großen Kulleraugen und zweifelsfrei besonderem Interesse gelauscht…

Das Ganze wäre etwas lustiger, wenn dieser Doktor Lewis nicht so ein Doofkopp wäre. Der 33jährige Taylor Kitsch spielt ihn, eines der leeren Jungmann-Gesichter, mit denen Hollywood derzeit völlig austauschbar ihre Durchschnittsfilme besetzt (man kann die Herren wahrlich nicht unterscheiden). Nicht das kleinste bisschen Intelligenz leuchtet ihm aus den Augen, tumb geht er seinem Job nach, die armen Dorfbewohner zu behandeln (die ihre Wunden meist vom Fleischer des Dorfs zusammennähen ließen) – und er fällt den guten Leutchen auf alles rein. Weil er so dumm ist, ist es kaum lustig, ihn zu übertölpeln. Da hätte das Drehbuch eingreifen müssen, selbst wenn die Vorlage („Seducing Doctor Lewis”, 2003 von den Franzosen erstmals verfilmt) nicht mehr hergibt.

Dennoch: Am Ende haben es die Dorfbewohner, unter denen viele drollige Typen sind, unter der entschlossenen Führung von Murray geschafft. Sie bekommen ihre Fabrik, ihre Arbeit, und das ist eigentlich der harte und berührende Kern der Geschichte. Denn man könnte ja auch würdelos weiter mit der Sozialhilfe dahinkrebsen und es faulenzend damit gut sein lassen…

Renate Wagner

 

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