Ab 25. Dezember 2014 in den österreichischen Kinos
DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT
The Theory of Everything / GB / 2014
Regie: James Marsh
Mit: Eddie Redmayne, Felicity Jones, David Thewlis, Emily Watson u.a.
Würde ein Drehbuchautor eine solche Geschichte erfinden, er käme nicht weit: Netter, ein wenig schrulliger Student, überdurchschnittlich begabt in den Naturwissenschaften. Manchmal stolpert und strauchelt er. Als er 21 ist, diagnostizieren die Ärzte Amyotrophe Lateralsklerose und sagen voraus, dass er vermutlich nur noch zwei Jahre zu leben hat und sein Körper vermutlich bis dahin unbrauchbar sein wird. „Und das Gehirn?“ fragt der junge Mann. Das bleibt unbeschädigt, aber…
Die Geschichte des Drehbuchautors ginge noch weiter: Dennoch will seine Jugendliebe ihn heiraten, und siehe da, sie bekommen sogar drei Kinder. Die Krankheit schreitet fort, der Verstand auch. Der Kranke, der im Rollstuhl sitzt, kaum noch sprechen kann und für den man einen Computer erfindet, den er mit seinem Augenzwinkern bedienen kann, wird einer der berühmtesten, anerkanntesten Wissenschaftler seiner Zeit, Bestseller-Autor noch dazu…
Und wer soll das glauben, würde ein Produzent den Drehbuchautor fragen. Hieße das nicht, ein Publikum in seiner Gutgläubigkeit zu überfordern?
Nun, wie man weiß, ist dies die Lebensgeschichte von Stephen William Hawking, dem vermutlich berühmtesten Physiker unserer Zeit, und in über zwei Stunden auf der Filmleinwand hingestellt, ist sie ein so faszinierendes Menschenschicksal, dass man die Erschütterung, die es auslösen muss, fast vergisst.
Denn natürlich ist das, was Hawking geleistet hat und was Regisseur James Marsh in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ zeigt (der englische Titel
„The Theory of Everything“ ist übrigens viel besser, kommt dem, was Hawking als „Weltformel“ entwickelt hat näher), nicht ein klebriges Bio-Pic, sondern eine Geschichte vom Triumph des menschlichen Geistes (wie damals, 2001, „A Beautiful Mind“ mit Russell Crowe, worin geschildert wird, wie der Mathematiker John Forbes Nash Jr. – auch mit Hilfe einer Frau – seine geistigen Störungen zugunsten seiner wissenschaftlichen Leistungen bekämpfte).
Das Leben des 1942 in Oxford geborenen Stephen Hawking zu erzählen, führt in das England der sechziger Jahre und danach, und Regisseur James Marsh legt großen Wert auf das Milieu englischen Kleinbürgertums wie des damaligen Universitätsbetriebs, was dem Geschehen Lebendigkeit und Authentizität verleiht. So war es eben damals, so „altmodisch“ – und so relativ großartig ist die Umwelt mit der Krankheit und Behinderung des Stephen Hawking umgegangen: Keine Selbstverständlichkeit in Zeiten, wo man gar nicht wusste, was „politische Korrektheit“ ist…
Die menschlich größte Leistung setzte damals im realen Leben die Studentin Jane Wilde, die den „patscherten“ jungen Stephen kennen lernt, der sich über den Ursprung des Universums den Kopf zerbricht – und bei ihm bleibt, als die Krankheit auftaucht, mehr noch: ihr Leben an ihn kettet, obwohl jeder seinen baldigen Tod voraus sagt. Janes Memoiren sind die Grundlage dieses Films…
Mit Worten geschildert, ist das eine Schnulze, so, wie es hier gespielt wird, ist es schlechtweg „atemberaubend“ (ein Wort, das man nicht leichtfertig verwenden soll). Eddie Redmayne, der so hinreißend war, als er „eine Woche mit Marilyn“ erleben durfte, bietet die schier unglaubliche Leistung, den körperlichen Verfall Stephens schrittweise nachzuvollziehen, damit auch die Schwierigkeiten der Umwelt, sich darauf einzustellen, und dabei nie ein Virtuosenstück „abzuziehen“. Ein schrecklich verzerrtes Bündel Mensch, das nie jammert, nie auf das Mitleid der Mitwelt spekuliert…
Und Felicity Jones ist Jane, die nie die Tapferkeitspose anlegt, sondern weiß, worauf sie sich eingelassen hat, und dieses Schicksal durchzieht. Sie ist es, die bei jeder weiteren schrittweise Verschlimmerung der Krankheit für Stephen die Lösung findet, wie er weiter leben und arbeiten kann. (Das Paar hat sich später getrennt – eine der wenigen Schnittstellen des Films, wo man die Handlungsweise der Menschen nicht wirklich versteht.)
Parallel zum Privatleben (Hawkins lebt, wie man weiß, noch heute, mit 72, ein halbes Jahrhundert über sein Todesurteil hinaus) begreift man, wie hier die „Karriere“ eines Mannes möglich wurde, der eigentlich schlimmer als ein Krüppel, nämlich nach und nach nur ein menschlicher Torso ist – und dennoch: Das Gehirn funktioniert. Sein Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“ wurde ein millionenfacher Bestseller in der ganzen Welt. Ehrungen wurden Stephen Hawking nicht für die Bewältigung seines Schicksals, sondern für seine wissenschaftlichen Leistungen zuteil. Das Kinopublikum wird damit dankenswerterweise nicht beschwert – man bekommt nur die bekannten Schlagworte (etwa „schwarze Löcher“), die vertraut sind, wenn man sich auch absolut nichts darunter vorstellen kann.
Wenn der Film von James Marsh eine – vermutlich genau kalkulierte – „Schwäche“ hat, dann die Tatsache, dass Hawkings im Grunde unerträgliches Schicksal erträglich von der Leinwand kommt. Aber nicht als pathetische Heldenstory, sondern fast mit britischem Unterstatement: Da war die Herausforderung – und so wurde sie bewältigt. Basta.
Renate Wagner