Der Theatergigant Peymann und die SEITENBLICKE- Gesellschaft
Als Regisseur läßt Claus Peymann für die Uraufführung des Stückes von Elfriede Jelinek RASTSTÄTTE ODER SIE MACHENS ALLE im ORF- Archiv recherchieren.
Nach den aktuellen Würdigungen zum Ableben der schon zu Lebzeiten hoch verehrten Theaterlegende ein kleiner Einblick in seine Arbeitsweise als Theatermacher.
Im Spätherbst 1994 läutet in der Redaktion der täglichen Gesellschaftssendung SEITENBLICKE das Telefon. Damals gab es nur Festtelephon und FAX- Geräte. Es meldete sich die Abteilung Dramaturgie am Wiener Burgtheater: Der Direktor in seiner Funktion als äußerst erfolgreicher Regisseur und Experte für Uraufführungen besonders österreichischer Bühnenliteratur würde gern am Beispiel der täglichen Gesellschaftsberichterstattung Informationen und Anregungen zur österreichischen insbesondere Wiener Gesellschaft gewinnen. Die Chefdramaturgin Rita Thiele ersuche daher , möglichst viele Beiträge zeitnah und in kompakter Form anschauen zu können. Das geplante Stück handle in Anlehnung an Mozart’s COSI FAN TUTTE um ein erhofftes heißes Date, damals hieß es noch Verabredung , zweier gutbürgerlichen Damen der Gesellschaft mit unbekannten Sex-Partnern, die sich schlussendlich als ihre Ehemänner erweisen.
Die Reaktion der Sendungsverantwortlichen reichte von Erstaunen, Unglauben , Irritation bis zu einer gewissen Genugtuung. Die Programmidee des damaligen Generalintendanten Thaddäus Podgorski hatte besonders im ersten Jahr 1987 mit großen Problemen bei der Akzeptanz in und außer Haus zu kämpfen. Nach einer Umstellung der Redaktion im Herbst 1988 verstummten die Kritiker und die Zuschauerzahlen der meist Tages aktuellen Sendung- damals knapp vor der Nachrichtenformat ZIB 2 – erreichten ungeahnte Höhen. Die Anerkennung auch im Kulturbereich wuchs. Mitgeholfen hat dabei die Volkstheaterdirektorin Emmy Werner. Aus kollegialer Verbundenheit gestattete sie Dreharbeiten bei einer Premierenfeier mit der auch weniger Kultur affinen Menschen bestens bekannten Schauspielerin Nicole Heesters. Das Team der Theaterproduktion hatte nach Fürsprache der Direktorin der Seitenblicke -Berichterstattung zugestimmt. Um den Premierenablauf nicht zu stören, wurden die Saaltüren erst beim Schlußapplaus geöffnet . Die Stars auf der Bühne und das vorher auch informierte Publikum wurden gefilmt. Bei der anschließenden Feier entstanden die interessantesten Interviews in sichtbar gelöster Stimmung . Für das Fernsehpublikum ergab sich so die Chance, aktuell bei einem nicht alltäglichen Kulturevent dabei zu sein.
Diese Beiträge waren höchst erfolgreich, die Einladungen zu den Theater- und Opernvorstellungen häuften sich . So hat einer der abends immer einsatzbereiten Kameramänner , Martin Kreuzer, Sohn des legendären Fernsehintendanten und späteren Gesundheitsminister Franz Kreuzer in seinem Berufsleben sicher tausende „Schlußappläuse“ mit sich verneigenden Bühnengrößen gefilmt. Im Laufe der Jahre waren Theaterdirektionen und Theaterpublikum fast enttäuscht, wenn kein Seitenblicke Team erschien . Es dürften auch die Gastronomen, in deren Räumlichkeiten solche Feste immer öfter stattfanden, über die Berichterstattung erfreut gewesen sein und den Werbewert in die Preiskalkulation mit einbezogen haben – eine Art Kultursponsoring.
In der Theaterszene war die Sendung bald ein Begriff, wenn auch nur ungern zugegeben wurde, sie auch tatsächlich auf dem Schirm anzuschauen.
Claus Peymann mußte zumindest eine Ahnung von den Sendungsinhalten gehabt haben, sonst hätte er wohl nicht seine Dramaturgin ins ORF-Archiv geschickt. Das Problem war jetzt die Organisation der wie immer unter Zeitdruck stattfindenden Recherche. Es gab sehr viele Sendungen zur Auswahl, circa 250 pro Jahr, aber maximal jeweils 5 bis 9 Minuten lang. Ein Mal pro Woche noch 30 Minuten Seitenblicke- Revue mit den erfolgreichsten bzw. interessantesten Beiträgen. Die waren auf Kassette vorhanden, wurden herausgesucht , zu Stößen chronologisch geschlichtet. Frau Thiele kam einige Tage und schaute sich in den im Archiv vorhandenen Abspielräumen etliche dieser Produktionen an. Damals genügte es nicht, wie heute die Tastatur des PC zu bedienen.
Es war natürlich klar, dass hier nicht nach den edelsten Charakterzügen der Spitzen der Gesellschaft geforscht werden sollte. Wo Jelinek auf dem Theaterzettel stand, wollten viele das Wort Skandal im Untertitel gleich mitlesen. Aber als Vorlage zu dieser Art Berichterstattung taugte die Sendung nicht. Die Themen kamen leichtfüßig daher, Ironie und manchmal leise Schadenfreude sollten nicht fehlen, aber auch die Betroffenen konnten – meistens zumindest- über sich lachen.
Das Gegenteil vollzog sich inzwischen in der medialen Vorberichterstattung. Porno auf der Bühne wurde herbeigeschrieben, die empörte Erwartungshaltung wurde gestärkt , zumindest ein weiblicher Heldenplatz- Aufreger sollte es werden. Die Uraufführung des Thomas Bernhard-Stückes im Burgtheater hatte 1988 den Ruf aber auch den Ruhm des Dichters und seines Regisseurs begründet. Zur neuerlichen Erregung beigetragen hat die Autorin , die Mitte der 90er Jahre noch nicht die weltweit bekannte Nobelpreisträgerin war, mit einer Szenenanweisung zu Beginn des 3. Aktes : „Bitte sich von der Ästhetik der kommerziellen Pornofilme inspirieren lassen! Es soll immer, durchgehend durch das ganze Stück, billig und ein wenig armselig wirken.“
Dafür waren die Bilder der Seitenblicke- Beiträge , wenn sie überhaupt bei den Bühnenproben diskutiert wurden, nicht die richtige Folie. Auch die damals sehr erfolgreichen und bei Autofahrern bekannten und beliebten Raststätten an den österreichischen Autobahnen wirkten in der Realität eher wie großzügige, etwas bieder aber solide eingerichtete Landhäuser. Die Toilettenanlagen, ein wesentlicher Schauplatz im Stück, waren ungewohnt geräumig und sauber.
Es kam die Premiere am 5.November im Akademietheater- Heldenplatz war am 4. November – sie enttäuschte alle. Die größten Gegner fanden keinen Grund für die geplante heftige Ablehnung. Die auf begeisterte Zustimmung eingestimmten Peymann-Anhänger konnten bei bestem Willen nur leise jubeln. So schrieb der TAZ- Kritiker Dieter Brandhauer: „Jenes Peymannsche Verfahren, gerade Kunstfiguren mit psychologischem Realismus auszuleuchten – und dies hat bei Thomas Bernhards Stücken immer funktioniert –, schlägt in der „Raststätten“- Inszenierung in eine Betulichkeit um,…“
Realismus hätten die ORF-Produktionen sicher zu bieten gehabt, psychologisch deutbares Verhalten auch. Aber alles konzentriert und komprimiert auf durchschnittlich 2 Minuten, zu Hause im Wohnzimmer. Selbst als nur bescheidene Anregung für das Geschehen auf der großen Bühne konnten sie nicht funktionieren.
Schade an diesem Abend um den großen Einsatz für den so Theater begeisterten und begeisternden Direktor und Regisseur, die Autorin und die an sich exzellente Besetzung.
Premierenfeier mit Handke: DIE STUNDE DA WIR NICHTS VONEINAND WUSSTEN Wiener Festwochen 9.5.1992 Foto: orf
Das Team der Seitenblicke. Erste Reihe mit Dr. Ulrike Messer-Krol, Leitende ORF-Redakteurin der Sendung. Foto: Erwin Messer
Und für das Team von Seitenblicke, das zu gerne Hilfestellung bei einem großen Bühnenhit geleistet hätte.
R.I.P. Claus Peymann
Ulrike Messer -Krol 1988 bis 1995 Leitende ORF-Redakteurin der Sendung Seitenblicke