BRUCKNER de luxe
Bei ArtHaus Musik ist soeben eine Geschenkbox erschienen, die nicht nur rein äußerlich mit großem Aufwand und viel Liebe gestaltet ist, sondern auch puren Luxus in ihrem Innenleben zeigt.
Sie enthält Bild- und Ton-Aufnahmen aller 9 Bruckner-Sinfonien sowohl als DVD als auch auf Blue-ray, aufgenommen 2017-2019 bei den Oberösterreichischen Stiftskonzerten in der prächtigen Kirche von St. Florian mit den Münchner Philharmonikern unter ihrem Chef Valery Gergiev. Als Benefit gibts dazu noch eine (absolut hörenswerte) Orgelimprovisation über Themen aus Bruckners 2. Sinfonie, gespielt von Martin Haselböck – natürlich auf der großen Brucknerorgel in St. Florian.
Doch damit noch lange nicht genug! Ein etwa einstündiger Film zeichnet kundig und kompetent den Lebensweg Bruckners nach, mit Statements der Crème de la Crème der Bruckner-Insider – von Valery Gergiev und Kent Nagano, über Thomas Angyan (bis vergangene Saison Chef des Wiener Musikvereins), Otto Biba (Archivdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien) und Sven Friedrich (Direktor des Richard Wagner Museums in Bayreuth), bis zu den beiden in Sachen Bruckner wohl kompetentesten Musikwissenschaftlerinnen Elisabeth Maier und Andrea Harrandt; und als Tupfen auf dem i: Cornelius Obonya, der Presseauschnitte rund um den Komponisten zum Besten gibt.
Dazu noch 2 Bücher (inhaltsgleich, eines in Deutsch, eines in Englisch) von Elisabeth Maier, die damit ein Bruckner-Biografie vorlegt, die sich nicht nur spannend liest, sondern auch höchstem wissenschaftlichem Standard gerecht wird.
Und wer das Curriculum vitae Bruckners auf die wohl authentischste Art kennen lernen will, der findet in dieser „Wunderschachtel“ auch noch ein Faksimile des Lebenslaufs, verfasst vom Meister selbst.
Aber zur musikalischen Seite: es mag intensivere, präzisere oder auch ausdruckstärkere Aufnahmen einzelner Sinfonien geben, als Gesamtschau sind diese 9 Sinfonien aber wirklich einzigartig. Die Münchner Philharmoniker, die durch ihren früheren Chef Sergiu Celibidache ja eine besondere Affinität und Klangkultur in Hinblick auf Bruckner entwickelt haben, geben natürlich große Fußstapfen für jeden Dirigenten vor, aber Gergievs russische Walenki passen da hervorragend. Und ich bin begeistert, wenn ich etwa an den letzten Satz der 3. Sinfonie denke, wie er diese Kombination und Verflechtung aus Polka und Choral gestaltet, in welcher Bruckner ausdrückt, wie eng beieinander der Tanzboden und die Totenbahre liegen. Bewundernswert aber etwa auch, wie er den Raum der Stiftskirche nützt, und wie er im Wissen um die Tatsache, dass Bruckner bei seinen Kompositionen immer die Orgel im Hinterkopf hatte, diese Klangvorstellung umzusetzen weiß: beispielsweise wenn im Finale der 5. Sinfonie die Bläser im Fortissimo das Thema schmettern und die Antwort darauf im Piano in den Streichern erscheint, dann vermeint man die 2 Manuale der Orgel abwechselnd hintereinander zu hören – das ist Orgelkonzeption pur. Es wäre allerdings undenkbar, solche Nuancen herauszuhören, wenn nicht eine äußerst professionelle und um die Dinge wissende Aufnahmeleitung da voll mitspielen würde – hier in der Person von Stephan Reh, der hier dezidiert hervorgehoben werden soll.
In Zeiten wie diesen möchte ich anregen, doch mal, befreit von jedweder Ausgangsbeschränkung und Maskenpflicht, Anton Bruckner für einen Abend lang zu sich nach Hause einzuladen – virtuell und auf Basis dieser Edition….
Der erwähnte Film wäre ein idealer Aperitiv, der die Brucknersche Welt anschaulich ins Wohnzimmer holt und auf seine Musik einstimmt. Zum Hauptgang dann natürlich eine seiner Sinfonien: wenn Sie eher die Nachfolge von Beethoven und Schubert suchen, dann wäre die 1. oder 2. Sinfonie gerade richtig, wenn Sie aber lieber die oberösterreichische Voralpenlandschaft mit ihren sanften Hügeln und Tälern an sich vorüberziehen lassen wollen, dann sollten Sie die 4. Sinfonie wählen; alle Wagner-Fans werden sich wohl sowieso die 7. Sinfonie aussuchen; wer hingegen Erhabenheit, Weite und Größe sucht, dem sei die 8. Sinfonie ans Herz gelegt.
Danach gibt es allerdings ein absolutes Pflichtstück für alle: die 9. Sinfonie, deren abschließendes Adagio Bruckners eigenen Abschied vom Leben nachzeichnet, und nach einer existentiell aufwühlenden Steigerung mit einem extrem dissonanten Akkord (Tredzime!) ihren Höhe- und gleichzeitig Endpunkt erreicht, um sich dann schlussendlich in einer stillen und friedvollen Verklärung aufzulösen.
So gestärkt, können Sie ja dann im Bett noch das Buch zur Hand nehmen und den Abend Bruckner-gemäß ausklingen lassen.
Heinz Prammer