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BLUTSBRÜDER TEILEN ALLES

22.04.2013 | FILM/TV

Ab 26. April 2013 in den österreichischen Kinos
BLUTSBRÜDER TEILEN ALLES
Österreich / 2012
Drehbuch und Regie: Wolfram Paulus

Mit: Lorenz Willkomm, Johannes Nussbaum, Udo Samel, Susanne Lothar, Bernhard Schir, Daniela Nane u.a.

Um Regisseur Wolfram Paulus, Jahrgang 1957, einst ein Senkrechtstarter der österreichischen Filmszene, ist es relativ still geworden. Nun gibt es wieder einmal einen neue Arbeit zu sehen, wie üblich nach eigenem Drehbuch, und wieder einmal stellt er Jugendliche in den Mittelpunkt. Die Zeit: 1944. Damit ergibt sich die Spannung von selbst.

Allerdings muss man dem Regisseur als besonderes Kunststück konzedieren, dass er sein Geschehen nicht billig überdramatisiert, was ja bei den meisten Filmen, die in der Nazi-Zeit spielen, der Fall ist. Er geht von der zweifellos richtigen Erkenntnis aus, dass für die Durchschnittsmenschen von damals Krieg und die allmächtige Präsenz der Uniformen Alltag waren, mit dem sie umzugehen gelernt hatten. Natürlich auch (und besonders) die Kinder.

Ferry mit dem blonden Lockenkopf und der dunkelhaarige Alex, zwei Dreizehnjährige und „Blutsbrüder“, die eng zusammenhalten und ebenso wild streiten, haben ja eigentlich nur die Frauen im Kopf: Mit welch sehnsüchtigen Augen sie die lüsternen Gefühle ausdrücken, die in ihnen heranwachsen, zählt zu den amüsanten Glanzlichtern des Films. Wobei man sagen muss, dass Paulus mit Johannes Nussbaum als dem strahlend blonden, arischen Ferry und dem etwas besinnlicherem Lorenz Willkomm als dem, wie sich dann als dramatische Wende herausstellt, jüdischen Alex Wolf Idealbesetzungen gefunden hat.

Wie dieser Alex als Judenjunge bis ins Jahr 1944 kommen konnte, wird durch ein paar Drehbuchwendungen mehr oder minder (und nicht gänzlich sauber) erklärt – aber letztendlich braucht der Regisseur genau das für seine Geschichte. Zuerst jedenfalls kommt Ferry, als man die Kinder in Kriegszeiten noch „verschickt“ und noch nicht in Uniformen presst wie später, in ein Jugendlager in der Tschechoslowakei, und Blutsbruder Alex folgt mit gefälschten Papieren (auch das ist nicht ganz koscher in der Handlungsführung).

Immerhin tut sich da „am Land“, wo die Tschechen mit den Nazi-Besatzern leben müssen, in vieler Hinsicht eine neue Welt auf. Paulus schildert die übliche Bösartigkeit von Jugendlichen unter sich, das Mobben der Neulinge durch die „Starken“, aber es ist nicht in erster Linie ein Internatsfilm.

Wichtig für die Jungen ist, dass es hier einen hoch kompetenten Chorleiter gibt, der wie begeistert auf die Stimme von Alex abfährt, der seinen Chor in neue Dimensionen katapultiert – und ein Gauleiter möchte sich damit brüsten, diese Gruppe zu einer Festveranstaltung nach Wien zu bringen (gegen die hochmütigen Wiener Sängerknaben…).

Marginal am Rande, klischiert und vermutlich doch richtig, zeigt Paulus, wie die Nazi-Bonzen, die mit leichter Hand jede Schandtat begehen konnten, absolut gerührt wurden, wenn ihnen schöner Schubert vorgesungen wurde – aber ihr Bildungsbürgertum hat sie bekanntlich nicht vor ihrem Barbarentum geschützt.

Die Buben bleiben die Hauptsache der Geschichte, sofort verlieben sich beide in die wirklich attraktive Nutte Helenka, von Daniela Nane mit jeder Menge nicht billigem Sex, goldenem Herzen und Hintergründigkeit ausgestattet. Tatsächlich geht es Paulus, das merkt man schnell, an diesem Beispiel einer tschechoslowakischen Kleinstadt darum, den Umgang mit der nicht alltäglichen Alltäglichkeit zu zeigen. Bei den Deutschen ist das leicht – die mehr oder minder sich nobel gebenden Oberen (Bernhard Schir), die üblichen fiesen Unterläufer, die ihre Macht für Psychoterror einsetzen, den sie genießen (Hary Prinz). Jene Tschechen, die sich buckelnd in den Dienst der Unterdrücker stellen, weil sie sich hier am meisten erwarten (es gibt auch noch eine Menge Denunzianten dazu), und jene, die sich nur scheinbar anpassen und lebensgefährlichen Widerstand betreiben.

Am Beispiel des Chorleiters und seiner Schwester zeichnet Paulus dann jene Menschen, die es auch gab, für die schäbiges Handeln, auch wenn es damals die Regel ist, keine Selbstverständlichkeit bedeutet, der sie sich anschließen – Udo Samel (einst für den österreichischen Regisseur Fritz Lehner der Schubert) spielt einfach wunderbar Anständigkeit durch und durch, einen Mann, für den als Musiker Schubert wohl kein leerer Wahn, keine schöne Nichtigkeit, sondern ein humanitäres Konzept ist. An seiner Seite in vermutlich einer ihrer allerletzten Rollen: Susanne Lothar, bevor sie sich aus dem Leben entfernte. Nur ein Nebenpart, aber so stark und intensiv, dass man gar nicht genug bedauern kann, dass sie nicht mehr da ist.

Die Identitätskrise, in die sich Alex gestürzt sieht, als er erfährt, dass er Jude ist, schneidet Paulus nur leicht an, und am Ende rutscht er – nach dramatischer „Flucht“, edlen Partisanen und glücklicher Rettung – fast ein wenig in die Sentimentalität. Da er davor so viel richtig gemacht hat, nimmt man nicht übel, wenn als letztes Bild die Blutsbrüder sich an den Händchen halten und „Wenn ich ein Vöglein wär“ im Lazarett singen… Man ist doch froh, wenn sich der Film nicht als Vernichtungs-, sondern als Überlebensgeschichte herausstellt.

Renate Wagner

 

 

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