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Blu-ray WOLFGANG AMADEUS MOZART „DON GIOVANNI“ – Live Mitschnitt aus dem Theater an der Wien 2014

26.06.2021 | dvd

Blu-ray WOLFGANG AMADEUS MOZART „DON GIOVANNI“ – Live Mitschnitt aus dem Theater an der Wien 2014

 

NIKOLAUS HARNONCOURT DA PONTE ZYKLUS – ANDRÉ SCHUENS MEISTERSTÜCK

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Nikolaus Harnoncourt war – wir wollen dennoch diese  Eulen abermals nach Athen tragen – einer der profund interessiertesten und gebildetsten Musiker des 20. und angehenden 21. Jahrhunderts. Stets suchend, prüfend, die Interpretationsgeschichte hinterfragend, selbstverständlich auch das eigene Tun, darf uns Harnoncourt als moderner Geist par excellence gelten.  Ein Altes Vernichtender und kreativ ewig Schöpfender; im Sinne eines musikalischen Joseph Schumpeter hat er dirigentisches Verständnis und Neues Hören geprägt wie kein anderer vor oder nach ihm. 

 

Ein Lieblings- und doch ,Sorgenkind‘ war für Harnoncourt seit jeher Mozarts Da Ponte Zyklus. Am Verständnis der drei Opern „Le Nozze di Figaro“, „Così fan tutte“ und „Don Giovanni“ hat er gefeilt, gedreht und probiert und ist doch nie „angekommen“. „Don Giovanni“ steht ihm von allen Opern hörbar am nächsten. Und so sind auch seine „Don Giovanni“-Deutungen, sei es aus dem Opernhaus Zürich oder jetzt aus dem Theater an der Wien 2014, Höhepunkte der Mozart- und Harnoncourt-Diskographie. 

 

Das wirklich Originelle am abermaligen Anlauf des Wiener Da Ponte Zyklus 2014 ist Harnoncourts Auffassung der Gestaltung der Rezitative, an denen er, wie das aus der Dokumentation „Nikolaus Harnoncourt – Zwischen Obsession und Perfektion“ hervorgeht, intensiv mit allen Beteiligten geprobt hat. Es geht – verkürzt gesagt – um die Diskrepanz von komponierten Noten und dem natürlichen Sprechton des jeweiligen Sängers. Wenn ein Sänger sich also nicht mit aller Selbstverständlichkeit in den Rezitativen wohl fühlt, kann er eine Sprechtonhöhe wählen, die ihm „liegt.“ Das ist ein interessanter Ansatz, der je nach Interpret besser oder schlechter funktioniert, aber das Stück auf jeden Fall an eine „Dramma giocoso“-Volkstümlichkeit rückt, den Opera Seria Ursprung mit dem Brettergeruch der Pawlatschen ummantelt. Und wie immer, ist man  verblüfft über die bildmächtigen Sprachbilder, über die Harnoncourt zur Erläuterung seiner Absichten verfügte und mit denen Harnoncourt alle Beteiligten seiner Projekte zu begeistern vermochte. 

 

Wie bei allen anderen Teilen dieser konzertant/semiszenisch präsentierten Mozart-Trilogie ist Felix Breisach für die pragmatisch taugliche Bühneneinrichtung mit gerahmten Bildern des Bühnenpersonals und Doris Maria Aigner für die überwiegend provinziellen Kostüme verantwortlich. Dass man André Schuen  als Giovanni in ein schlabbernd gebrochen weißes Dinner Jacket mit Schulterpolstern steckt, ist unverzeihlich.

 

Die musikalische Seite ist in jeder Sekunde aufregend, spontan, gleichermaßen die Dramatik, das Aristokratisch-Gemessene als auch das Bukolisch-Ländliche unter einen Hut packend. Nikolaus Harnoncourt pflegt hier ganz und gar keinen abgeklärten Altersstil, wie das landläufig so heißt. Die Temporegie ist flott stimmig, er setzt Akzente, wo sie passen, und überrascht mit wunderbaren lyrischen Momenten etwa in Don Giovannis Ständchen oder in den Zerlina Arien. Kaum je habe ich den „Don Giovanni“ so shakespearisch erdig, frech und himmlisch höllisch zugleich empfunden wie hier.

 

Die Besetzung wartet dank der ausgiebigen Proben mit einer geschlossenen und intensiven Ensembleleistung auf. André Schuens Interpretation des Don Giovanni ist musikalisch schlichtweg ideal. Mit seinem eleganten Kavaliersbariton zaubert er liedhafte Legatophrasen vom Feinsten, verführt mit süß herbem Ton und weiß dem Komptur gegenüber zynisch und trotzig bis zum flammenden Ende aufzutrumpfen. Bei alldem bleibt er stets noch ein früh verdorbener Junger, der hier in sein Schicksal mit einer hartnäckig rabenschwarzen Logik hineinschlittert, die betroffen macht. Für diesen Giovanni gebührte dem Sänger ein in purem Gold zertifizierter Mozartbrief in Sachen Mozart. 

 

Als konterkarierender Stimmtyp ist Ruben Drole mit seinem dunklen, groben Bass als  Leporello gut besetzt. Allerdings klappt es mit dem Legato nicht so recht, manch Phrase kling eher gebellt denn gesungen. Mauro Peter erfreut mit einem kultivierten, auf Linie gesungenen Don Ottavio. Harnoncourt hält ihn diesen Könner immer wieder zum  leiser Singen an. Christine Schäfer als Donna Anna stößt schon bei ihrem ersten Auftritt an die Grenzen ihrer stimmlichen Möglichkeiten. Und dennoch: Als Donna Anna hat Schäfer im Gegensatz zu ihrer „Gräfin“ das gewisse Etwas. Die Figur atmet eine sublime Fragilität der Sonderklasse („Or sai chi l‘onore“), mit ungeheurer Konzentration überbrückt sie gekonnt und im Letzten ereignishaft die Klippen der Partitur. 

 

„Wirklich schön ist es an der Grenze zur Katastrophe“, sagt Harnoncourt während der Probe zur Elvira der Maite Beaumont. Und: „Es muss nicht mit dem Orchester zusammensein. Ich bin kein Solti.“ Diese an sich gefährlichen Ratschläge haben offenbar gewirkt. Beaumont entfesselt als Elvira alle Caterpillar-Urleidenschaft dieser durch und durch treuen und dadurch unglücklichen Figur. Mit ihrem saftigen Mezzosopran und wildem Augenrollen stemmt die spanische Sängerin ein vokales Porträt auf die Bühne, das an die größten ihres Fachs erinnert. 

 

Hinreissend frisch und unbedarft von aller aristokratischen Finesse wird die bäuerliche Zerlina von Mari Eriksmoen gestaltet. Ihr dumb-derber Masetto wird von Mika Kares (er singt auch den Commendatore) ziemlich hart und unsympathisch gestaltet. Das ist dramaturgisch glaubhaft und richtig, weil daraus Zerlinas Handeln eine eigene Logik gewinnt. 

 

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Damen und Herren des Arnold Schoenberg Chors (professionelle Einstudierung wie seit Jahrzehnten Erwin Ortner) nach wie vor ihr Geschäft verstehen wie das kaum in einem anderen Kammerchor der Fall ist.

 

Fazit: Die ganz große Empfehlung, nicht zuletzt wegen des aufschlussreichen, einzigartigen Proben-Videos von Felix Breisach.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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