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Blu-ray VINZENCO BELLINI „I CAPULETI E I MONTECCHI“ – Livemitschnitt aus dem Teatro La Fenice Venedig, 18.1.2015, NAXOS

18.05.2022 | dvd

Blu-ray VINZENCO BELLINI „I CAPULETI E I MONTECCHI“ – Livemitschnitt aus dem Teatro La Fenice Venedig, 18.1.2015, NAXOS

Sängerfest: Jessica Pratt und Sonia Ganassi auf Rosenpfaden der großen Belcantodiven

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Die DVD/Blu-ray als Veröffentlichung des Filmes einer Aufführung von Bellinis herzerweichender Romeo und Julia Vertonung aus dem Teatro La Fenice ist mit 7-jähriger Verspätung bei Naxos erfolgt. Nach Abonnenten von Opera on Video und Mezzo TV ist der Film ohne alle Abos nun also für alle zugänglich. Musikalisch ein besonderes Glück für alle Melomanen. Denn was die von Stimmgewandtheit und Raffinement her australische Sutherland-Nachfolgerin Jessica Pratt und die italienische Kontraaltistin Sonia Ganassi an belcanteskem Sangesjubel frei ins Wohnzimmer liefern, ist nicht nur stupend, sondern kann sich mit den historisch spannendsten auf Tonträgern erhaltenen Aufführungen messen lassen.

Sie tun das in einer brav historisierenden Regie des Arnaud Bernard und einem dramaturgisch tauglichen, optisch Tintoretto-gemäldegleichen Rahmen (Bühnenbild Alessandro Camero, Kostüme Carla Ricotti). Da regt nichts auf, da stören keine regietheatralischen Überdrüberfliegereien. Mann und Frau können sich daher in aller Ruhe auf den prächtigen Gesang konzentrieren und was da begleitend Schönes aus dem Orchestergraben kommt. Der israelische Dirigent Omer Meir Wellber ist nämlich ein Temperamentsbündel, der die Rhythmen anheizt, die himmlischen Kantilenen genussvoll auskostet und die Strettas auch vom Graben her fetzen lässt. Stilistisch ergibt das einen grandios austarierten instrumentalen Teppich, der in allen Brokatfarben schillert. Die romantisch traurige Geschichte der beiden Liebenden aus zwei verfeindeten Clans erhält dadurch eine atmosphärisch dichte Klangkulisse.

Belcanto heißt ja nichts anders olympische Übung in Sachen Technik und Gesangsästhetik. Die Diven und Divos sollten so ganz und gar nicht selbstverständliche vokale Tugenden wie Legato, Messa di voce beherrschen, die Gemütslage der Figuren in jeder Lage agil mittels ausgetüftelter Koloraturen, flinken Fiorituren und Nachtigallen-Trillern ausdrücken können. Der Canto sul fiato sollte sitzen (die Caballé war ungekrönte Kaiserin in dieser Disziplin). Auf jeden Fall sollte die Wirkung dieser Kunst so sein, dass es dem Publikum den Atem verschlägt, ein bisschen so wie beim Zusehen von jederzeit absturzgefährdeten Hochseilakrobaten ohne Netz.

Bei Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ kommt als besonderer Reiz noch hinzu, dass die Titelpartie als Hosenrolle konzipiert ist, somit von einer Frau gesungen wird. Sonia Ganassi ist eine Meisterin ihres Fachs. Schon seit dreißig Jahren im Geschäft, vermittelt sie nicht unbedingt die Jugend des schwärmerischen Hau- und Degenkavaliers Romeo. Aber was Ganassi an endlosen Kantilenen, saftig sonoren Tiefen, allerfeinsten Verzierungen und tollen Höhen bis zum hohen C in die vokale Waagschale wirft, ist Weltklasse. Sie führt ihre schön timbrierte Stimme bruchlos durch alle Lagen wie einst Marilyn Horne es konnte. Dazu kommt, dass ihr hier unglaublich frisch klingender Mezzo sich auch vom Stimmcharakter her sehr gut mit dem eher hellen Koloratursopran von Jessica Pratt als Giulietta mischt.

Jessica Pratt kann sich nicht mit honiggelbem Samt in der Gurgel, wie ihre legendäre Landsfrau ihn hatte, schmücken. In Sachen technischer Souveränität, federleicht in den Raum projizierten Trillern und Koloraturen, und jede Stratosphäre überstrahlenden Höhen spielt sie jedoch in derselben Liga wie einst die Sutherland. Die große Schlussszene im ersten Akt als auch das tränentreibende Finale im zweiten Akt geraten zu Lehrstunden an kunstvollem Ziergesang, der ja weiter nichts sein will, als er selbst. Nicht die Psychologie der Figuren steht hier zur Disposition, sondern das spezielle Vermögen, die Welt mittels unglaublicher vokaler Akrobatik erfreuen und unterhalten zu wollen. Wie es in der Natur Amselmann und Pirolfrau in großer frühlingsblühender Virtuosität vorführen.

Dem Tebaldo des Shalva Mukeria nimmt man weder den ersehnten Heroen, der den Tod des Sohnes des alten Capulet rächen soll, noch den feurigen Bräutigam der Giulietta ab. In der Cavatine zu Beginn des ersten Aktes als auch in der Auseinandersetzung mit Romeo im zweiten Akt begegnen wir aber einem gepflegt und engagiert agierenden Tenor, der von seiner kraftvollen Mittellage und den sicheren Höhen her dramaturgisch bella figura macht. Die beiden Bässe der Oper, Rubén Amoretti als Capellio und Luca Dall’Amico als Lorenzo bieten im Kontrast zur stimmlichen Haute Cuisine der beiden Primadonnen eher einfache Hausmannskost. Kann aber auch wohlschmeckend sein, wie wir wissen. Alles in allem Oper, wie sie wonnig leibt und lustig lebt.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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