Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Blu-ray „THE GREAT AMERICAN SONGBOOK“ mit CAMILLA NYLUND, dem ORF Vienna Radio Symphony Orchestra unter MARIN ALSOP; Naxos

04.12.2022 | dvd

Blu-ray „THE GREAT AMERICAN SONGBOOK“ mit CAMILLA NYLUND, dem ORF Vienna Radio Symphony Orchestra unter MARIN ALSOP; Naxos

Die Wagner- und Strauss Heroine Nylund wagt sich an Musical- und Filmsongs

0730099016261

Es ist eine filmische Liebeserklärung an die bedeutende finnische Opernsängerin Camilla Nylund geworden. In schwarz-weiß gehalten, mit einer raffinierten und hochästhetischen Kameraführung, wie wir sie von Kinofilmen der 30-er und 40-er Jahre kennen, ist die größte künstlerische Leitung dieses „The Great American Songbook“ dank André Heller die sehr gelungene, und vor allem in den Nahaufnahmen gestalterisch fantasievolle filmische Realisierung.

Dieses amerikanische Songbook enthält Ausschnitte aus Musicals und Filmen. Die Palette reicht von Cole Porters ‚Ev’ry time we say goodbye‘ aus dem Musical „Seven Lively Arts“, ‚The Man I Love‘ aus George Gershwins Musical „Strike up the Band“, Richard Rodgers ‚If I loved you‘ aus dem Musical „Carousel“, Jerome Kerns ‚Can’t help lovin‘ dat man‘ aus dem Musical „Show Boat“, Kurt Weills ‚September Song‘ aus dem Musical „Knickerbocker Holiday“. Zwei Songs stammen aus der Feder Friedrich Holaenders: die englischsprachige Version von ‚Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe‘ eingestellt‘ aus dem Film „Der blaue Engel“ und ‚Illusions‘ aus dem Soundtrack „A foreign affair“. Bei ‚The book of love‘ von Stephin Merritt sind sogar die Wiener Sängerknaben als Hintergrundchor aufgeboten. Der letzte Song des Sets ist „For all we know“, einem populären Song von John Frederick Coots gewidmet.

Neben der Kameraführung ist der zweite Star der Aufführung das faserschmeichelweich-romantisch und klangedel aufspielende ORF Orchester unter der musikalischen Leitung von Marin Alsop, wiederum auch mit der Kamera luxuriös eingefangen.

Und Camilla Nylund? Die im großen dramatischen Opernfach, insbesondere in Sachen Wagner und Richard Strauss reüssierende und zurecht weltweit gefeierte Sopranistin wagt sich, wie schon andere vor ihr, auf ein musikalisches Terrain, das nicht ihres ist und damit auf glatt-brüchiges Eis. Sie singt all diese Musical- und Kinohits im stets gleichförmigen, kaum noch modellierbaren Piano und begibt sich so all der unendlich-nuancierten gestalterischen Möglichkeiten, die die in diesem nicht weniger heiklen Fach geschulten Sänger und Sängerinnen haben.

Man höre vergleichsweise etwa ‚Ev’ry time we say good buy‘ von Betty Carter/Ella Fitzgerald, ‚If I loved you‘ von Ella Fitzgerald bzw. Julie Andrews oder ‚For all we know‘ von Donny Hathaway (!), damit klar ist, was gemeint ist. Diese vom R&B, Soul und Jazz herkommenden großen Persönlichkeiten wissen punktgenau mit den Phrasierungen, mit klitzekleinen Portamenti und dem speziellen Vibrato umzugehen, ihre Interpretationen atmen erotischen Hauch und schmachtende Laszivität. Nylunds tolle Opernstimme ist insgesamt für dieses Repertoire zu hell timbriert, ihr Vortrag kühl. Sie gibt sichtlich ihr Bestes, was aber in diesem Fall nicht reicht. Außerdem stört, dass Nylund während der Takes ständig in die Noten schaut, das erweckt nicht gerade den Eindruck, dass ihr diese Songs sehr vertraut sind.

Insgesamt ist „The Great American Singbook“ ein in allen technischen Belangen hervorragend gelungener Musikfilm geworden, wo sich eine der ganz großen Opernsängerinnen unserer Tage in einem ihr stilistisch ganz und gar nicht vertrauten Repertoire versucht. Warum nur?

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken