Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BLU-RAY: Rued Langgaard: Antikrist – Eine BluRay-Entdeckung von Naxos

12.07.2024 | dvd

Rued Langgaard: Antikrist – Eine BluRay-Entdeckung von Naxos

antio

Rued Langgaard, ein dänischer Komponist des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, bleibt ein Rätsel der Musikgeschichte. Trotz seines beeindruckenden Werks und seines innovativen Stils, der Elemente der Spätromantik und des Symbolismus vereint, fristet er im Schatten seiner berühmteren Zeitgenossen ein Randdasein. Mit der Veröffentlichung seiner selten aufgeführten Oper „Antikrist“ auf BluRay setzt das Naxos-Label nun einen bedeutenden Schritt, um Langgaards künstlerisches Erbe einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Diese Produktion der Deutschen Oper Berlin besticht nicht nur durch ihre musikalische und dramaturgische Qualität, sondern auch durch hervorragende Bild- und Tonaufnahmen, die das Werk in neuem Glanz erstrahlen lassen.

Der „Antichrist“ ist eine biblische Gestalt, die im ersten und zweiten Brief des Johannes und an verschiedenen anderen Stellen im Neuen Testament erwähnt wird. Der Antichrist ist der Feind der Christenheit, eine dämonische Verführergestalt, die Christus leugnet und sich die Welt durch Betrug unterwirft. In der protestantischen dänischen Kirchentradition spielte der Antichrist keine große Rolle, doch Langgaard fühlte sich von diesem Phänomen ungeheuer fasziniert, sowohl künstlerisch als auch psychologisch. Inspiriert von P.E. Benzons dramatischem Gedicht „Antikrist“ und Einar Prips wissenschaftlichem Buch, welches den Antichristen in der Welt zu erkennen versuchte, schuf Langgaard eine Oper, die tief in die Ausdruckskraft der Musik eindringt.

Langgaards Oper, deren erste Fassung zwischen 1921 und 1923 komponiert wurde, war ein künstlerischer Beitrag zu einer aktuellen Debatte in Dänemark nach dem ersten Weltkrieg, als der Zusammenbruch aller Werte viele Menschen zu geistigen Themen hinzog. Die Musik der Oper, beeinflusst von Carl Nielsen sowie Langgaards eigenes Werk „Sphären Musik“, verwies auf apokalyptische und kosmische Visionen. Die Oper zeigt den Konflikt zwischen dem Konstruktiven und dem Destruktiven, inspiriert von Wagner, Richard Strauss und teilweise von Schönbergs „Gurrelieder“ und Korngolds „Die tote Stadt“. Langgaards Oper trägt die Untertitel „Kirchenoper“ und „Szenen des Jüngsten Gerichts“. Diese Bezeichnungen verdeutlichen die spirituelle und philosophische Tiefe des Werks, das nicht für eine Aufführung in Kirchenräumen, sondern für eine abstrakte religiöse Betrachtung geschaffen wurde. Langgaard gelang mit seinem Werk eine zeitlose Parabel auf den Verfall einer Gesellschaft und deren Verrat an einstigen Wertvorstellungen.

Langgaard schrieb das Libretto für die Erstfassung der Oper selbst, wobei er große Teile von P.E. Benzons Buch übernahm. Die erste Fassung, eine „allegorische Oper in fünf Bildern“, wurde 1923 abgeschlossen. Doch das Werk wurde vom königlichen Theater in Kopenhagen abgelehnt. In den Jahren 1926 bis 1930 überarbeitete Langgaard die Oper, schuf ein neues Libretto und fügte neue musikalische Elemente hinzu. Diese Version, die verschiedene Titel wie „Das Tier aus dem Abgrund und „Antikrist“ (Verdammnis, Antichrist) trug, wurde ebenfalls nicht angenommen. Teile der Oper wurden 1940 vom dänischen Rundfunk uraufgeführt und erst 1980 vollständig eingespielt.

Die Oper „Antikrist“ von Rued Langgaard erzählt in zwei Akten das allegorische Drama um die Ankunft und den Fall des Antichristen, basierend auf apokalyptischen Visionen und philosophischen Interpretationen. Die Handlung beginnt mit einem Prolog, in dem eine Stimme aus dem Himmel die bevorstehende Ankunft des Antichristen verkündet. Eine Welt steht im Bann dieser Ankündigung und bereitet sich auf das Jüngste Gericht vor. Im ersten Akt, der die Vorbereitung der Welt auf dieses Ereignis thematisiert, stirbt in der ersten Szene der Weltgeist. Dies markiert den Beginn des Chaos und der Verwirrung, während die Mächte der Dunkelheit ihre Macht entfalten und den Boden für die Ankunft des Antichristen bereiten. In der zweiten Szene erscheint der Antichrist selbst und beginnt, die Menschen mit seinen trügerischen Versprechungen und Verführungen in seinen Bann zu ziehen. Die Menschheit gerät zunehmend unter seinen Einfluss, was zu einem moralischen Verfall und einem allgemeinen Verderbnis führt. Der zweite Akt thematisiert den Triumph des Bösen und die letztliche Erlösung. In der ersten Szene des zweiten Aktes hat der Antichrist seine Herrschaft errichtet und wird von seinen Anhängern als Gott verehrt. Seine Macht ist jedoch trügerisch und bringt der Welt großes Leid und Verzweiflung. In der zweiten Szene kommt es zum finalen Kampf, in dem der Antichrist besiegt wird. Die Mächte des Lichts triumphieren über die Dunkelheit, und das Jüngste Gericht wird vollzogen. Das Werk endet mit einem Epilog, der die Wiederherstellung der göttlichen Ordnung und den Sieg des Guten über das Böse feiert. Die Menschheit wird erlöst und kehrt zu einem Zustand der Gnade und Harmonie zurück. „Antikrist“ ist eine kraftvolle musikalische und dramatische Erzählung, die sich mit den Themen Verführung, moralischem Verfall und letztendlicher Erlösung auseinandersetzt.

In der Produktion der Deutschen Oper Berlin unter der Regie von Ersan Mondtag wird „Antikrist“ zu einem visuell und musikalisch starken Erlebnis. Mondtag, der auch als Bühnenbildner fungiert, nutzt eine Tanztruppe, choreografiert von Rob Fordeyn, um die Musik körperlich und visuell darzustellen. Die Kostüme, entworfen von Ersan Mondtag und Annika Lu, erinnern zuweilen in ihrer grellen Farbigkeit an Achim Freyer. Besonders hervorzuheben ist der „Mund, der große Worte spricht“, eine Figur, deren zähnefletschender Mund das restliche Gesicht fast vollständig verdeckt – eine groteske, fast monströse Darstellung. Die Kostüme verhindern jedoch nicht das überzeugende Singen, sondern ergänzen die Charaktere auf beeindruckende Weise. Diese extravaganten Kleider unterstützen die komplexe Handlung und verleihen den Charakteren eine zusätzliche Ebene der Symbolik.

Die Leistungen der Sänger in dieser Produktion sind bemerkenswert und tragen maßgeblich zum Erfolg der Aufführung bei. AJ Glueckert brilliert als „Das Tier“ mit seinem kraftvollen und durchdringenden Tenor. Flurina Stucki als „Die große Hure“ überzeugt mit einem lyrischen Sopran von cremiger Schönheit. Ihre Darstellung ist sowohl vokal als auch darstellerisch äußerst eindrucksvoll und verleiht der Figur eine faszinierende Tiefe.  Jordan Shanahan bringt als „Der Hass“ einen resonanten Bariton in die Rolle ein, der die bedrohliche und aggressive Natur des Charakters gut einfängt. Thomas Lehman, der Luzifer verkörpert, beeindruckt mit seinem festen, körnigen Bariton und deklamiert den Text mit großer Autorität. Seine Darstellung des gefallenen Engels ist furchteinflößend und charismatisch zugleich. Besonders hervorzuheben ist Clemens Bieber als „Mund, der große Worte spricht“. Mit seinem zeitlosen Tenor und tadellosem Textbewusstsein verkörpert er eine Figur, die populistische Slogans von sich gibt – eine beklemmende Parallele zu aktuellen politischen Figuren. Irene Roberts als „Die Luft des Mysteriums“ und Valeria Savinskaia als deren Echo beeindrucken mit ihren ausdrucksstarken Stimmen und schaffen eine geheimnisvolle Atmosphäre. Andrew Dickinson als „Die Lüge“ ergänzt das Ensemble stark. Dickinsons leichter, konzentrierter Tenor verleiht seiner Rolle eine schneidende Schärfe, obwohl er in höheren Lagen manchmal an seine Grenzen stößt. Schauspieler Jonas Grundner-Culemann zeigt als Stimme Gottes eine mutige Bühnenpräsenz und wandelt völlig nackt über die Bühne, was die Provokation und Modernität der Inszenierung unterstreicht.

Unter der Leitung von Stephan Zilias zeigt das Orchester der Deutschen Oper Berlin eine herausragende Leistung. Zilias gelingt es, die Vielschichtigkeit von Langgaards Partitur hervorzuheben, die so oft zwischen filigranen und kraftvollen Klängen wechselt. Die Streicher beeindrucken mit ihrer ausgezeichneten Intonation, während die Blechbläser und das Schlagzeug durch ihre Präzision glänzen. Der Chor, einstudiert von Jeremy Bines, fügt sich mit vollem, großzügigem Ton nahtlos in das Gesamtbild ein und verstärkt den Eindruck dieser nahezu oratorienhaften Oper.

Die BluRay von Naxos bietet eine hervorragende Bild- und Tonqualität. Die technischen Details, darunter die hohe Auflösung und der klare, differenzierte Klang, lassen die opulente Inszenierung und die komplexe Musik Langgaards in vollem Umfang zur Geltung kommen. Besonders die feinen Nuancen der Orchesterklänge und die beeindruckenden visuellen Effekte der Bühnenbilder werden durch die hochwertige Aufnahme perfekt transportiert. Diese Veröffentlichung von Rued Langgaards „Antikrist“ durch Naxos ist ein bedeutendes Ereignis für die Opernwelt. Die tiefgründige Musik Langgaards, die beeindruckenden sängerischen Leistungen und die visuell fesselnde Inszenierung machen diese Produktion zu einem eindrücklichen Erlebnis. Langgaards „Antikrist“ erhält durch diese Veröffentlichung die verdiente Aufmerksamkeit und wird hoffentlich zukünftig häufiger auf den Bühnen der Welt zu sehen sein.

Dirk Schauß, im Juli 2024

 

Rued Langgaard
Antikrist
Deutsche Oper Berlin
Stefan Zilias, Leitung

BluRay, Naxos, NBD0176V

 

Diese Seite drucken