Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Blu-ray: RICHARD WAGNER: GÖTTERDÄMMERUNG – Live Mitschnitt von den Bayreuther Festspielen 2022, Deutsche Grammophon

26.07.2023 | dvd

Blu-ray: RICHARD WAGNER:  GÖTTERDÄMMERUNG – Live Mitschnitt von den Bayreuther Festspielen 2022, Deutsche Grammophon

göö

Bayreuth stellt eine spannende Lesart von Wagners Ring zur Diskussion – Brennpunkt Familie: Gesellschaftsspiegel der Kündigung des zivilisatorischen Miteinander – fortschreitende Zombiesierung der Welt in scary amerikanischer Fernsehserien-Persiflagenmanier

Zeit ist es, bei Valentin Schwarz‘ Neuinszenierung von Wagners „Ring“ in Bayreuth 2022 mit dem Hyperventilieren aufzuhören und einen kühlen Blick auf Konzeptuelles, Gelungenes wie Fragwürdiges zu werfen. Gelegenheit dazu bietet eine aktuelle Video-Veröffentlichung der Deutschen Grammophon, auf der neben der state of the art Filmarbeit des Michael Beyer als Bonus Zusammenfassungen der Handlungen der vier Ring-Opern in der Lesart von Valentin Schwarz in englischer (Sprecher: Stephanie Houtzeel, Stephen Gould) und deutscher Sprache (Sprecher: Jens Harzer, Martina Gedeck, Sylvester Groth, Dagmar Manzel) angeboten werden.

Ich muss noch sagen, dass ich jetzt die Götterdämmerung kenne und mich nicht zu den anderen Ringteilen äußern kann. Ich nehme aber an, dass die Deutsche Grammophon auch Rheingold, Die Walküre und Siegfried herausbringen wird.  

Ich sehe diese „Götterdämmerung“ nicht nur als Schluss einer Saga einer dysfunktionalen modernen Familie, sondern in der Sprache der Ästhetik der US-amerikanischen Serienstreamings auch als ein Zerrbild der Verrohung unserer Zivilisation. Immer heftiger müssen die Reize ausfallen, damit ein Publikum noch vor den Vorhang zu locken ist. Der Ring als Kapitalismuskritik und die Anprangerung der sozialen Verelendung der Massen als Auswuchs der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts war das Herz von Patrice Chereaus „Jahrhundert–Ring“-Inszenierung am Grünen Hügel. Chereau: „Der ‚Ring‘ ist eine Beschreibung der schrecklichen Perversion der Gesellschaft, die sich in dieser Erhaltung der Macht begründet, den Mechanismen eines starken Staates und der Opposition.“ Auch damals gab es heftige Pros und Cons. Was als lautstarke Buh-Bravo-Fehde von Traditionalisten- versus Erneuerergeschmäcker begann, endete nach der letzten Götterdämmerung des letzten Zyklus in einem 60-minutigen unbeschreiblichen Jubel. Ich war dabei.

Nun sieht der junge Österreicher Valentin Schwarz als Dreh- und Angelpunkte gesellschaftlicher Zerreißproben und Abartigkeiten in der „Götterdämmerung“ – nicht mehr oder weniger legitim als alle anderen Neubeschreibungen des Inhalts von Opern oder Theaterstücken – in Neid und Saturiertheit erstarrte Familienbande, eine Ehe im emotionalen Aus, deren Partner in die sadistische Falle der teuflischen Neureichentrias Gunther, Gutrune und Hagen fällt. Alle Beziehungen außer vorerst derjenigen von Brünnhilde zu ihrem Kind sind lose durch Abneigung, Hass, Langeweile oder Wahnsinn (Waltraute) geknüpft. Erinnerungen an Positives wie gemeinsames Früheres verpuffen, der Weg der Selbst – und Fremdzerstörung nimmt seinen konsequenten wie sinnlosen Lauf. Auch Brünnhilde verbannt schlussendlich rachedurstig die Mutterliebe aus ihrem Herzen.

Frau Dagmar Manzel erklärt den Schluss der Oper in authentischer Interpretation mit wie immer einfühlsamer Stimme: Hagen streckt Siegfried in dem Moment nieder, in dem dieser in dem eingeschlafenen Kind die Liebe zu Brünnhilde wieder erschaut. Hagen nimmt Brünnhilde das Kind ab. Brünnhilde spricht ein letztes Mal das Urteil über das Geschehen, ehe sie mit allem abschließt. Verklärt schmiegt sie sich an ihren Helden und überlässt sich einem Ende ohne Hinterlassenschaft noch Nachkunft. Die Konsequenzen der Vergangenheit sollen nicht in die Zukunft reichen. Was geschehen ist, soll künftige Generationen nicht mehr beschweren. Der Grundstein für Neues ist gelegt.“

Ist es nicht eine der denkbaren Interpretationen Wagners, mit der erkannten Chimäre des Rings, dem Wallhall’schen Weltbrand und den Fluten des über die Ufer getretenen Rheins den ewigen Kreislauf von Schuld, Rache und Sühne durchbrochen zu sehen. Was Konstruktiveres, Verantwortlicheres muss her und sei das Fünklein der Hoffnung auch noch so klein. Ist es nicht genau das, was viele junge Menschen heute umtreibt? Auf jeden Fall schafft der „Schwarz-Ring“ Raum für anregende Diskussion.  

Wenn ich hervorheben wollte, was ich optisch für besonders gelungen halte, so wären das die (ersten beiden) Bühnenbilder der Andrea Cozzi. Besonders wie das Spiel- und Schlafzimmer des Kindes zur nouveau-riche glatten Behausung der Gibichungen mutiert, gerät durch flux nach oben hinten Klappen des gesamten Bühnenaufbaus technisch spektakulär (Stephan Mannteufel). Das trostlose letzte Bild des leer-abgenutzen Bassins, in dem Siegfried und Sprössling ihre Angelruten in die übrig gebliebenen Pfützen hängen und wo alles endet, hinterließ zumindest bei mir ebenfalls einen starken und bleibenden Eindruck. Die Kostüme von Andy Besuch bewegen sich – ausgenommen der vollmaskierte Glitter-Fantasykrallenmonsterlook der Nornen, sowie diejenigen flashy grünen wie fetisch-lackschwarzen Outfits der Gutrune – im üblichen Hässlichkeitsreigen heutiger Dutzendware.

Szenisch habe ich besonders die ersten beiden Szenen des Ersten Aufzugs und den zweiten Aufzug als dramatisch stringent wahrgenommen. Mit der kämpferischen Fünferaufstellung (Siegfried, Brünnhilde, Gunther, Gutrune und Ghagen) als auch dem wikingerhelmrot maskierten Chor scheint Hagens kriegserklärende Geste und die existenzielle Auseinandersetzung Siegfried-Brünnhilde klassisch angeordnet. Wenngleich reißerisch brutal, bietet die Szene der Entführung und Vergewaltigung Brünnhildes durch Gunther pralles Theater mit Suspense, das sicher keine Langeweile aufkommen lässt.

Den Vogel der Produktion schießt die grelle Personenzeichnung von Gunther und Gutrune ab. Magnum Champagnerflaschenschwingend und dauerkoksend fahrig grinsen sich Gunther und Gutrune lasziv-dämlich über die Bühne. Warum sich diese „Alles-Leisten-Könner“ allerdings das ältlich verbrauchte bürgerliche Paar Siegfried-Brünnhilde zur Verlustigung reinziehen, ist dramaturgisch in dieser Aufstellung wohl nur durch den höllischen Einfluss ihres sadistisch veranlagten Halbbruders Hagen zu erklären. Fürchterlich und schockierend, wie dieser Hagen zuerst den armen Hausdiener Grane (Grane ist in dieser Inszenierung kein Pferd, sondern ein alttreuer Angestellter des Siegfried) als erste Rachemaßnahme an Siegfried foltert und ihm schließlich den Kopf vor dem Foto der familiären Großwildjagd und Zebratrophäe mit einem Messer abschneidet. Der abgetrennte Kopf wird später beim Schlussgesang der Brünnhilde aus einem Plastiksack gezogen und als perverse Rückblende an das Früher wild geküsst. Siegfried wiederum ist beim Anblick der sexuell aufreizenden Gutrune so notgeil, dass er auf alles rund um ihn vollkommen vergisst.

Hagen als abgewixter, aber im Leben zu spät Gekommener ist ein kalter Rächer. Am Schluss bemerkt auch er, dass ihm alles durch die Finger rinnt und erfüllte Rache besonders unbefriedigend sein kann. Dieser zynische Vollstrecker handelt zwar folgerichtig, aber erkennt am Ende die Sinnlosigkeit seines Tuns.

Weniger profiliert werden von der Regie der blass bleibende Alberich, die drei Nornen und Waltraute, die in löchrigem Samtmantel und zerlaufener Schminke ein Mahnmal eines verwahrlost wahnsinnigen Wracks in einer schiffbrüchigen, ihrem Ende zusteuernden Menschheit abgibt, behandelt. Waltraute hat Blut an den Händen, das von Wotans Speersplitter stammt.

Natürlich gibt es unnötiges Regie-Gigi, wie der grüne Schleim als Bruderschaftstrunk zwischen Gunther und Siegfried, den Siegfried statt zu trinken seinem Diener Grane über den Kopf schüttet. Abstrus wirkt im von Großaufnahmen nicht immer klug durchspickten Film, dass auf dem Foto von Brünnhilde und Siegfried, das Brünnhilde dem Abreisenden in den Rucksack packt, eindeutig Andreas Schager und nicht Clay Hilley als Siegfried erkennbar ist. Filmisch nicht unpeinlich ist nicht zuletzt, dass sich beim „toten“ Siegfried während des Schlussgesangs der Brünhilde bei vollem Zoom heftig atmend die Brust auf und ab bewegt.

Musikalisch ist diese „Götterdämmerung“ mehr als durchwachsen geraten. Natürlich liefern Orchester und Chor der Bayreuther Festspiele als immerwährendes Atout viel Feines und wagnerklanglich ungemein attraktiv Abgemischtes. Allerdings lässt das im Detail sorgfältig gearbeitete, aber durchwegs in den Tempi allzu bedächtige Dirigat des Einspringers Cornelius Meister Entscheidendes an Spannung und Drive vermissen.

Die Besetzung wird darstellerisch wie gesanglich von Michael Kupfer-Radecky (Gunther), Albert Dohmen (Hagen) und Elisabeth Teige (Gutrune) angeführt. Vor allem Kupfer-Radecky legt mit seinem kernigen Bassbariton ein intensiv packendes, best-hollywoodreifes Rollenporträt auf die Bretter, das seinesgleichen sucht. Die Ausdruckspalette dieses schlaksig, blond langmähnigem Gunther im Geiss-Look scheint unendlich: verschwitztes Schleimen, versoffene Fratzenmimik, ausgelaugt leerer Blick. Zu egoman selbstgerecht ist dieser Junkie, um seinen Halbbruder Hagen zu durchschauen. Albert Dohmen ist ein stimmlich fabelhafter Hagen, der mit seiner Racheorgie im Nichts landet. Elisabeth Teige mit ihrem jugendlich dramatischen Luxussopran ist eine Klasse für sich, die in der im Grunde undankbaren Rolle der Gutrune stimmlich wie schauspielerisch klasse reüssiert.

Clay Hilley als Siegfried ist optisch das Gegenteil dessen, was sich Klein Maxi unter einem Helden vorstellt. Er fühlt sich sichtlich in der Regie nicht wohl. Stimmlich kommt er mit den Noten zurecht, aber differenziert kaum, von textlicher wie dynamischer Tiefengestaltung habe ich nichts gemerkt. Leider ist die in ihrer absoluten Rollenidentifikation ungemein intensive Brünnhilde der Iréne Theorin stimmlich nicht mehr am Zenit. Übermäßiges Vibrato und Schärfen, kaum noch erreichte Spitzentöne, störende Vokalverfärbungen sind jeglichem Hörgenuss abträglich. Bewundernswert hingegen ist die tolle gestalterische Leistung. Auch bei Christa Mayer als Waltraute überwiegt die beeindruckende darstellerische Präsenz vor vokaler Exzellenz. Der Alberich des Olafur Sigurdarson ist mir stimmfarblich zu hell, sein kleiner Auftritt mit Hagen hinterlässt keinen bleibenden Eindruck.

Von den drei Nornen liefert nur Okka von der Damerau einen verlässlichen Auftritt. Stéphanie Müther (2. Norn) und vor allem die in den hohen Lagen völlig überforderte Kelly God (3. Norn) agieren weder partitur- noch Bayreuth-adäquat.

Witzig ist der Auftritt der drei regiemäßig abgehalfterten Rheintöchter Lea-ann Dunbar (Woglinde), Stephanie Houtzeel (Wellgunde) und Katie Stevenson (Floßhilde) im blondierten „Absolutely Fabulous“ Patsy-Styling. Sie entäußern sich ihrer Vokalisen (ach ja, Konsonanten gäbe es ja auch noch..) im richtigen Takt.

Ich bin gespannt, wie in den diesjährigen Ringdurchläufen die Publikumsreaktionen ausfallen werden. Also auf jeden Fall ist die Konfrontation des Leading Team mit dem in jedem Medium beschriebenen Buhorkan am Schluss spektakulär. Valentin Schwarz und das Team nahmen diese Reaktion mit stoischer Ruhe zur Kenntnis. Heuer soll ja der „Ring“ in Teilen überarbeitet werden. Ob dieser „Ring“ schlussendlich das Zeug zum Kultstatus hat? Ich würde das nicht ausschließen.

Hinweis: Auf der Blu-ray stehen drei Soundformate stehen zur Verfügung: PCM Stereo, DTS-HD MASTER AUDIO 5.0 und Dolby Atmos. Die Bildqualität lautet auf überzeugende 1080i High Definition.

Fazit: Eine interessante und durchaus spannende Begegnung mit einer seriös diskussionswerten Lesart, die grosso modo auch von der Musik getragen wird. Auf jeden Fall ist das finanzielle Risiko der Blu-ray im Vergleich zu einer Live-Aufführung geringer. Für den Gegenwert von in etwa drei Festspiel-Sektgläsern ist diese Blu-ray zu haben. Da ginge sich im Supermarkt eventuell noch eine Flasche Rotkäppchensekt dazu aus.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken