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Blu-ray JOHN GAY „THE BEGGAR’S OPERA“ – Live Aufnahme aus dem Pariser Théâtre des Bouffes du Nord vom April 2018; Opus Arte

22.02.2021 | dvd

Blu-ray JOHN GAY „THE BEGGAR’S OPERA“ – Live Aufnahme aus dem Pariser Théâtre des Bouffes du Nord vom April 2018; Opus Arte

 

Junge Leut‘ und alte Schachteln

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In einem Theater voller Patina am wilden Pariser Boulevard de la Chapelle unweit vom Gare du Nord waren lange Jahre Peter Brook und sein Ensemble zu Hause. 2018 haben in diesem Théâtre des Bouffes du Nord William Christie und seine Musiker vom Originalklang-Ensemble „Les Arts Florissants“ eine harmlose, aber schauspielerisch gut geschmierte Produktion von der berühmten im Londoner Gangstermileu spielenden Balladenoper aus den Federn von John Gay und Johann Christoph Pepusch erarbeitet. Natürlich in einer textlich gekonnt auf heute getrimmten Version von Ian Burton und Robert Carsen, die ihren Zweck erfüllt.

 

Jede Menge an zugeklebten Schachteln/Kartons häufen sich zum simplen, aber wandelbaren, farblich dusteren Einheits-Bühnenbild. Als Requisiten dienen Schnapsflaschen, Gläser, ein Billardtisch und diverse die Kokssucht des Bühnenpersonals befriedigende Werkzeuge.

 

1728 geschrieben, ist „The Beggar‘s Opera“ nichts weniger als eine Oper. Die Autoren haben einfach auf eine Reihe (vorhandener) populärer und klassischer Songs ihres noch jungen 18. Jahrhunderts ein Stück montiert, das einen komödiantischen Blick in das Leben der Möchtegern-Killer, Diebe und sonstigen Halbstarken, der Prostituierten sowie der korrupten Staatsgewalt erlaubt. Aus heutiger Einordnung ist das Stück ein typisches Musical mit jeder Menge an gesprochenen Texten, vielen leichtfüßig barocken Liedchen und wenigen Ensembles.

 

Die Handlung ist einfach und sentimental. In Wahrheit geht es um stereotype Liebesgeschichten und Heiratssachen im Gangstermilieu: Hoch her geht es gerade beim Clan der Peachums. Familienoberhaupt Papa Peachum, Hehler und Kopfgeldjäger, will den schönen Dieb und Sexprotz Macheath ans Messer liefern. Wie das Leben aber so will, ist der junge smarte Obergauner mit Peachums Tochter Polly liiert. Nicht nur das, Polly hat den wegen seiner zahllosen Affären mittellosen Frauenhelden auch noch heimlich geheiratet. Der Familienrat beschließt, die dezenteste Lösung wäre die Witwenschaft, nachdem dieser Schuft am Galgen seine verdorbene Seele ausgehaucht hat. Also sorgt Peachum für dessen Arretierung in Diana Trapes Taverne. 

 

Alles gut, wäre da nicht Lucy, die Tochter des Gefängnisbeamten Lockit, die Macheath geschwängert hat. Trotz aller offensichtlicher Untreue fällt Lucy nochmals auf Macheaths Vorstadt-Schmäh herein, stiehlt den Schlüssel vom Vater und befreit den Mann. Was sie rasch bereut, denn der Schuft kehrt sofort zu seiner Polly zurück. Hingegen hilft Jenny, eine der von unserem Antihelden vernachlässigten Prostituierten, Peachum und Lockit dabei, Macheath rasch wieder hinter Schloss und Riegel zu bringen. Eigentlich will Lucy ihre Gegenspielerin auf dem Schlachtfeld sexueller Gier Polly vergiften. Als sie vom Todesurteil Macheaths erfahren, gehen die beiden als plötzlich beste Freundinnen ins Gefängnis, um Abschied zu nehmen. Brauchen Sie aber nicht, weil ihr Hengst ohnedies pardoniert wird. Happy End.

 

Die spielfreudige, durch und durch englischsprachige Besetzung wird angeführt von der herrlich rotlichternden, deftig hüftschwingenden Beverly Klein in der Doppelrolle der Mrs. Peachum und der Schenkenwirtin Trapes. Am liebsten würde auch sie sich von Macheath auf dem Billardtisch flachlegen lassen. Den wiederum stattet der englische Musical Star und Bühnenschönling Benjamin Purkiss mit allen Attributen eines aalglatten Dreigroschengauners aus. Alle weiblichen Wesen gehen dem hormongesteuerten Jüngling der Reihe nach auf den Leim, seien es die ziemlich bieder auftretende Kate Batter als Polly oder die etwas temperamentvollere Olivia Bereton als Lucy. Robert Burt als Mr. Peachum und Kraig Thornber als Lockit geben mit Eifer die ölig bierbauchbewehrten Vertreter des korrupten Establishments. Die Schar von Macheaths Bandesbrüdern als auch die Barmädchen, allesamt mit gehörig West End Flair, tragen zur flotten Gangart und Atmosphäre der Aufführung bei. Die Dialoge gehen allen spritzig und leicht von den Lippen, die „Sangeskünste“ erreichen landauf landab gängiges Musical-Niveau. Für meine Ohren klingen alle diese musical-geschulten Stimmen ziemlich ähnlich.

 

William Christie am Pult und Cembalo sorgt mit seinem neunköpfigen Instrumentalensemble (2 Violinen, Viola, Cello, Kontrabass, Flöte, Oboe, Schlagzeug und Theorbe) für den professionellen Orchestersound.

 

Fazit: Als lebendig quirliges Stück Volkstheater erweist sich die Aufführung als amüsant und kurzweilig. All die barocken 0-8-15 „Liedchen“, sprich die Partitur, reißt mich nicht vom Hocker. Da hat Kurt Weill in seiner vom Sujet her ähnlichen „Dreigroschenoper“ seine kompositorischen Messer schärfer gewetzt. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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