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Blu-ray JEAN-BAPTISTE LULLY „ATYS“ – Filmmitschnitt der Wiederaufnahme der Produktion von Jean-Marie Villégier an der Opéra Comique vom Mai 2011

Dr. Ingobert Waltenberger

17.09.2021 | dvd

Blu-ray JEAN-BAPTISTE LULLY „ATYS“ – Filmmitschnitt der Wiederaufnahme der Produktion von Jean-Marie Villégier an der Opéra Comique vom Mai 2011

William Christie ist mit der szenischen Aufführung dieser Tragédie en musique in einem Prolog und fünf Akten 300 Jahre nach ihrer Entstehung ein musikhistorisches Ereignis geglückt.

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Warum es zehn Jahre dauert muss, bis ein Video einer solch prächtigen Bühnenrealisierung samt einer fantastischen Sängerriege auch kommerziell vermarktet wird, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Schwamm drüber. Die Premiere stammt ja schon aus dem Jahr 1987. Anlass war der 300.Todestag von Lully. Es handelte sich ursprünglich um eine Co-Produktion mit der Brooklyn Academy of Music, dem Théâtre de Caen und der Opéra National de Bordeaux.

William Christie hat Lullys Meisterwerk „Atys“ bereits 2009 als (aktuell vergriffene) Studioproduktion bei harmonia mundi mit de Mey, Laurens, Mellon, Gardeil, Fouchécourt und Veronique Gens herausgebracht. „Es gab einige wichtige Momente in der Geschichte der Arts Florissants, aber einer sticht unter allen hervor – das war, als wir ‚Atys‘ aufführten“, schwärmte William Christie über dieses musikgeschichtliche Ereignis. Der Grund: Die erste szenische Aufführung nach einer 300-jährigen Pause löste ein enormes internationales Echo aus. Die französische Barockoper samt Tanz und Bühnenzauber, mit einem Wort, all ihrem zeremoniell pompösen Glanz waren wieder in aller Munde. 2011 finanzierte der US-amerikanische Mäzen Ronald P. Stanton eine Wiederaufnahme der optisch märchenhaften Inszenierung.

Lully und Quinault ließen sich zur höheren Ehre und amüsierlichen Unterhaltung des König Ludwigs XIV. folgende Tragödie einfallen: Eine Göttin (Cybele) liebt einen schmucken Jüngling (ihren Hohepriester Atys), dessen Sinne nach einer lieblichen Nymphe (Sangaride) trachten, die aber einen engen Freund (den phrygischen König Celænus) heiraten soll und das auch tut.

 

Obwohl göttlich, weiß Cybele nichts von Atys‘ unumstößlichen erotischen Fantasien. Kein Wunder, dass sie sich, nachdem sie dem Begehrten mit einer langen traumartigen Liebesszene huldvoll nachstellt, eine geschmalzene Abfuhr einhandelt. Bei der finalen Rache, die offenbar besser funktioniert als der Göttin Hellsicht in Liebesdingen, beginnt Atys mit Hilfe der Zauberkünste der Furie Alecton zu halluzinieren. Er ersticht die ihm als Monster erscheinende Sangaride mit dem Opfermesser. Wieder bei Sinnen, metzelt Atys sich selbst. Die trauernde Cybele verwandelt den so Entleibten in ihre Lieblingspflanze, eine Pinie. So kann er ihr immer nah sein, ohne Konkurrenz fürchten zu müssen.

 

Die Musik ist ein weiteres Exempel an hochgradig kunstreichem französischem Hochbarock. Der amerikanisch stämmige, in Frankreich lebende Dirigent und Cembalist William Christie ist nicht nur ein quicklebendiger Pionier der Alte Musik Bewegung, sondern abseits alles akademischen Hintergrundes auch ein Theatermusiker ersten Ranges. Ob rezitativische, dennoch immens ornamentierte Arien und Ensembles, dem Höheren dedizierte Chöre oder tänzerisch höchst abwechslungsreich rhythmisierte Ballette, er trifft den passenden Ton, idiomatisch untadelig und funkensprühend.

Dazu ist die Aufführung mit einem großteils französischsprachigen Ensemble (der unglücklich verliebte Titelheld Bernhard Richter ist Schweizer) gesegnet, das die Sprache, Artikulation und den so heiklen Ziergesang mit großer Natürlichkeit beherrschen.

 

Wunderbar!

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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