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Blu-ray JACQUES OFFENBACH „BARBE-BLEUE“ – Live Opéra National de Lyon 2019

25.10.2021 | dvd

Blu-ray JACQUES OFFENBACH „BARBE-BLEUE“ – Live Opéra National de Lyon 2019

 

Routiniert gekonnte und humorvoll servierte Regie von LAURENT PELLY  in Co-Produktion mit der Opéra de Marseille und der Royal Opera House von Muscat; Opus Arte

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 Vergessen Sie Bartóks grausame Version des frauenmordenden düsteren Königs Blaubart, hier kommt Offenbach, der den blutrünstigen Stoff zu einer musikalisch beschwingten Opéra bouffe um schwach-dümmliche Herren und mächtig auftrumpfende Frauen gestaltet hat. Dank des weichherzigen Alchemisten Popolani (köstlich als Klaus Kinsky/Noseferatu Persiflage Christopher Gay) werden Blaubarts unglücklichen Ehefrauen nicht mit Gift in die ewigen Jagdgründe befördert, sondern „nur“ mittels Schlafmittel sediert. 

 

Die Rache der wieder erwachten „Dornröschen“ lässt nicht auf sich warten. Am Ende, als Blaubart Fleurette als siebente Frau heiraten will, eilen die zornigen Fünf samt der männervernaschenden, üppig  junonischen Boulotte als Zigeunerinnen zum Schloss des verrückten Königs Bobèche. Dort lösen sich die Knoten: Die fünf zuerst (beinahe) um die Ecke gebrachten Frauen heiraten die Ex-Höflinge, die Königstochter Hermia bekommt ihren Prinz Saphir und Blaubart muss mit der erotisch männermordenden Boulotte (deftig auftrumpfend Héloïse Mas) Vorlieb nehmen. Die akzeptiert den Wüstling wegen seines Geldes und weil sie den blau bebarteten Prolo-Schwachmaten im Griff zu haben glaubt. 

 

Henri Meilhac und Ludovic Halévy haben aus Charles Perraults Geschichte des serienmordenden Blaubart aus dem 17. Jahrhundert eine wunderbare Politsatire auf die Regentschaft des Napoleon III., aber auch die sexuell degenerierte und geschäftlich unehrenhafte Bauernschaft, also am Ende die daraus resultierenden lächerlichen Machenschaften der mächtig testosterongeplagten Männergarde angesichts der überaus gewitzten weiblichen Counterparts geschaffen. 

 

Dabei ist die Geschichte dieser am 5.2.1866 im Théatre des Variétés in Paris höchst erfolgreich (5 Monate Aufführungen en suite in Paris, zugleich Neuproduktionen in London, Wien und Brüssel) uraufgeführten Farce ja beileibe kein ungetrüber Spass: Sie beginnt mit einer schrecklichen Kindesweglegung des Königs Bobèche, der seine neugeborene Tochter der Thronfolge wegen kurzerhand in einen Korb packen lässt und den Fluten eines Flusses überlässt.  Als natürlich gerettete Hirtin Fleurette hat sie ein Gspusi mit dem als Bauern verkleideten Prinzen Saphir (als Jüngling nicht mehr ganz taufrisch Carl Ghazarossian), hinter dem wiederum die stallmiefige Bäuerin Boulotte her ist.

 

Es ist Laurent Pellys elfte Regiearbeit eines Offenbach-Stücks. Er scheint die so spezielle musikalische Sprache all dieser satirischen Chansons und Ensembles im Schlaf in eingängige Tableaus übersetzen zu können. Seine Bühnenbildnerinnen Chantal Thomas und Camille Dugas haben dazu die einfachen, dennoch wirkungsvollen Szenerien einer ärmlich-rostigen, strohballbestückten Wellblechscheune, eines Giftverlieses mit ausreichend Leichen-Kühlfächern und eines stilisiert geschmacklosen königlichen Salons geschaffen. Darin lässt sich diese Satire trefflich augenzwinkernd aufführen, Pelly bleibt aber in der Bewegungsregie des Chors und der schablonenhaften Körpersprache seiner Protagonisten distanziert routiniert, sodass sich keine echte Champagnerlaune einstellen will. 

 

Die Stärke der Aufführung liegt in der gediegenen musikalischen Umsetzung durch den Chor und das Orchester der Opéra de Lyon, temperamentvoll flott dirigiert vom in Mailand geborenen Geiger und Dirigenten Michele Spotti. Das Ensemble auf der Bühne lebt von seiner Spielfreude und den trefflich gewählten Typen. Stimmlich setzt man auf leichte, eher charaktervoll denn schön-timbrierte Stimmen. Ob der großartige Yann Beuron in der Titelpartie, das Bühnentier Héloïse Mas als emanzipierte Boulotte, Christophe Mortagne als dämlicher König Bobèche, die quirlige Jennifer Courcier als Fleurette alias Königstochter Hermia, der steif bebrillte Thibault de Damas als Count Oscar oder Aline Martin als Königin Clémentine, sie alle entzücken als schräg gezeichnete Zerrspielgebilder einer dekadenten Gesellschaft, die den abstrusen Machenschaften am Königshof und den fetischgesteuerten Gelüsten des perversen, alle Frauen beglücken wollenden Aristokraten Blaubart allzu bereitwillig folgt. Da ist jede/jeder sich die/der Nächste. Abgehoben feiert sich eine clowneske, sich nur um die eigenen Launen und Fantasien drehende Clique an staatstragenden oder bäuerlichen Narren. Gleichviel. Offenbach ist mit diesem Barbe-Bleue wohl eines der schärfsten zeitkritischen Stücke geglückt, weniger gassen-melodienselig und cancanbewehrt als die deshalb berühmteren Operetten „La Perichole“, „Orphee aux Enfers“, „La belle Hélène“ oder „La Vie parisienne“. Nichtsdestotrotz zählt vor allem die zweite Szenen des zweiten Aktes in Popolanis Labor mit der mitreißenden Sturmmusik und der alle Frauen zum Leben erweckenden elektrischen Musikmaschine zum Besten, was Offenbach geschrieben hat. 

 

Die Blu-ray enthält zudem den 50-minütigen Dokumentarfilm „Tales of Offenbachvon Reiner E. Moritz, spannend erzählt von Dame Felicity Lott und Barrie Kosky mit vielen Details aus Offenbachs Leben, die vielleicht nicht jedermann geläufig sind. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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