BLU RAY: Giacomo Puccini MANON LESCAUT. C Major Entertainment, 766404
Starke Vorstellung
Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Abbé Prévost, handelt es sich bei Giacomo Puccinis veristischer „Manon Lescaut“ um eine Geschichte voller Leidenschaft, Tragik und menschlicher Schwächen. Die Oper wurde erstmals im Jahr 1893 uraufgeführt und ist seitdem Bestandteil des Repertoires vieler renommierter Opernhäuser weltweit. Puccini schuf mit „Manon Lescaut“ eine musikalische Darstellung der Liebe und des Verlustes, die durch seine mitreißende Musikalität und emotionale Tiefe das Publikum fesselt. Die Aufführung von Giacomo Puccinis „Manon Lescaut“, erschienen beim C Major-Label, aufgeführt im Gran Teatre del Liceu in Barcelona, stellt eine interessante Interpretation des klassischen Werks dar. Regisseur Davide Livermore bringt frische Elemente in die Inszenierung ein, darunter eine unkonventionelle Kulisse und zusätzliche Charaktere, die jedoch nicht immer nahtlos in das Gesamtbild passen. Eine der auffälligsten Entscheidungen war die Verlegung des Schauplatzes von Puccinis Vorstellungsort Amiens ins New Yorker Ellis Island der 1920er Jahre. Diese Änderung eröffnet neue Interpretationsmöglichkeiten, wirkt jedoch manchmal erzwungen und ablenkend, insbesondere durch die Einführung eines älteren Des Grieux. Die ständige Anwesenheit dieser Figur, gespielt von Albert Muntanyola, lenkt oft von der Handlung ab und hinterlässt einen zwiegespaltenen Eindruck. Livermores Bühnenbilder, unterstützt von Giò Forma, sind optisch prächtig, aber mit einigen Ungereimtheiten. Zum Beispiel wird der Wagen aus Arras durch eine Dampflokomotive ersetzt, was den Kontext von Puccinis ursprünglicher Vision verwischt. Ähnlich unkonventionell ist die Darstellung von Gerontes Haus als derbes edwardianisches Bordell, was zwar visuell ansprechend ist, aber den Charakteren und der Handlung nicht gerecht wird. Die Kostüme, entworfen von Giusi Giustino, tragen zur Charakterisierung der Figuren bei und fügen sich nahtlos in das Gesamtbild der Inszenierung ein. Sie verleihen den Charakteren Authentizität und helfen, die Zeit und den Ort der Handlung zu vermitteln. Die Leistung der Sänger in der Aufführung zeigt eine breite Palette von Interpretationen, die von herausragend bis durchschnittlich reichen.
Liudmyla Monastyrska als Manon zeigt eine beeindruckende stimmliche Beherrschung ihrer fordernden Rolle und emotionale Tiefe. Obwohl ihre Diktion verbessert werden könnte, erfüllt sie bestens die stimmlichen Anforderungen der Rolle und verleiht ihrer Manon eine überzeugende Darstellung. Besonders bemerkenswert ist ihre Fähigkeit, die ausgedehnten Phrasen mit einem feinen Legato-Gesang zu formen und die emotionalen Nuancen der Rolle empfindungsstark auszudrücken. Mit ihrem Partner entsteht aber nicht wirklich brennende Leidenschaft. Gregory Kunde als Des Grieux präsentiert eine ambivalente Leistung. Natürlich ist seine spätere internationale Weltkarriere eine tolle Geschichte. Und es ist schon erstaunlich, wie ausdauernd er sich in den letzten Jahren die wichtigsten Tenorpartien aus dem Spintofach und den noch schwereren Rollen erobert hat. Nun ist die Partie des Des Grieux ob seiner Anforderung nicht selten als „Killerpartie“ verschrien. So wundert es nicht, dass auch ein so großer Könner, wie Kunde es unbestreitbar ist, auch mit dieser Rolle hörbare Grenzen erreicht. Optisch kann er den jungen, heißblütigen Studenten nicht mehr beglaubigen. Immer wieder hat er mit den stimmlichen Herausforderungen zu kämpfen und erreicht dabei nicht immer die lyrische Kantilene, die die Rolle auch erfordert. Mario del Monaco sagte einmal über die Schwierigkeiten des Des Grieux: „Lieber singe ich zwei Vorstellungen Otello hintereinander, als den Des Grieux!“ Kunde schaffte es an diesem Abend, alle Töne zu singen, auch z.B. das hohe C im vierten Akt. Aber die physische Arbeit, die ihm die Rolle bereitete, ist spürbar. Erschwerend dürfte sich für ihn ausgewirkt haben, dass die Chemie zwischen ihm und Monastyrska ziemlich fehlt. Trotz kritischer Einwände gelingt Kunde ein starker Eindruck mit seiner Rollengestaltung. Erstaunliches ist von Veteran Carlos Chausson, in der Rolle des Geronte di Ravoir, zu berichten. Er brilliert auf der Bühne mit einer beeindruckenden Präsenz und einer hervorragend unterstützten Gesangstechnik. Seine Charakterisierung von Geronte ist lüstern als auch hinterlistig, und seine Rollengestaltung ist ein unerwartet prägender Faktor der Aufführung. Sein Spiel mit Nuancen und Akzenten ist vorbildlich. Der serbische Bariton David Bižić sang die verachtenswerte Rolle des Spielers und Zuhälters, Manons Bruder, mit überzeugender Charakterisierung und stimmlicher Sicherheit. David Sánchez zeigte in seiner kurzen Erscheinung als mitfühlender Schiffskapitän eine kraftvolle Stimme. Der Gastwirt und der Tanzmeister (Marc Pujol und José Manuel Zapata) waren nicht besonders hervorstechend, während Carol Garcia als Sängerin gute Momente im Madrigal mit eleganten Verzierungen hatte. Mikeldi Atxalandabaso war als Entführer Edmondo nicht besonders beeindruckend und wirkt zuweilen erstaunlich angestrengt.
Die musikalische Leistung von Chor und Orchester zeigt sich variabel. Puccinis Partitur ist voller hinreißender Melodien und lyrischer Höhepunkte, doch Emmanuel Villaume führte das Orchester des Gran Teatro del Liceo mit allzu viel Vorsicht. Die Leidenschaft zeigte sich da nur selten. Villaume musizierte ausgewogen und vermied jegliche veristische Übertreibung. Ein Gefühl der deutlichen Zurückhaltung in Villaumes Gesamtleitung zeigt sich somit auch im lediglich soliden Orchesterspiel. Das Orchester des Liceu hätte sicherlich gut daran getan, deutlicher aufzutrumpfen. Dem Liceu-Chor mangelte es sicherlich nicht an Elan und Engagement, aber nicht immer befinden sich die Chorsänger im Einklang mit dem Orchester. Alles in allem zeigt die Aufführung von Giacomo Puccinis „Manon Lescaut“ im Gran Teatre del Liceu in Barcelona eine kurzweilige Interpretation eines zeitlosen Werkes, die jedoch mit einigen kreativen Entscheidungen und Leistungen zu kämpfen hat. Regisseur Davide Livermore bringt frische Elemente in die Inszenierung ein, aber nicht immer nahtlos und überzeugend. Die Leistungen der Sänger variieren von herausragend bis durchschnittlich, wobei Liudmyla Monastyrska als Manon und Carlos Chausson als Geronte besonders hervorstechen.
Dirk Schauß, im März 2024
Giacomo Puccini
Manon Lescaut
C Major Entertainment, 766404