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Blu-ray GEORG FRIEDRICH HÄNDEL „ARIODANTE“ – live von den Salzburger Sommerfestspielen, Haus für Mozart 2017; Unitel

01.06.2021 | dvd

Blu-ray GEORG FRIEDRICH HÄNDEL „ARIODANTE“ – live von den Salzburger Sommerfestspielen, Haus für Mozart 2017; Unitel

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Bartoli, Lewek, Piau und Dumaux sind die virtuos schillernden Stars einer musikalisch denkwürdigen Aufführung

Das Ritual ist bekannt: Die Premiere findet zu Pfingsten statt, im Sommer wird wiederholt. Cecilia Bartoli, die die Salzburger Pfingstfestspiele seit 2012 leitet und in maßgeschneiderten Produktionen selbst als exaltierte Diva in Hauptrollen von Musical bis Oper reüssiert, ist damit auch im Sommer ein wichtiger und stabiler Faktor der sommerfrischigen Salzburger Opernszene. 2017 gab es das Dramma per musica in drei Akten „Ariodante“, die 33. Oper Georg Friedrich Händels, in einer kühl-ästhetisierenden Inszenierung von Christof Loy zu sehen. Als Vorgeschmack auf Bartolis Rolle als musikalische Fürstin von Monaco – ab Januar 2023 soll die Mezzosopranistin als erste Frau die Leitung der Oper von Monte Carlo übernehmen – wurde das 2016 gegründete Barockensemble „Les Musiciens du Prince-Monaco“ unter der Stabführung von Gianluca Capuano engagiert. Der Filmmitschnitt (DVD, Blu-ray) ist jetzt bei Unitel erschienen.

Eine ritterliche Liebes-Farce ist es, die basierend auf Ludovico Ariostos Epos „Orlando Furioso“ durch die Jahrhunderte als beliebter Theater- und Opernstoff oder als Vorlage für Ritterparodien kursierte. Diffamierte Frau und Schwerterkampf auf Leben und Tod um die Wiederherstellung der weiblichen Ehre als raues Gottesurteilsverfahren. Von Boccaccios „Decamerone“, Shakespeare „Cymbeline“ bis zu den Opern „Euryanthe“ und „Lohengrin“ reicht die Bandbreite der vielen Textbücher, die dem Kern der spätmittelalterlichen Erzählung folgen. Händel stützte sich auf das Libretto „Ginevra, principessa di Scizoa“ des Medici-Leibarztes und Florentiner Hofpoeten Antonio Salvi. Auf jeden Fall haben wir es in der anonymen Adaption für Händel mit harschen schottischen Regeln zu tun: Wenn kein Fürsprecher ihren Ankläger im Duell besiegt, wird die (angeblich) unkeusche Frau hingerichtet. Blutvolle, lebensnahe Charaktere bevölkern die Bühne, wenngleich keiner so recht alle Handlungsmotive verstehen mag. Offenbar reicht ein bloßes Anklagen von Untreue durch den von Ginevra abgewiesenen Polinesso (als Beweis dient, dass er durch Hofdame Dalinda als Ginevra verkleidet den Zutritt zu den königlichen Gemächern erwirkt) als Selbstmordmotiv des Verlobten Ariodante und des Königs von Schottland voreiliges Richten seiner Tochter.

Die Inszenierung von Christof Loy stützt sich auf das Bühnentemperament und die Ausdruckskraft seines zumindest in den Frauenstimmen erstklassigen Ensembles. Die von ihm bevorzugten weiß gelackten hohen Räume mit ein paar „Schöner Wohnen“ gerechten Designerstücken und vereinzelten Natur-Prospekten nach Motiven „Alter Meister“ sind mittlerweile eine Art Markenzeichen geworden und aus Produktionen wie „Euryanthe“ (Theater an der Wien), „Figaro“ (München) oder „Così van tutte“ (Salzburg) sattsam bekannt. So optisch risikolos unverbindlich geht Loy auch seinen „Ariodante“ für Salzburg an. Dass bei dieser Oper mindestens die Hälfte der Handlung im Freien spielt, wird bildlich erst am Schluss übersetzt. Was Loy erfreulicherweise exzellent gelingt, ist eine wirklich den Namen verdienende, sowohl auf die Figuren als auch die konkreten Sängerinnen und Sänger abgestimmte Personenregie, die so maßgeschneidert wirkt wie die edlen, keiner speziellen Epoche zuzuordnenden Kostüme von Ursula Renzenbrink.

Natürlich ist die Intendantin Cecilia Bartoli in der Titelrolle zurecht das Zugpferd der Aufführung. In schwarzem Kleid, wallender Mähne, mal bärtig, mal nicht, fegt sie über die Bühne wie einst der „Wilde mit seiner Maschin‘“. Dieser Ariodante ist ein echter Borderliner mit Todesangst vor der geringsten Störung seiner als naturidyllisch und ideal betrachteten Beziehung. Dafür kämpfen? Nein, lieber im Meer ersaufen. Nach Dalindas Geständnis und Lösung des Konflikts ist wieder alles Wonne, Waschtrog. Während der furiosen Arie „Dopo notte, atra e funesta“ aus dem dritten Akt darf Ariodante sogar cool entspannt eine Zigarre schmauchen. Bartolis Legato ist legendär, die endlosen Kantilenen und Bögen der langsamen Arien (himmlisch „Scherza infida in grembo al drudo“) spinnt sie in unnachahmlicher technischer Meisterschaft. Die Koloraturen sitzen wie eh und je, sind aber im Laufe der Jahre härter geworden. Das Gesamtkunstwerk Bartoli funktioniert aber gerade in dieser von kalt-warmen Gemütsbädern des Titelhelden getragenen Barockshow bestens.

Die junge Amerikanerin Kathryn Lewek begeistert – mit ihren acht Solonummern von Händel am besten bedacht – als übel verleumdete Ginevra in ihrer beseelten Darstellung bis hin zum Wahnsinn ebenso wie mit ihrem bestens geführten, höhen- und koloratursicheren lyrischen Sopran. Im finalen Duett mit Ariodante „Bramo aver mille vite“ beschwört sie die tausend Leben, die sie einander weihen wollen. Na ja, man ahnt schon, bei der nächsten geringsten Schwierigkeit könnte es wieder eng werden.

Ganz besonders in den Bann zieht Sandrine Piau als frustrierte, schon etwas welk gewordene, in Torschlusspanik gnaden- und kritiklos in Polinesso, den Herzog von Albyny, verschossene Hofdame Dalinda. Als Stilistin alter Schule vermag Piau ihren Gesang neben aller Schönheit und Ebenmäßigkeit des Tons zu einem Maß an melancholischer Wahrhaftigkeit aufzuschwingen, das tief berührt. Die arme Dalinda verfällt nämlich auf Gedeih und Verderb den falschen Beteuerungen Polinessos. Erst als dieser sie ermorden lassen will, durchschaut Dalinda die unwürdigen Versprechungen und hinterlistigen Schwüre des diabolischen Intriganten. Der französische Countertenor Christophe Dumaux bietet die beste männliche Leistung des Abends. Dumaux bringt den ränkeschmiedenden Fiesling nicht nur optisch glaubwürdig über die Rampe, er kann die zersetzerische Macht seines Tuns auch stimmlich überzeugend umsetzen. Kraftvoll in den Raum gepfefferte Koloraturen, eine pastose Tiefe und grell geifernde, allen Zynismus der Figur beschwörende Stimmfarben vermitteln ein eindringliches Porträt des dunklen Bösewichts der Oper.

Weniger gut ist es um die Besetzung des um eine fragliche Staatsräson bemühten Königs von Schottland mit dem bestenfalls rollendeckenden, in der Tiefe blassen Nathan Berg und des Lurcanio, Bruder und im Duell rächender Fürsprecher der Ginevra, mit Rolando Villazón bestellt. Villazón rückt dem unglücklich in die Hofdame Dalinda verliebten, von der Handlung her Recht und Ordnung repräsentierenden Lurcanio mit veristischen Unarten wie Schleifer und Seufzer unsanft zu Leibe. Trotz seines engagierten Spiels und der Bühnenpräsenz ist Villazón von Typ und Stil her eine Fehlbesetzung.

Gianluca Capuano bemüht sich, der Partitur mit dem guten, aber keinesfalls brillanten oder luxuriös klingenden monegassischen Barockensemble in all ihrer Vielfalt und Ausdruckstiefe gerecht zu werden, die ziemlich schizophrene Fallhöhe der Kontraste zwischen schwärzester Verzweiflung und pastoraler Heiterkeit in ein schlüssiges Gesamtkonzept zu fügen. Da die Rezitative in dieser Oper zugunsten einer dichteren Abfolge der Arien, Duette und Ballette auffällig verkürzt sind, zählt Ariodante trotz der über drei Stunden netto Spielzeit zu den spannendsten Schöpfungen Händels. Capuano gelingt jedenfalls eine kurzweilige, instrumental dichte Wiedergabe dieses musikalischen Märchengartens. Die Filmaufnahmen sind brillant, die Tontechnik lässt keine Wünsche offen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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