Blu-ray „FUOCO SACRO“ – Ein Film von JAN SCHMIDT-GARRE; Naxos
Diven heute: Grenzüberschreitungen in der Oper mit ERMONELA JAHO, ASMIK GRIGORIAN und BARBARA HANNIGAN
Was wäre die Oper ohne unsere geliebten Primadonnen, die Sopranistinnen, die jeden Abend ihr Äußerstes, manchmal sogar ihr Bühnenleben für ihr Publikum aushauchen. Die so tief in ihre Rollen eintauchen, dass sie die extremen Schicksale einer Tosca, einer Salome, einer Madama Butterfly nicht mehr interpretieren, sondern im wahrsten Sinn des Wortes verkörpern. Die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit scheinen zu verschwimmen. Das Publikum darf Zeuge von Gefühlen werden, sie selbst nachempfinden oder sich sogar mit ihnen identifizieren, die in unserem sterilen, von immer mehr Tabus regierten Alltag längst verpönt sind. Und das mit der schönsten Musik, die uns erst recht in fiktiv-irreale Räume entführt, auf verborgene Ebenen hievt, die immer wieder unser Bewusstsein schärfen und im besten Fall ihre kathartische Wirkung entfalten.
Der Rausch der Oper, ihrer Emotionen, ihrer gefährlichen Schönheit, der damit verbundenen Einsamkeit und des Schmerzes, das ist der Gegenstand dieses Films von Jan Schmidt-Garre. Aber auch die Gefahren einer Arena, der übersteigerten Erwartungen eines Publikums in Gladiatorenkampflaune, werden thematisiert. Asmik Grigorian stand nach der weltweit von der Kritik in Salzburg bejubelten Salome dermaßen unter Druck, dass sie die nächste Aufgabe ebenda nicht ohne beta Blocker überstand. Gott sei Dank ging alles gut. Was passieren kann, wenn ein Ton daneben geht, haben wir bei der öffentlichen Hinrichtung der Cheryl Studer an der Wiener Staatsoper bei der Troubadour Premiere erlebt. Der schwärzeste aller Opernabende, was die potentielle Grausamkeit der Bestie Publikum anlangt.
Schmidt-Garre, der 1988 mit seinem Opern-Roadmovie „Opera Fanatic“ eine skurrile Reise in die Eingeweide der italienischen Oper der 50er und 60-er Jahre mit Magda Olivero, Leyla Gencer, Giulietta Simionato, Anita Cerquetti, Fedora Barbieri, Carla Cavazza u.a. unternahm, fand als Ausgangspunkt des neuen Streifens ein Hörerlebnis im Autoradio.
Auf dem Programm stand die Präsentation der CD „Zaza“ von Leoncavallo mit Ermonela Jaho in der Titelrolle. Die Stimme traf Jan Schmidt-Garre wie ein Blitz. „Es war ein Beben in dieser Stimme, Verletzlichkeit, Wissen, Menschsein, wie ich das eigentlich nur von der Callas kannte.“ Schmidt-Garre fuhr nach London, um Jaho als Butterfly zu hören und wurde Zeuge einer jener seltenen Momente, in denen Kunst und Realität ineinander übergehen, wie beim Tod Keilberths beim Dirigieren des Tristan. Damit der Film kein „bloßes“ Porträt wird, hat Schmidt-Garre sich entschieden, seine Suche nach Grenzüberschreitungen, nach denen wir letztlich suchen, wenn wir ins Theater gehen, auch auf das künstlerische Schaffen der Sängerinnen Barbara Hannigan („Eine, die intellektuell ist, reflektiert, kühl, experimentierfreudig, geradezu sportlich im Austesten und Ausweiten der eigenen Mittel“) und Asmik Grigorian („Die sei zugleich antike Tragödin und Mensch von heute, texttreu und total frei, Teenager und Frau.“) auszudehnen.
Im Film erzählt und montiert Jan Schmidt-Garre Mitgeschnittenes aus Proben (u.a die Probe zu Suor Angelica mit Jaho und Petrenko), Aufführungen, das Abhören mit geschlossenen Augen, das Davor und das Danach in der Garderobe. Öffentliches und Intimes, Persönliches und der magische Vorhang der Verwandlung in einen Bühnenfigur und das daraus Erwachen, all das kann in Nahaufnahme betrachtet werden.
„Mit der Stimme weinen“: Diesen Satz der wunderbaren Carla Gavazza im Gespräch mit dem Tenor Stefan Zucker (laut „Guinnessbuch der Rekorde“ singt er den höchsten Tenor der Welt. Daneben ist er Rabbi, Clochard und Gentleman) montiert der Regisseur in den Film, bevor er Ermanelo Jaho beim Hören der herzzerreißenden Schlussszene der „Suor Angelica“ zeigt. „Salva me, salva me“. Die Albanierin Jaho ist diejenige im Film, die den Glanz und das Elend des mythischen Diventums am besten inkarniert. Ihr charakteristisch timbrierter, glühender Sopran – von den Stimmfarben irgendwo zwischen der Innigkeit Pilar Lorengar und der Dramatik Magda Oliveros angesiedelt – lässt wohl niemanden kalt. Ein Moment der höchsten Wahrhaftigkeit, der in der Oper möglich ist.
Aber auch Barbara Hannigan, diese unglaublich musikalische Sopranistin, die sich auf moderne zeitgenössische Oper spezialisiert hat und zudem Mahler und Satie mit unvergleichlichem Seelenton vorträgt, lässt uns in ihrer absoluten Hingabe und Unbedingtheit sprachlos zurück. Einige der Höhepunkte der Blu-ray bilden wohl eine Probe mit dem schwerstkranken Pianisten Reinbert de Leeuw, ein Ausschnitt aus einem von de Leeuw begleiteten Konzert vom Aldeburgh Festival (17.6.2019) mit Trois Mélodies von Satie und des Pianisten Solo (Erik Satie „Gnossiennes Nr. 2-6“) an eben dem Abend: Diese Überwindung jeglicher Schwerkraft und Hinfälligkeit durch den absoluten Willen zur Musik, ein Wunder.
Asmik Grigorian, die wohl am höchsten gehandelte Sopranisten im internationalen Opernzirkus nach Anna Netrebko, ist in Ausschnitten aus der Salzburger „Salome“, beim Einsingen und vor dem Vorhang zu erleben. Auch sie verfügt über ein singuläres Timbre, schauspielerische Höchstgabe und eine kein Risiko scheuende Rollenidentifikation.
Alle drei fabelhaften Sängerinnen werden im Film mit Liebe und großem Respekt dargestellt. Der Schnitt ist meisterlich gelungen und selbst die Abgebrühten, die glauben, alles schon gesehen zu haben und zu wissen, werden wieder eines Besseren belehrt. Die Faszination, die Oper auszuüben vermag, die Sublimierung von Unaussprechlichen in und durch die Musik, durch himmlischen Gesang, besticht immer wieder. Das süße Gift reizt und packt die einmal Infizierten auf der Bühne und im Publikum immer wieder aufs Neue. Ermonela Jaho spricht frei über das Existenzielle der Oper. Auf die Frage des Regisseurs, was sie machen würde, wenn sie ihren Schmerz nicht in Gesang kanalisieren könnte, sagt sie: “Ich weiß es nicht, vielleicht würde ich in der Psychiatrie landen. Ich könnte nicht überleben.“
Außer dem Film von Jan Schmidt-Garre über die Sängerinnen Barbara Hannigan, Ermonela Jaho und Asmik Grigorian bietet die DVD/Blu-ray noch folgende Extra Features:
- Briefszene der Tatjana aus „Eugen Onegin“ mit Asmik Grigorian und Evgenia Rubinova am Klavier, Elbphilharmonie, 13.5.2019,
- Sechs Melodien von Erik Satie mit Barbara Hannigan, Reinbert de Leeuw am Flügel, Aldeburgh Festival, 17.6.2019
- Francesco Cilea: Io son l’umile ancella aus „Adriana Lecouvreur“, Giacomo Puccini: Chil il bel sogno di Doretta aus „La Rondine“; O mio babbino caro aus „Gianni Schicchi“ mit Ermonela Jaho und Francesco Piemontesi am Klavier, Schinkel Pavillon, 19.2.2019
- Erik Satie: Gnossiennes Nr. 2-6 mit Reinbert de Leeuw vom 17.6.2019
- Warm-ups aus Salzburg, 23.8.2019 (Grigorian), aus Aldeburgh, 16.6.2019 (Hannigan) und München, 10.4.2019 (Jaho).
Dr. Ingobert Waltenberger