Eine Wiederentdeckung: Francesco Ciléas „Gloria“ auf Blu-Ray
Das innovative Label Dynamic überrascht die Liebhaber seltener Opern mit einer bemerkenswerten Veröffentlichung auf Blu-Ray: Francesco Ciléas selten gespielte Oper „Gloria“ erlebt ihre Welt-Premiere in einer Produktion, die das Publikum in Cagliari begeisterte.
Die Oper „Gloria“ stammt aus der Feder von Francesco Ciléa und wurde 1907 uraufgeführt. Die Handlung spielt im mittelalterlichen Siena zur Zeit des Guelfen-Ghibellinen-Konflikts und zeigt Parallelen zu „Romeo und Julia“. Aquilante de’Bardi, der Prior der Stadt, verkündet, dass die aus der Stadt Verbannten willkommen sind, sofern sie unbewaffnet kommen. Einer der Verbannten, Lionetto de’Ricci, liebt Aquilantes Tochter Gloria seit Kindertagen und entführt sie mit seiner Gefolgschaft. Im Verlauf der Handlung kommt es zu dramatischen Konfrontationen, die in Glorias tragischem Tod enden.
Francesco Ciléas Partitur für „Gloria“ zeichnet sich durch ihre Vielschichtigkeit und Emotionalität aus. Die musikalische Sprache des Werkes ist reich an melodischen Motiven und dramatischen Kontrasten, die die Handlung auf eindrucksvolle Weise unterstreichen. Die Orchestrierung ist fantasievoll und umfasst ein großes Orchester. Ciléa nutzt dynamische Kontraste und explosive Crescendos, um dramatische Spannung zu erzeugen und emotionale Höhepunkte zu betonen. Die Musik unterstützt die Handlung, indem sie die Gefühle und Motivationen der Charaktere plastisch widerspiegelt. Von zarten, lyrischen Passagen bis zu kraftvollen, heroischen Momenten bietet die Partitur eine breite Palette an Ausdrucksmöglichkeiten.
Die Regie von Antonio Albanese, einem in Italien sehr populären Schauspieler, versucht, der Oper eine zeitlose Atmosphäre zu verleihen. Albanese gelingt es, den Kern von Ciléas Werk einzufangen. Die Bühne von Leila Fteita mit den schmalen Auftrittsräumen zwischen den Amphitheater-gemahnenden Rängen verleiht der Inszenierung eine besondere Atmosphäre. Diese Bühnenkonzeption erlaubt eine Nähe zum Publikum, die die Intensität der dramatischen Momente verstärkt und die Zuschauer direkt in die mittelalterliche Welt Sienas eintauchen lässt.
Die Kostüme von Carola Fenocchio betonen den historischen Charakter der Handlung und sind gleichzeitig kunstvoll gestaltet, um die individuellen Persönlichkeiten der Figuren hervorzuheben. Die prächtigen Roben und Rüstungen spiegeln die Pracht und den Glanz der Epoche wider, während die detailreiche Verarbeitung der Stoffe und Verzierungen die soziale Stellung und den inneren Konflikt der Charaktere unterstreicht.
Die Besetzung, angeführt von Anastasia Bartoli als Gloria, bietet engagierte und ansprechende Darbietungen. Bartoli, die Tochter von Cecilia Gasdia (selbst einst eine erfolgreiche Sopranistin und heute Intendantin der Arena von Verona), ist eine hervorragende Wahl. Sie verfügt über ein charakteristisches Timbre und überzeugt in den dramatischen Anforderungen ihrer Rolle. Mit einer bemerkenswerten stimmlichen Flexibilität und einem ausdrucksstarken Spiel verleiht sie der Figur der Gloria eine vielschichtige Gestalt. Ihr Sopran ist sowohl in den lyrischen als auch in den dramatischen Passagen voll und resonant, was ihren Gesang zu einem wahren Genuss macht.
An ihrer Seite ist Carlo Ventre als Lionetto souverän zu erleben. Im Spiel zwar etwas steif, so bietet er einen souveränen Tenorgesang, wie er heute eher selten zu erleben ist. Seine strahlenden Höhen sind eine Wucht und verleihen der Rolle des Lionetto eine heroische Präsenz. Franco Vassallo als Bardo mit nobel tönendem Bariton gibt seiner Rolle mächtige stimmliche Gestalt. Vassallo gelingt es, die innere Zerrissenheit seines Charakters mit stimmlicher Intensität zu verkörpern. Ramaz Chikviladze als Aquilante überzeugt mit seiner klugen Darstellung und sonoren Stimme, die den patriarchalischen Ernst und die moralische Autorität der Figur überzeugend vermittelt.
Der von Giovanni Andreoli einstudierte Chor des Hauses trägt wesentlich zum Gesamtklangbild bei und füllt den Raum mit Ciléas eingängigen Melodien. Die Chorpassagen sind kraftvoll und präzise, und die harmonische Abstimmung mit dem Orchester schafft eine beeindruckende klangliche Einheit. Besonders hervorzuheben sind die dynamischen Nuancen und die klare Artikulation, die die dramatische Wirkung der Chorszenen verstärken.
Francesco Cilluffo führt das Orchestra del Teatro Lirico mit großem Geschick und interpretiert Ciléas Partitur mit Energie und Klarheit. Cilluffos zupackendes Dirigat trägt dazu bei, dass die musikalischen Kontraste und die reiche melodische Struktur der Partitur gut zur Geltung gelangen. Er nutzt die volle Bandbreite des Orchesters, um die emotionale Tiefe und die dramatische Spannung der Musik zu unterstreichen. Die präzise Koordination zwischen Orchester und Solisten ist bemerkenswert und zeigt Cilluffos Fähigkeit, sowohl die großen dramatischen Bögen als auch die feinen musikalischen Details klug zu gestalten.
Die Blu-Ray von „Gloria“ präsentiert eine fesselnde Aufführung einer selten aufgeführten Oper, die durch eine atmosphärische Inszenierung und beeindruckende Sängerleistungen besticht. Diese Veröffentlichung ist ein Muss für Liebhaber des Opernrepertoires und lohnt die Entdeckung. Mit einer gelungenen Kombination aus musikalischer Raffinesse, dramaturgischer Tiefe und visueller Ästhetik bietet diese Produktion ein rundum gelungenes Opernerlebnis, das sowohl Kenner als auch Neulinge gleichermaßen begeistern dürfte. Die Weltpremiere auf Blu-Ray ist ein bedeutender Beitrag zur Wiederbelebung vergessener Meisterwerke der Operngeschichte.
Dirk Schauß, im Mai 2024
Francesco Ciléa
Gloria
Eine Aufführung des Teatro Lirico di Cagliari
Francesco Cilluffo, Leitung
Dynamic, 58004