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Blu-ray/DVD ROSSINI „IL TURCO IN ITALIA“ – live aus dem Teatro Rossini Pesaro 2016; Unitel

21.05.2023 | dvd

Blu-ray/DVD ROSSINI „IL TURCO IN ITALIA“ – live aus dem Teatro Rossini Pesaro 2016; Unitel

Davide Livermore und sein fellineskes Rossini „8 ½“

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Die Liebe zum Film und zur Oper gehen nicht selten Hand in Hand. Für den Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner und Lichtkünstler Davide Livermore trifft beides auf jeden Fall in höchstem Maße zu. Der gebürtige Turiner war selber Opernsänger, Tänzer, Drehbuchautor und Pädagoge., Von 2015 bis 2017 leitete er als künstlerischer Direktor das Palau de les Arts Reina Sofía in Valencia.

Für seine Regiearbeit in Pesaro 2016 für Rossini „Il Turco in Italia“ hat er sich was ganz Besonders einfallen lassen. Er stülpte kurzerhand die Handlung von Fellinis autobiografisch geprägten Film „8 ½“ über einen Drehbuchautor und Regisseur in einer sich selbst lösenden Schaffenskrise über die Rossini Oper. Alles was wir auf der Bühne sehen, trägt Züge aus Fellinis Universum, außer die Musik, die ist wirklich von Rossini und nicht von Nino Rota.

„La bella confusione“, wie der Film „Achteinhalb“ ursprünglich lauten sollte, herrscht auch auf der Bühne. Im vom Fellini als Mittelding zwischen einer unzusammenhängenden psychoanalytischen Sitzung und einer etwas planlosen Gewissenserforschung bezeichneten Film mimt Marcello Mastroianni als Guido Anselmi einen kreativ angeknacksten Regisseur, der sich in einem Kurort zur energetischen Rekreation versteckt. Dort holen ihn alle ein, denen er entfliehen wollte und Cinecittà drängt. Im Film lässt Guido eine Abschussrampe für ein Raumschiff bauen, in der Oper finden wir uns im zweiten Final ein einem Zirkusrund, das Assoziationen zu „La Strada“ weckt.  Da kommen nach allerlei erotischen Irrungen und Wirrungen die beiden Pärchen Fiorilla und Geronio sowie Selim und Zaida wieder zusammen, nur der arme Narcisco geht leer aus. Fürs erste, denn der versöhnliche Geronimo darf sich sicher sein, auch in Zukunft von Fiorilla mit Hörnern gekrönt durchs Leben zu gehen.

Auf jeden Fall bleibt Felice Romani in dieser genialen Komödie an schrägem Humor und hormongetriebenen Figuren seinem späteren Landsmann Federico Fellini nichts schuldig: Der Dichter Prosdocimo, der das Libretto zu einer komischen Oper schreiben soll, schaut sich in seiner Umgebung um und wird fündig: Freund Don Geronio, dessen junge Frau Fiorilla eine Affäre mit Don Narciso hat, wäre doch ein guter Anfang. Und wirklich bieten die Ausgangslagen zum Film wie zur Oper eine reizvolle Basis für eine quirlige wie effektvolle Bühnenshow.

Die Mixtur zwischen den Hauttakteuren der Oper und fellinesker Typologie passt auf jeden Fall so passgenau wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Livermore hat dem nach Neapel in Sachen Studium der lokalen Gewohnheiten per Schiffe angereisten feschen Selim – heute würde man sagen Sextourist – im ersten Akt das Kostüm des Weißen Scheichs aus Fellinis Filmerstling „Lo sceicco bianco“ verpasst. Erwin Schrott spielt diese köstliche Figur, ein Amalgam aus Cherubino und metrosexuellem Jack Sparrow, als verhuschten Lover, geschmeidig wie Paulchen Panther und selbstparodierend unwiderstehlich attraktiv. Sein profund gurrender Bass kongruiert großartig mit der Rolle des reichen türkischen Fürsten auf erotischen Abenteuerzügen.

Aus dessen Kurzzeitaffäre Fiorilla, gelangweilte mit dem alternden Don Geronimo verheiratete Schöne, macht Livermore bis hin zur Frisur und dem getupften Kleidchen eine Claudia Cardinale Kopie aus „8 ½“. Olga Peretyatko kann in dieser Rolle alle Attribute einer launisch-koketten Filmdiva ausspielen. Rein stimmlich war sie nie besser als in dieser Produktion, als jung kecke Fiorella gefällt sie mir von allen Rollenvertreterinnen – trotz der gewaltigen Konkurrenz von der Callas bis zur Caballé – am besten. Wunderbar, wie sie sich am Ende des ersten Akts nicht scheut, ihre Widersacherin Zaida im Streit um die Schlafgzimmer-Gunst des Selim mit Fußtritten in die Flucht zu treiben. Ein Kabinettstück bietet die Briefszene plus Arie „Squallida veste e bruna“ vor dem Finale 2, wo die Erfolgsverwöhnte für einen kurzen Moment um ihr dolce vita bangt, nachdem Selim sich für Zaida entschieden hat und die Zukunft mit Geronio noch offensteht.

Nicola Alaimo, einer der denkbar besten Rossini Bariton-Buffos aller Zeiten, muss als Geronimo hilflos wütend die Seitensprünge seiner Frau Fiorilla verdauen, verzeiht ihr aber schließlich. Als gelackmeierter Mann sieht er ein wenig aus wie Federico Fellini selbst. Seine Formel 1 schnelle Wortakrobatik ist in der Arie aus dem zweiten Akt „Se ho da dirla, avrei molto piacere“ zu bestaunen.

Narcisco wird von Livermore in ein Pfarreroufit, wohl eine Anspielung auf „Amarcord“, gesteckt. René Barbera glänzt in dieser Rolle des Fiorilla anhimmelnden Verehrers mit leichtfüßig beweglichem Spieltenor.  Was für ein Glück, dass er auf dem Ball von Fiorilla für Selim gehalten wird, was für ein Pech, dass der Irrtum auffliegt.

Zaida, von Selim wegen angeblicher Untreue zum Tode verurteilt, aber dank Albazar (vom erstklassigen Rossini-Tenor Pietro Adíni im orientalischen Frauenkostüm dargestellt) gerettet und am Ende der Oper wieder mit Selim vereint, sieht aus wie ein barttragender Türken-Baba Verschnitt. In Strawinsky The Rake’s Progress“ überlegt Tom, Baba zu heiraten, weil er sie nicht liebt. Auf diese Art und Weise könne er sich von Trieben heilen und frei sein. Cecilia Molinari reüssiert mit ihrem agilen Mezzosopran im Bewusstsein, am Ende der Oper über die attraktivere Fiorilla triumphiert zu haben.

Pietro Spagnoli als Spielmeister Prosdocimo ist optisch eine eins zu eins Kopie von Mastroianni aus „8 ½“. Die Ironie auf die Spitze treibend, darf er anfangs aus dem Diogenes-Fass steigen, um die ganze Oper über auf seiner Schreibmaschine mit dem Filmskript weiterzukommen. Als ihm die ganze eitle Schauspieler-Bagage bis zum Platzen auf die Nerven geht, versucht er die anmaßende Horde mit einer Peitsche zu zähmen. Vergeblich, Fiorilla nimmt sie ihm kurzerhand weg. Vokal ist Spagnoli sowieso eine allererste Adresse für Rossini Baritonrollen.

Livermore arbeitet auf der mit weißen Schleiern durchwehten, einfach gehaltenen Bühne geschickt mit filmischen schwarz-weiß Effekten. Umgeben von einer entfesselten Statisterie, die genauso wie der Chor den gesamten Fellini Kosmos karikiert – wir erkennen kunstvoll arrangierte Figuren aus der Zirkustruppe von „La Strada“ und weitere vertraute Figuren aus „Roma“, „Amarcord“ und „Satyricon“ –, läuft die Rossini-Operngruppe zu Höchstform auf. Die gesamte in stimmlicher und schauspielerischer Höchstform angetretene Besetzung bietet Opernvergnügen pur. Leider sind beim rau und wenig raffiniert fiedelndem Orchester und dem laienhaft klingenden Chor unter der wenig inspirierten Leitung von Speranza Scappucci Abstriche in der musikalischen Gesamtwirkung hinzunehmen.

Fazit: Ein exquisites Sängerfest in einem actionreichen, fellinesk-surrealen Rahmen. Für alle, für die große Opera Buffa und gefinkeltes Rätselraten aus der italienischen Filmgeschichte nicht unvereinbar sind, ein erhebender Theatercoup.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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