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Blu-ray/DVD: Richard Wagner DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – live Mitschnitt aus der Deutschen Oper Berlin vom 29. Juni und 2. Juli 2022, Naxos

16.01.2024 | dvd

Blu-ray/DVD: Richard Wagner DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – live Mitschnitt aus der Deutschen Oper Berlin vom 29. Juni und 2. Juli 2022, Naxos

Verzichtbar

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Im Laufe eines Künstlergesprächs der Freunde der Wiener Staatsoper mit Giuseppe di Stefano, anlässlich dessen ein live aufgenommener Musikausschnitt aus „La Bohème“ mit Bidu Sayao und dem wunderbaren Pippo vom 17.3.1951 gespielt wurde, kam zur Sprache, dass die Veröffentlichung von Live-Aufnahmen wohl dann gerechtfertigt wäre, wenn sie künstlerisch außerordentlich gut seien. Gleichzeitig wurden vom Moderator Georg Springer und dem Sänger schon damals, also vor Jahrzehnten, bemängelt, dass viel Mittelmäßiges mitgeschnitten und publiziert wird… Natürlich ist die rechtliche Lage bei den regulären Verfilmungen und Live-Takes eine ganz andere, die entscheidende Frage nach dem künstlerischen Rang und Mehrwert eines Tonträgers oder Videos ist jedoch gleich geblieben.

Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ werden an der Deutschen Oper Berlin in einer Produktion gezeigt, für die Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock verantwortlich zeichnen. Die Idee, bei einer wie im deutschen Regietheater üblichen Aktualisierung die Szenerie in einer musikerziehenden Einrichtung anzusiedeln, ist ja nicht von vornherein schlecht. Das Regieteam zitiert dabei Paul Bekkers Buch „Richard Wagner. Das Leben im Werke“ aus den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Da wird der Gedanke geäußert, dass es in der Oper „erst einmal um das Singen, den Vortrag des zu Singenden und um dessen Darstellung und damit eigentlich um das Theater geht.“

Ein guter Gedanke, wenn er um die Themen Poesie, Liebe und Altern, gesellschaftliche Zwänge, Generationenwechsel, die Macht oder Ohnmacht von Regeln, Humor, etc. erweitert wird. Zumal ja auch die Frage nach Wohl und Wehe der jetzigen Musikausbildungsstätten akut ist und mit in die Ideenwelt der Inszenierung hätte einfließen können.

Also spielen die „Meistersinger“ in dieser Neuinszenierung aus dem Jahr 2022 in Dr. Pogners Konservatorium, das in eine Stiftung verwandelt werden soll. Pogners Nachfolger als Leiter muss aber ein Meister sein, der seine Tochter heiratet. Allerdings soll mir einer erklären, wie das heute gehen soll?

Eine weitere Quelle der Inspiration war Elfriede Jelinkes „Die Klavierspielerin“ inkl. Verfilmung von Michael Haneke, was insbesondere das Verhältnis von Dozentin Magdalena zu David sichtlich beeinflusst hat. Da wechseln gegenseitiges Grapschen und im nächsten Moment Sadistisch-Gehässiges seitens der Borderliner „Professorin“ Madgalena auf das Vulgärste ab.

Hans Sachs kommt als bloßfüßiger Schlagzeuglehrer und Musiktherapeut in Alt 68-er Manier auf die Bühne. Am meisten interessiert er sich für Fußreflexzonen und Yoga samt allen möglichen, unangenehm brutal wirkenden Sexspielchen mit Eva. Zu Ende mutiert dieser Freiheitssuchende – als grober Softie völlig charakterinkonsistent – zu „einem Ideologen seiner eigenen Lehre, der vom Pathos eingeholt und nahezu verschluckt wird.“ (Zitat Wieler)

Optisch ist das Bühnenbild eines gesichtslos holzvertäfelten Raums an das Innere der Münchner Musikhochschule angelehnt, einem ehemaligen Führerbau als „böse, kontaminiertem“ Ort. Im zweiten Akt hält das Surreal-Kafkaeske als Gesangslektion Sachsens für Beckmesser am Klavier samt anschließender Schlägerei der gesamten offenbar in der Hochschule wohnhaften Studentenschaft Einzug.

Alles das ist reichlich abstrus, extrem kopflastig bis unsinnig, wenn der Nachtwächter (vom Tonband orgelt Günther Groissböck) von der Mitternacht kündet und auf der digitalen Uhr gerade mal die 23. Stunde angezeigt wird. Vor allem der Humor, den Morabito so sieht: „Wir arbeiten mit den Sängerinnen und Sängern an der größtmöglichen spielerischen Leichtigkeit und Geistesgegenwart ihres Spiels. Das schafft automatisch eine Heiterkeit, die umso größer sein kann, je abgründiger und schwerwiegender die verhandelten Inhalte sind“, kommt in dieser derb sexualisierten Lesart völlig zu kurz.

Von der Personenführung her ist von Leichtigkeit rein gar nichts zu merken. Die Studenten kichern und albern kindisch herum wie Volksschüler. Die Sänger agieren krampfig und dauernotgeil. Auf 08/15 Stühle im Lehrsaal wie unbeteiligte Puppen gefläzt, schauen die Protagonisten in den grauenhaft hässlichen braun-grauen bis pastellfarbenen Alltagskostümen von Anna Viebrock samt Plastikschlapfen durchwegs wie Karikaturen von Deix aus. Da ist schon von vornherein jegliche Möglichkeit genommen, sich mit der einen oder anderen Figur zu identifizieren, ihre Probleme und Erfahrungen als die eigenen erkennen zu können. 

In der Inszenierung wird grandios outriert, einander ohne Maß und Sinn bekörpert und beschlägelt: David verpasst Stolzing im ersten Akt ungefragterweise eine Fußmassage, Kothner schlägt einem gemobbten Studenten das Notenheft ins Gesicht, Stolzing wird von Sachs eine Jack-Daniels Flasche übergebraten, aus der er sich vorher ausgiebig bedient hat, dafür bekommt Sachs von Eva eine in die Goschen.

Vor allem Hans Sachs, der hier ein Verhältnis mit einer erotisch allseits freigebigen Eva unterhält – mit Stolzing schmust sie sich teenagerhaft durch den ganzen Beginn der Oper –, wird übel mitgespielt. Ich habe diesen Hans Sachs immer als sympathischen Humanisten gesehen, als einen, der Gegensätze kraft seiner Persönlichkeit zu überbrücken weiß, als klugen Traditionalisten, der ein Ohr für die Zukunft hat, als glühenden Mentor eines Hochbegabten, als einen würdig alt werdenden Mann, der genau weiß, wann Schluss ist mit der Aussicht auf eine ehrliche Dauerbeziehung auf Augenhöhe zu einer viel jüngeren Frau. In der Inszenierung von Morabito, Wieler und Viebrock ist er ein banal-schräger Kauz auf Abwegen. Das kommt dabei heraus, wenn alle mit dem Holzhammer verpassten Botschaften politischer Korrektheit zusammen verpackt vor dem Werk und vor allem vor der Musik rangieren. Wo bleiben Ästhetik und Schönheit im Handlungsgeflecht, wo Feinheiten und Differenzierung der einzelnen Typen? Sind abgesehen von Pogner und Stolzing wirklich alle in dem Stück gleichermaßen verhaltensauffällige Kotzbrocken bis infantile Schwachmaten?

Der Pluspunkt: Vom gesamten Ensemble wird bis in die kleinste Rolle höchst respektabel bis festspielwürdig gesungen: Allen voran Klaus Florian Vogt als Stolzing, Johan Reuter als Hans Sachs, Albert Pesendorfer als Pogner, Ya-Chung Huang als David, Philipp Jekal als Beckmesser und Thomas Lehmann als Kothner. Auch die Damen Heidi Stober als allzu quirlige Eva und Annika Schlicht als Magdalene überzeugen vokal ohne Abstriche. Der Chor der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung Jeremy Bines) ist wie so oft beispielhaft wagnertauglich. 

Bedauerlicherweise klingt das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von John Fiore allzu routiniert, in den großen Ensembles rhythmisch wenig präzise bis verwaschen, und trotz einiger kammermusikalischer Highlights über weite Strecken nicht spannungsgeladen genug, um an der Stange zu halten.

Warum also die filmische Verewigung (Götz Filenius) einer Inszenierung, die in jeder Minute als dramaturgisches und optisches Ärgernis die Freuden an der Musik trübt? Natürlich gibt die Inszenierung Stoff für Diskussion und (nützliche?) Kontroversen. Das reicht mir persönlich aber nicht. An den Fragen nach der Poesie in Musik und Libretto, der Humanität, des feinen Humors, der Begeisterung für Musik und für echte große Gefühle ins Allgemeingültige gehoben war offenbar niemand so recht interessiert. Verzichtbar! Da bleibe ich meinen Lieblingsaufnahmen ohne Bild von Karajan bis Sawallisch, von Kubelik bis Kempe.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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