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Blu-ray/DVD GIOACHINO ROSSINI: IL BARBIERE DI SIVIGLIA; Livemitschnitt aus der Wiener Staatsoper Oktober 2021; Unitel

15.03.2024 | dvd

Blu-ray/DVD GIOACHINO ROSSINI: IL BARBIERE DI SIVIGLIA; Livemitschnitt aus der Wiener Staatsoper Oktober 2021; Unitel

Wie ein Korb bunter Ostereier

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Die Wiener Staatsoper hat sich dazu entschieden, Rossinis bedeutendstes Meisterwerk der Gattung opera buffa auf ein Libretto von Cesare Sterbini basierend auf einem Beaumarchais Stück dem deutschen Regisseur und Bühnenbildner Herbert Fritsch anzuvertrauen.

Wer Fritsch Arbeiten kennt, weiß, dass er eigentlich ein Bewegungschoreograf mit Vorliebe für pantomimisch Grelles ist. Er lässt die Opernfiguren wie Marionetten am Schnürl hüpfen. Ein Puppenspieler ist dieser Fritsch, neuerdings auch eine Art „Bühnenfitnesscoach“, weil viele der Bewegungen, die er die Stars der Aufführung von Rossinis „Il barbiere di Siviglia“ ausführen lässt, an Gymnastik oder Aerobic-Übungen erinnern. Dem zappeligen Hin und Her der Personen entsprechen auf der Ausstattungsseite transparente bunte Folien, stets in Bewegung, aus der Sicht der Erfinder den musikalischen Sog der Buffa imitierend. Das ergibt abstrakte Atmosphärenräume mit Bewegung und Gesang, aber kein Handlungstheater. Eine Geschichte wird hier nicht erzählt.

Da die Verfilmung einer Opernaufführung ja nur relativ wenige Entscheidungsfreiräume zwischen Fern, Nah und noch Näher lässt, hat sich Videodirektor Leopold Knötzl dazu entschieden, – offenbar weil die Bühne nichts filmisch Interessantes hergibt – vor allem Nahaufnahmen der Gesichter zu zeigen. Dieses Stilmittel erhöht gewiss die emotionale Involvierung des Zusehers. Da Fritsch das Bühnenpersonal ständig künstlich grimassieren/ „Gesichter schneiden“ lässt, erhält der Film eine groteske Note. Der Zuschauer, der das Stück sehen will, ärgert sich, verliert bald das Interesse oder verlegt sich auf die musikalische Seite der Chose.

Da ist einmal Altmeister Juan Diego Flórez in einer seiner Paraderollen als Conte di Almaviva zu hören. Die vorliegende Aufnahme wäre dann die vierte aktuell erhältliche des Tenors als Conte (die anderen drei sind eine DVD aus dem Teatro Real Madrid; mit Maria Bayo als Rosina, Gelmetti, 2005; eine DVD aus dem Royal Opera House Covent Garden, Juli 2009, mit Joyce Di Donato sowie ein Nightingale-Album mit Gruberova, dem Münchner Rundfunkorchester unter Weikert 2010). Florez bietet eins ums andere Mal vollendeten Rossini-Gesang. All die Verzierungen, Fiorituren, Läufe und Ensembles absolviert er flink, präzise, mit stupender Stimmtechnik und einer stilistischen Raffinesse sondergleichen. Dass die Spitzentöne nun nicht mehr endlos daherkommen, versteht sich von selbst.

Ihm zur Seite die junge Vasilisa Berzhanskaya als Rosina. Sie verfügt über einen wohlklingenden, beweglichen, in allen Lagen ausgeglichenen Mezzo mit toller Höhe. An expressiver Geste, Bühnencharisma und Farbenfülle mangelt es aber noch. Um an große Rollenvorgängerinnen anschließen zu können, muss mehr an urwüchsigem Charme her, muss an Wortwitz und schauspielerischer Durchdringung gearbeitet werden. Das Stimmmaterial und die Technik sind jedenfalls schon jetzt superb.

Etienne Dupuis stellt als Figaro ein ganzes Mannsbild auf die Bühne. Vokal auf der gröberen Seite des Interpretationsspektrums angesiedelt, lenken im berühmten „Largo al factotum“ besonders intensive „Fitness“- und Applauskasperliaden gehörig ab.

Mit Ildar Abdrazakov, ein Don Basilio wie aus dem Bilderbuch, stand der Staatsoper ein Erzkomödiant zur Verfügung. Aber auch seine Bravourarie „La calunnia é un venticello“, ein vokales Kabinettstück dieses russischen Basses, wäre besser ohne übertriebene Mimik ausgekommen. Der Witz liegt hier ohnedies in der Musik. Der italienische Bassbariton Paolo Bordogna als Bartolo ist eine Luxusbesetzung. Aurora Marthens eine Berta, die man sich merkt.

Warum die quirlige Ruth Brauer-Kvam als stummer Ambrogio die Verrenkungen und Sperenzchen nochmals doppeln muss, soll mir erst einmal jemand mit dramaturgischer Notwendigkeit erklären.

Das Orchester der Wiener Staatsoper unter der musikalischen Leitung von Michele Mariotti spielte konzentriert. Es war um spritzige Tempi nicht verlegen und glänzte mit manch bewundernswertem Instrumentalfeinschliff. Und dennoch blieb die Sache auch aus dem Orchestergraben seltsam steif, teilten sich Humor und italienischer Spielwitz wenig mit.

Fazit: Farbenfrohes, pantomimisch-groteskes, kindlich-naives Bewegungstheater. Viel fein-engagierter Gesang, wenig fluides Dirigat. Die raffinierte Komödie verpufft.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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