Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Blu-ray/DVD: GAETANO DONIZETTI: IL CASTELLO DI  KENILWORTH – Live-Mitschnitt aus dem Teatro Sociale Bergamo vom November/Dezember 2018 Bergamo; Ersteinspielung – Dynamik

Dr. Ingobert Waltenberger

13.08.2019 | dvd

Blu-ray/DVD: GAETANO DONIZETTI: IL CASTELLO DI  KENILWORTH – Live-Mitschnitt aus dem Teatro Sociale Bergamo vom November/Dezember 2018 Bergamo; Ersteinspielung – Dynamik

 

Eineinhalb Jahre bevor Donizettis Karriere mit „Anna Bolena“ an der Scala di Milano auch in Norditalien so richtig durchstartete, wurde im San Carlo in Neapel am 6.7.1829 seine weniger enthusiastisch aufgenommene dreiaktige Oper „Il Castello di Kenilworth“ uraufgeführt. Der Grund dafür war nicht vorwiegend die mangelnde musikalische Eindringlichkeit, sondern dass eine Oper mit einem ähnlichen Sujet von Rossini „Elisabetta, regina d‘Inghilterra“ bereits vorher die Ohren und die Herzen der Neapolitaner erobert hatte. Donizetti war damals gerade als Nachfolger von Rossini als Direktor der neapolitanischen Theater installiert worden. 

 

Mitte 1830 überarbeitete Donizetti nochmals sein Werk und überantwortete beispielsweise die Rolle des Esquire Warney nicht mehr einem Tenor, sondern einem Bariton. Erst 1977 wurde die neue Version in England mit Janet Price und Yvonne Kenny und in Bergamo 1989 mit Mariella Devia und Denia Mazzola wieder aufgeführt. Die nun zu hörende Erstfassung stellt überhaupt eine Premiere dar. 

 

Donizettis Faible für englische und schottische Geschichte hat auf den Opernbühnen dieser Welt für großes Melomanenglück und Belcanto-Primadonnen jede Menge an dankbaren Rollen beschert (z.B.: „Lucia di Lammermoor“, „Roberto Devereux“, „Maria Stuarda“, „Rosmonda d‘Inghilterra“). In „Il Castello di Kenilworth“ hat Donizetti erstmals Elisabeth I von England einer anderen weiblichen Figur, hier Amelia, konkurrenzierend –  wohlwissend samt Happy End – gegenübergestellt. 

 

Das Donizetti Festival 2018 hat Maria Pilar Pérez Aspa (Regie), Angelo Sala (Bühnenbild), Ursula Patzak (Kostüme) und Fiammetta Baldiserri (Licht) als Leading Team engagiert. Es ist eine feine Produktion in schönen historischen Kostümen geworden. Auf der reduzierten und außer einem Käfig an der linken Seite requisitenfreien Bühne gibt es nur eine schachbrettartige Schräge nach oben. Der Hintergrund wird je nach Stimmung unterschiedlich ausgeleuchtet bzw. für Schatteneffekte genutzt. Die Regie konzentriert sich auf das Kammerspiel der Beziehungen der Protagonisten untereinander und findet in der Besetzung der beiden weiblichen Hauptrollen nicht nur stilistisch versierte Donizetti-Interpretinnen, sondern auch Opernsängerinnen mit innerem Engagement und hoher musiktheatralischer Expressivität. Jessica Pratt als Elisabetta und die Mezzosopranistin Carmela Remigio verwandeln die Bühne so in ein Versuchslabor menschlicher Leidenschaften. 

 

Was geschieht, wenn die Königin in Liebe zu Leicester entbrennt (leider mit Amelia verheiratetet, was aber keiner am Hof zu wissen scheint) und letzterer dank dieser Liebe ehrgeizig den Thron erobern will? Er lässt seine Frau von Warney kurzerhand in einen Käfig sperren. Warney glaubt die Gunst der Stunde für seine Avancen Amelia gegenüber nutzen zu müssen. Die Absage der Angebeteten samt Rachegelüsten des Zurückgewiesenen folgt auf dem Fuß (im 3. Akt will er sie gar vergiften). Ja, politischer Ehrgeiz und Liebe hat noch selten eine gute Melange ergeben… Am Ende erlangt die Königin wieder Kontrolle über ihre Gefühle, vergibt Leicester, befreit Amelia und führt die beiden legitim Angetrauten wieder zusammen. 

 

Die Oper enthält neben Konventionellem (ein begabter Chorkomponist war Donizetti sicher nicht) auch großartige Nummern wie die Cavatine der Elisabetta, die obligate Kampfhennenszene zwischen Amelia und Elisabetta “Son sola!” aus dem zweiten Akt , ein hinreissendes Quartett “Freme! Ondeggia irresoluto” mit den zwei Sopranistinnen Elisabetta, Amelia und den beiden Tenören Leicester und Warney sowie die Arie der Amelia “Par che mi dica ancora” samt schwungvollem Finale der Oper.

 

Das Orchestra Donizetti Opera und der Coro Donizetti Opera unter der Leitung von Riccardo Frizza wissen mit der Belcanto-Partitur umzugehen. Das Orchester klingt räumlich eng, spielt aber akkurat, rhythmisch sauber und legt das gewisse romantische Sehnen in die lange gesponnenen Melodiebögen. 

 

Die australische Belcanto-Primadonna Jessica Pratt wandelt auf den Fußstapfen ihrer berühmten Landsmännin Sutherland. Ihre Gesangstechnik ist ein einziger Trumpf. Ob unendliche Kantilenen, Koloraturen, rasche Läufe oder Verzierungen, alles kommt auf dem Punkt. Jessica Pratts weiß kühles Timbre ist sicher Geschmacksache, der Sopran sitzt jedoch perfekt, Projektion und Fokus funktionieren vorbildlich. Stratosphärische Höhen kommen leicht und ohne Anstrengung. Eine ganz große Gesangleistung ist hier zu vermelden. Die mozart-geeichte Italienerin Carmela Remigio (wir erinnern uns an ihre Donna Anna mit Claudio Abbado, DGG), Schülerin von Aldo Protti,  als Elisabettas Gegenspielerin Amelia vermag mit ihrem runderen und fülligeren Sopran und einer ebenso stupenden Technik als Figur vollkommen zu überzeugen. Ihr ehrgeiziger Ehemann Leicester wird vom jungen spanischen Tenor Xavier Anduaga verkörpert. Mit einem wunderschönen, in der Mittellage bronzenem Luxustimbre begnadet, gelingt es Anduaga (noch) nicht, die Höhen richtig in den Stimmfluss zu integrieren. Hier sollte technisch nachgelegt werden. Auch führt eine gewisse Kurzatmigkeit zu abrupt endenden Phrasen. Stefan Pop als Warney wiederum darf einen robusten, durchgängig einwandfrei anspringenden Tenor mit dramatischem Potential sein Eigen nennen. Der Rumäne beherrscht sein Handwerk und ist eine sichere Karte. Der Vollständigkeit halber sind in den Comprimarii-Rollen Dario Russo als Lambourne und Federica Vital als Fanny zu nennen.

 

Fazit: Eine Rarität aus der fruchtbaren Werkstatt des Donizetti  als gefundenes Fressen für Liebhaber des romantischen Belcanto mit zwei grandiosen Sopranistinnen, die keine verrückt notierten vokale Schwierigkeiten noch allerhöchste Höhen scheuen. Was will man mehr?

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken