Blu-ray Disc/DVD: KORNGOLD: DAS WUNDER DER HELIANE – Mitschnitt aus der Deutschen Oper Berlin vom März/April 2018; Inszenierung von Christof Loy – NAXOS
Mit der gewissen Distanz lässt sich sogar noch entschiedener festhalten: Die Premiere der prächtigen Korngold Oper „Das Wunder der Heliane“ 2018 an der Deutschen Oper Berlin war eines der glanzvollsten und wichtigsten Opernereignisse in Berlin der letzten Jahre. Das lag nicht nur an der intensiv „werkgerechten“, optisch ästhetischen und psychologisch ausgefeilten Produktion von Christof Loy, sondern vor allem daran, dass Dirigent Marc Albrecht mit fabelhaft disponierten Kräften, dem Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin und einer erlauchten Sängerriege bewies, dass dieses Meisterwerk des österreichisch-deutschen Expressionismus ein veritabler Bühnenreißer sein kann. Dabei verlangt die gewaltige Partitur Enormes von allen beteiligten Musikern.
In meiner Rezension vom 30. März 2018, Link: https://onlinemerker.com/berlin-deutsche-oper-das-wunder-der-heliane/ habe ich von einem „Berliner Opernwunder“ berichtet. Bezüglich der musikalischen Details der Aufführung möchte ich auf diese Besprechung verweisen. Beim Wiedersehen der Videofassung von Götz Filenius hat sich mein damaliger Eindruck, auch was die große Qualität des Werks anlangt, bestätigt. Längst vergessen sind all die Querelen der Anhänger von Korngolds Musik versus derjenigen von Krenek, die darin kulminierte, dass sogar die Österreichische Tabakregie zwei rivalisierende Zigarettenmarken auf den Markt warf: die ungefilterte „Jonny“ und die Luxuszigarette „Heliane.“
In der Filmversion kommt der individualpsychologische Zuschnitt der Protagonisten noch eindringlicher zum Ausdruck als im Opernhaus. Die vielen Großaufnahmen lassen das Seelenleben insbesondere der weiblichen Hauptfigur, die mit Sara Jakubiak in jeglicher Hinsicht sensationell besetzt war, noch markanter in den Mittelpunkt des Geschehens rücken. Das Booklet bietet zur Entstehungs- und Aufführungsgeschichte als auch zur Deutung und Einordnung der Regie einen hervorragenden Aufsatz des Brendan G. Carroll, dem Autor des Buches „The Last Prodigy“. Das Buch ist 2012 in deutscher Sprache im Wiener Böhlau-Verlag unter dem Titel „Erich Wolfgang Korngold: Das letzte Wunderkind“ erschienen.
Ich erlaube mir, zur Inszenierung aus diesem gescheiten Aufsatz einige aufschlussreiche Bemerkungen zu zitieren: „Kleidung und Frisur der ,Heliane‘ erinnern an Marlene Dietrich, den Star in Wilders Film ,Zeugin der Anklage‘. Ihr Ehemann, der boshafte Herrscher, dagegen wird als jämmerlicher impotenter Mann entlarvt, der sich verzweifelt nach der Liebe seiner Frau sehnt. … seine Ehe bleibt zum Nichtvollzug verdammt. Seine grausamen Taten erhalten auf diese Weise einen effektiven Subtext, der das zentrale Drama sehr viel glaubwürdiger erscheinen lässt. Der junge Fremde erscheint als attraktiver Befreier der unterdrückten Sexualität. Christof Loy hat verstanden, dass es in dieser Oper tatsächlich überall um Sex geht… Das eigentliche Thema der ,Heliane‘ dürfte freilich der Glaube an eine menschliche Liebe sein, deren Kraft den Tod transzendiert und überdauert.“
Der vorliegende Mitschnitt ist jedoch nicht nur ein filmisch gelungenes Dokument, sondern auch die musikalisch beste aller auf Tonträger erhältlichen Aufnahmen dieser opulenten Oper. So historisch verdienstvoll die 1993 entstandene Studioeinspielung der DECCA in der Reihe „Entartete Musik“ unter der musikalischen Leitung von John Mauceri ist, so hat die verdienstvolle Anna Tomowa-Sintow in der Titelpartie zur Zeit der Entstehung ihren Zenit jedoch schon hörbar überschritten. Jakubiak darf dagegen als Traumbesetzung gelten, die Rolle kam zum goldrichtigen Zeitpunkt ihrer Karriere.
Als Bonus wird die Aufnahme des Zwischenspiels aus dem dritten Akt der Oper aus dem Jahr 1928 (für die Berliner Firma Odeon) angeboten. Und noch ein letztes Zitat von Brendan G. Carroll, aus dessen Archiv die Aufnahme stammt: „Dieses seltene, vorzüglich klingende Dokument bietet eine einzigartige Momentaufnahme des Stils, in dem Korngolds Oper bei ihrer ersten Berliner Inszenierung aufgeführt wurde.“ 1934 wurde die Aufnahme bereits aus dem Katalog gestrichen und war nur noch 1960 für kurze Zeit auf Vinyl erhältlich. Also ein weiterer guter Grund, um zuzugreifen!
Dr. Ingobert Waltenberger