Blu-ray CARL MARIA von WEBER „EURYANTHE“ – gefilmt im Theater an der Wien am 12. und 15. Dezember 2018; NAXOS
„Die Dämonen in uns: In Euryanthe hat jeder seine innere Wolfsschlucht.“ Christof Loy
Bei Webers romantische Oper „Euryanthe“ auf der Bühne oder als „Konserve“ ist bis heute Schmalhans der Küchenmeister. Außer Historischem (von Zallinger, Leitner, Giulini und Stiedry mit durchwegs Top-Besetzungen) fällt mir da im Wesentlichen nur die legendäre Einspielung mit Jessye Norman, Rita Hunter, Nicolai Gedda, Tom Krause, dem Chor des Leipziger Rundfunks und der Staatskapelle Dresden unter Marek Janowski ein. Dazu kam ein schon älterer Filmmitschnitt aus dem Teatro Lirico di Cagliari 2004 und das war’s. Daher ist das musikalisch anständige und bildtechnisch ausgezeichnete Video aus dem Theater an der Wien aus dem Jahr 2018 grundsätzlich willkommen. Als teuren Japan Import gibt es die Aufführung auch als bloße CD.
Regie führte damals Christof Loy, für das steril geschmäcklerische Bühnenbild zeichnet Johannes Leiacker, für die feschen 50er-Jahre Kleidchen Judith Weihrauch verantwortlich. Wesentlich ist der Hinweis des Regisseurs, dass er das Libretto der Helmina von Chézy entgegen jeder klischeeverhafteten musikhistorischen Darstellung nicht in der sprachlichen Qualität bemängelt. Es muss vielmehr ähnlich wie bei Wagners „Tristan und Isolde“ erst entschlüsselt werden. Daher wird auch die Originalfassung (mit kleinen Strichen) der Aufführung zugrunde gelegt.
Problematischer sei die Dramaturgie als Prüfungsstück aus Wette um Treue, Scham und Schuld, Wahnsinn und wundersamer Auferstehung von den Toten bzw. das aus heutiger Sicht unzeitgemäße Thema des Gottesbeweises. Ich denke, dass auch die wunderschöne, dennoch wenig dramatische Musik in der Nachfolge von Franz Schubert (was für fantastische Chöre!) keine nachhaltige Bühnenrenaissance erlaubt. Um diesem verbotenen Spiel um Dinge, mit denen man nicht spielen darf, den Unglaubwürdigkeits-Stachel zu ziehen, legt Loy seine Inszenierung in einer – Eigendefinition – „ästhetischen Konzentration“ nicht tableauhaft als große heroische Ritter-, Grusel und Schauer-Oper, sondern als kammermusikalisches Quartett rund um die vier Hauptfiguren Euryanthe und Adolar, Eglantine und Lysiart an. Der lange Krieg ist zwar vorbei, die Welt in Frieden und Glück hat aber noch nicht Eingang in die Herzen der Kriegsheimkehrer gefunden. Das wird sie auch nicht, zumindest nicht bis zum Wunder des Schlussbildes…. Das ist die Idee. Warum allerdings das überbordende Innenleben der Protagonisten trotz vorzüglicher Personenregie durch eine so karge Einheitsszenerie optisch verdeutlicht werden soll, leuchtet mir nicht ein. Ziemlich abgenutzter intellektueller Schick halt, der auch im Film nicht trägt.
Im Gegensatz zum beinahe leeren Einheitsraum (Klavier und Bett dürfen dann doch rein) und der die psychische Verfassung des Bühnenpersonals konterkarierenden Lichtorgie wie in einem OP bekennt das ORF Vienna Radio Symphony Orchestra unter der musikalischen Leitung von Constantin Trinks durchaus Farbe in diesem innovativ durchkomponierten Drama. Wie später bei Richard Wagners Musikdramen (nicht nur Kritikerpapst Hanslick sieht in der Oper „Euryanthe“ den kompositorischen Vorläufer des „Lohengrin“) stützt das Orchester das psychologische Gerüst der Handlung, füllt den emotionalen Unterbau der Figuren, schärft Leid und Wonne, pinselt ihr Seelenleben aus. Das ist wesentlich, bedarf die im Stück zu Unrecht angeklagte und vorübergehend der Sprache verlustige, aber unschuldige und reine Euryanthe wie Elsa eines äußeren Fürsprechers. Der kommt direkt aus dem Orchestergraben und macht seinen Job hervorragend. Constantin Trinks holt aus der Partitur all das und noch mehr heraus, was später offenbar auch Verdi (Macbeth) oder Wagner faszinierte und sorgt für ein hochromantisches sinnliches Klangerlebnis ohne Zuckerguss und Buttercreme.
Ein gutes junges Ensemble füllt nicht nur die in ihrem Schwanken zwischen lyrisch verinnerlichter Melancholie und hochdramatischen Exzessen extrem anspruchsvollen Rollenprofile stimmlich adäquat aus, sondern agiert auch engagiert und charakterstark. Jacquelyn Wagner als jugendlich dramatisches Engerl in der Titelpartie, Norman Reinhardt als ihr exzellent seine verqueren Kriegstraumata in wilde Verzierungen fassender Tenor- und Liebespartner Adolar, Theresa Kronthaler in der dramatischen Mezzopartie der intriganten, am Ende dem Wahnsinn verfallenen und von Lysiart (der lyrische Andrew Foster-Williams in einer modellhaft Telramund vorwegnehmenden Heldenbaritonpartie) getöteten Eglantine. Dazu kommen der rau klingende Wiener Bass Stefan Cerny (Ensemblemitglied der Volksoper Wien) als König Ludwig IV. und Eva-Maria Neubauer als Herzogin von Burgund. Ein Problem des Mitschnitts stellt das nicht gelungene Einfangen der Natürlichkeit der Stimmen durch eine überfordert wirkende Tontechnik dar. Der trichterförmige Raum und/oder das nicht richtige Platzieren der Mikros bewirkt, dass alle Stimmen mit Ausnahme des Tenors (der als einziger eine perfekte „Plattenstimme“ hat) in der Höhe einen gewissen Klirrfaktor aufweisen. Außerdem klingen die Stimmen insgesamt ein wenig wie in einem zu kleinen Raum befangen, können nicht ausschwingen. Außerdem sei angemerkt, dass allen vier sympathischen Protagonisten ihre Rollen um eine halbe Schuhnummer zu groß sind.
Der Arnold Schoenberg Chor ist wie immer eine Klasse für sich.
Gerade für rares Repertoire wären solche musikalisch mehrheitlich qualitätsvollen und leider nur bildtechnisch auf der Höhe der Zeit aufgenommenen Videoproduktionen an sich wertvoll. Die zahlreichen Nahaufnahmen fokussieren den emotionalen Ausdruck der Sängerinnen und Sänger wie mit einem Brennglas und erzeugen so ergänzend zum Theatererlebnis Spannung auf einer anderen, intimeren filmischen Ebene. Die Bildregie geht zudem schonend mit der (völlig deplatzierten) Nacktheit des Lysiart zu Beginn des zweiten Aktes um. Das ist gut für den Sänger und für das Publikum. Allerdings trüben die schlecht aufgenommenen Stimmen trotz der Vorzüge einer leidenschaftlich werkenden jungen Besetzung das Vergnügen. Wer eine vokal und tontechnisch überwältigende Aufnahme haben will, wird sich weiterhin an Janowski halten müssen.
Dr. Ingobert Waltenberger