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BERLIN: Vorfreude auf den Pierre Boulez Saal, der am 04. März eröffnet wird

13.02.2017 | REISE und KULTUR

Berlin: Vorfreude auf den Pierre Boulez Saal, der am 04. März eröffnet wird

Vorab ein Interview mit dem Akustikdesigner Yasuhisa Toyota.   12.02.2017

Pierre Boulez Saal, entworfen von Frank Gehry, Ausschnitt, a
Pierre Boulez Saal, entworfen von Frank Gehry. Copyright: Ursula Wiegand

Erstaunen und Vorfreude schon am 10. Februar 2017 beim Blick in den fast fertigen Pierre Boulez Saal, das Herzstück der neuen Barenboim-Said-Akademie in der Französischen Straße nahe dem Gendarmenmarkt. Am 04. März 2017 wird dieser höchst moderne Kammermusiksaal, zu finden im umgebauten früheren Magazingebäude der Staatsoper Unter den Linden, mit einem dreistündigen Konzert unter der Leitung von Daniel Barenboim eröffnet, der bei einigen Stücken auch den Klavierpart übernimmt.

Bei meinem Besuch fällt das Tageslicht durch die zahlreichen Fenster des Saals und malt Muster auf die hellen Holzwände. Für einen fröhlichen Kontrast sorgen auch die rot-blauen Stühle und Sessel, die das kaum erhöhte Podium umschließen. Das Publikum im Parkett befindet sich auf Augenhöhe mit den Musikerinnen und Musikern. Außerdem ist in diesem trotz aller Moderne intimen Saal mit seinen bis zu seinen 682 Plätzen niemand mehr als etwa 14 Meter von den Virtuosen entfernt.

Pierre Boulez Saal, entworfen von Frank Gehry, Ausschnitt, b
Pierre Boulez Saal, entworfen von Frank Gehry. Copyright: Ursula Wiegand

Abhängig vom gebuchten Platz sind der Dirigent oder die Dirigentin hier nicht nur vom Rücken oder seitlich zu sehen. Wer hinter der Bühne sitzt, sieht ihn/sie – wie in der Berliner Philharmonie – von vorne und kann genau beobachten, wie die Stücke geformt und die Instrumentalisten vom Piano ins Fortissimo getrieben werden. Dass Musizieren körperlich und mental ein Hochleistungssport ist, wird so ebenfalls deutlich.

Pierre Boulez Saal, entworfen von Frank Gehry, Podium und Ränge, b
Pierre Boulez Saal, entworfen von Frank Gehry, Podium und Ränge. Copyright: Ursula Wiegand

Fasziniert folgen die Augen insbesondere den beiden gegeneinander verschobenen Rang-Ellipsen. Die verleihen dem Raum etwas Schwingendes. Wie auf einer sanft geneigten Achterbahn, so der Eindruck, kann die Musik hier swingen. Schon in seiner Form ist dieser außergewöhnliche Kammermusiksaal eine Hommage an den international hoch geachteten Avantgarde-Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez.

Den Gratis- Entwurf (!) – nach einer Zeichnung von 2012 – lieferte der amerikanische Stararchitekt Frank Gehry, Planer des weltbekannten Guggenheim-Museums in Bilbao. Diesen Entwurf hat der am 5. Januar 2016 im Alter von 90 Jahren verstorbene Boulez noch gesehen und sich nach Gehrys Worten stundenlang darin vertieft. „Ich wollte eine Intimität zwischen Musikern und Zuhörern schaffen“, sagte Gehry kürzlich der Deutschen Presse-Agentur. „In einem Konzertsaal ist es wichtig, dass die Musiker die Gefühle des Publikums spüren.“

Yasuhisa Toyota nach dem Interview
Yasuhisa Toyota nach dem Interview. Copyright: Ursula Wiegand

Genau so denkt auch der berühmte japanische Akustikdesigner Yasuhisa Toyota, der bereits für den möglichst idealen Klang in Sälen auf vier Kontinenten und zuletzt in Hamburgs Elbphilharmonie gesorgt hat. Nun widmet er sich dem Pierre Boulez Saal, ist an diesem 10. Februar ebenfalls vor Ort und schaut sich aufmerksam um.

Yasuhisa Toyota im Pierre Boulez Saal, b
 Yasuhisa Toyota im Pierre Boulez Saal. Copyright: Ursula Wiegand

„Dieser Saal mit seinem Layout wird viele Künstler inspirieren und viele Menschen genau so beeindrucken wie mich,“ prophezeit er. Das Wichtigste sei jedoch die hier ermöglichte Kommunikation. „Die Zuhörer sitzen rund um die Musiker und können alles sehen. So entsteht eine Verbindung zwischen ihnen und den Künstlern, aber ebenso innerhalb des Publikums,“ meint der erfahrene 64-Jährige. „Diese allgemeine Kommunikation ist der wichtigste Faktor für einen modernen Konzertsaal.“

Yasuhisa Toyota im Pierre Boulez Saal
 Yasuhisa Toyota im Pierre Boulez Saal. Copyright: Ursula Wiegand

Seit wann arbeitet er hier? „Frank Gehry hat sich sogleich an mich gewandt,“ sagt er und bejaht auch die Verwandtschaft zwischen Musik und Architektur. Dass er moderne Räume schätzt, wird ebenfalls deutlich. Auch die elliptische Form dieses Saals ist für ihn kein Problem. „That’s our job,“ lächelt er.

Dieser neue Saal sei kein typischer Konzertsaal konservativer Art, hebt Toyota hervor. Der Klang unterscheide sich total von den Sälen in Wien oder Amsterdam. Auch der Einfluss einer Stadt wie Berlin sei enorm. „Der Pierre Boulez Saal ist ein Meilenstein und zeigt in richtiger Weise den Charakter Berlins“ betont der weltweit Tätige. Dass auch er hier ohne Honorar arbeitet, verschweigt er bescheiden.

Mit dem Pierre Boulez Saal erhält Berlin nun den modernsten Musiktempel der Stadt, einen flexibel nutzbaren Saal des 21. Jahrhunderts genau nach Daniel Barenboims Wunsch, der keinen traditionellen Konzertsaal, sondern „etwas Besonderes“ haben wollte. (Anmerkung der Autorin: die für „teuer Geld“, geschätzte 400 Millionen Euro, sanierte Staatsoper wird ihm dieses nicht bieten.)

Daniel Barenboim, Staatskapelle Berlin, Foto Holger Kettner
Daniel Barenboim. Copyright: Holger Kettner

Passend zu diesem neuen Saal wurde das „Boulez-Ensemble“ gegründet, bestehend aus Musikerinnen und Musikern der Staatskapelle Berlin und des „West-Eastern Divan Orchestra“. Mit dabei sind auch Professoren der Barenboim-Said-Akademie und Gastkünstler. Geboten werden Musik aus dem klassisch-romantischem Repertoire, Werke der klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts sowie zeitgenössische Kompositionen. „Musik für das denkende Ohr“, nennt es Barenboim. Geplant sind rd. 100 Aufführungen pro Saison, wobei anfangs der arabischen Musik reichlich Platz eingeräumt wird.

Was 1999 in Weimar mit der Gründung des „West-Eastern Divan Orchestra“ durch Daniel Barenboim und den amerikanisch-palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said begann – das gemeinsame Musizieren von israelischen und arabischen jungen Menschen – wurde trotz aller Auseinandersetzungen in Nahost zum Erfolgsprojekt.

Das Orchester begeistert mitunter nicht nur das Publikum in der Berliner Waldbühne, schon längst tourt es als Friedensbotschafter durch die Welt. Nie wird Barenboim die Worte eines Mädchens anlässlich des Konzerts im Jahr 2005 in Ramallah vergessen, das zu ihm sagte: „You are the first thing I’ve seen from Israel that is not a soldier or a tank.” (Du bist das erste Ding, das ich aus Israel gesehen habe, das kein Soldat oder ein Panzer ist.)

Ex-Magazingebäude, nun Domizil der Barenboim-Said-AkademieEx-Magazingebäude, nun Domizil der Barenboim-Said-Akademie. Copyright: Ursula Wiegand

Jetzt mündet diese mutige Orchestergründung in die Barenboim-Said-Akademie, die am 8. Dezember 2016 offiziell im schon erwähnten Ex-Opernmagazin gestartet ist. Zu diesem Zweck wurde das 1952 nach den Plänen von Richard Paulick errichtete, Denkmal geschützte Gebäude völlig entkernt und vom Architekturbüro HG Merz, in einer Werkgemeinschaft mit BAL Berlin, zu einem modernen Lernzentrum umgebaut. Die Barenboim-Said-Akademie erhält es für 99 Jahre in Erbpacht.

Barenboim-Said-Akademie, Eingangshalle
Barenboim-Said-Akademie, Eingangshalle. Copyright: Ursula Wiegand

Hinter der erhaltenen neoklassischen Fassade überrascht sogleich die nach oben offene moderne Eingangshalle. In ihren von dunklen Stahlelementen akzentuierten Rot-Braun-Tönen strahlt sie trotz aller Geradlinigkeit Wärme aus. Zweckmäßig und schlichter zeigen sich der große Hörsaal sowie die Seminar-, Probe- und Verwaltungsräume auf den insgesamt drei Ebenen. 20 Millionen des knapp 34 Millionen Euro teuren Umbaus übernahm der Bund, den Rest finanzierten private Stifter. Die öffentliche Hand beteiligt sich außerdem an den laufenden Kosten.

Barenboim-Said-Akademie, Eingangshalle, Blick zu den Türen, b
Barenboim-Said-Akademie, Eingangshalle, Blick zu den Türen. Copyright: Ursula Wiegand

Schon seit dem vorigen Oktober lernen hier 42 junge Menschen, bis zu 90 sollen es demnächst sein – Juden, Moslems, Christen von der Türkei über Israel bis zum Iran. Die werden jedoch nicht „nur“ zu Profi-Musikern, sondern ganzheitlich humanistisch ausgebildet. Sie erhalten auch Unterricht in Geschichte, Philosophie, Politik und Religion, um einen Geist des gegenseitigen Verständnisses zu schaffen. Ohnehin sei die Ausbildung von Musikern heutzutage „in aller Regel viel zu einseitig,“ sagt Barenboim.

Seine Vision ist es, aus den jungen Menschen, die die gemeinsame Leidenschaft für die Musik verbindet, „Botschafter des Friedens“ zu machen. Ob das gelingt, ist zu hoffen. Momentan lauten die spannenden Fragen: Wie klingt der Pierre Boulez Saal, und wird auch Frank Gehry (Jahrgang 1929) zur Eröffnung kommen können?      

 Ursula Wiegand

 

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