Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BAYREUTH: RWM – Richard Wagner Museum: Symposium „Tendenzen und Perspektiven der Wagner-Regie“

12.09.2022 | Reflexionen-Festspiele

BAYREUTH: RWM – Richard Wagner Museum: Symposium „Tendenzen und Perspektiven der Wagner-Regie “ – 2.-3. August 2022

Während der Festspielsaison 2022 veranstaltete das Richard Wagner Museum ein Symposium zum Thema „Tendenzen und Perspektiven der Wagner-Regie“ im Siegfried Wagner-Haus bei der Villa Wahnfried.

Im Fokus des Symposiums stand die Frage nach möglichen Perspektiven der Wagner-Regie, die sich vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Situation in einem zunehmenden Spannungsverhältnis zwischen historischem Werk, Interpretation und Zuschauererwartung bewegt. Teilnehmer waren Prof. Dr. Udo Bermbach, Prof. Dr. Susanne Vill, Dr. Klaus Billand, Dr. Sven Friedrich, Jasmin Solfaghari, Axel Brüggemann und Klaus Florian Vogt.

siegfried wagner haus
Das Siegfried Wagner-Haus. Foto: Dr. Klaus Billand

Über das Symposium:

Der Begriff „Regietheater“ ist vielleicht das Reizwort in Oper und Schauspiel der vergangenen Jahrzehnte. Eigentlich ein Pleonasmus, denn streng genommen ist Theater ohne Regie gar nicht denkbar und mithin stets Regietheater, wird damit ein Inszenierungsstil bezeichnet, bei dem die konzeptionelle und visuelle Erscheinung im Mittelpunkt steht. Dabei wird die ästhetische Autonomie des Theaterkunstwerks reklamiert, das mehr sein will als nur Abbildung oder Illustration eines historischen Werks mit einer vermeintlich unverrückbar festgeschriebenen Erscheinungsform. Infolgedessen wird das ideologiekritisch befragte Drama mit seinen historischen Regieanweisungen, Bildvorschriften und Charakterzeichnungen von seiner jeweiligen Erscheinung auf der Bühne der Gegenwart getrennt. Dadurch wandeln sich die Interpretationen seit etwa den 1970er Jahren zunehmend von hermeneutischer Exegese zu diskursiver Projektion und postmodernem Dekonstruktivismus. So rückt in der Oper der Fokus von den musikalischen auf die szenischen Belange und Leistungen.

Zumeist zum Missvergnügen eines „Werktreue“ reklamierenden Publikums bewegt sich das „Regietheater“ so in einem zunehmenden Spannungsverhältnis zwischen manifestem Werk und Zuschauererwartung. Ob nun als Projektion von Lebenswelt und Zeitgeist der Gegenwart auf das historische Werk, Dekonstruktion vermeintlicher Sinnzusammenhänge oder Provokation als Mittel zur Zerstörung konsumtiver Behaglichkeit – Inszenierungen, die sich nicht dem Vorwurf ästhetischer Irrelevanz und Epigonalität aussetzen wollten, müssen ein dialektisches Widerspruchsverhältnis zwischen Werk und Publikum erzeugen. Dies gilt allemal auch für die Inszenierungen der politischen und parareligiösen Parabeln Richard Wagners.

Vor dem Hintergrund eines postmodernen „anything goes“, das anscheinend zu ästhetischer Beliebigkeit geführt hat, den in immer neuen Gewändern erscheinenden, in der optischen Vielfalt inhaltlich aber doch oft erstaunlich ähnlichen Produktionen eines dann doch überschaubaren, vielleicht gar auserzählten historischen Opern-Repertoires und einer Mischung aus Innovationszwang und Überdruss steht die Relevanz einer historischen Gattung zur Debatte. Insbesondere angesichts der jüngsten krisenhaften Zäsuren stellt sich auch und vielleicht gerade bei Wagner-Inszenierungen die Frage nach dem Verhältnis zwischen historischem Werk, seiner stets ephemeren szenischen Vergegenwärtigung und dem Publikum. Besteht demnach die Notwendigkeit einer ästhetischen Neuorientierung der Wagner-Regie? Geht das Theater Richard Wagners künftig wieder stärker zurück auf das historische Werk oder bereits erprobte Inszenierungsformen? Wird das Theater damit zum Museum? Oder ist das Interpretationstheater an einem Endpunkt angelangt? Lösen sich Sinn- und Bedeutungszusammenhänge in einem entkoppelten Nebeneinander paralleler autonomer Kunsterscheinungen auf? Kann eine konsequente Dekonstruktion die musikalische Ebene aussparen? Oder wird die Oper aus ökonomischen Zwängen ohnehin zu einer kulturell irrelevanten Randerscheinung? – Diesen und anderen Fragen versucht das Symposium im Richard Wagner Museum „Tendenzen und Perspektiven der Wagner-Regie“ am 2. und 3. August 2022 nachzugehen. (Einführende Kommentare von Dr. Sven Friedrich, Museums- und Archivdirektor Richard Wagner Museum mit Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung – Haus Wahnfried – Jean-Paul-Museum und Franz-Liszt-Museum, sowie Gastgeber des Symposiums).

spulikum2
Das zahlreich erschienene Publikum. Foto: Dr. Klaus Billand

Programm

  1. August 2022      

10.00 Uhr

Begrüßung durch Benedikt Stegmayer, Referent für Kultur und Tourismus der

Stadt Bayreuth

10.15 Uhr

Dr. Sven Friedrich: Begrüßung und Keynote „Was ist und warum

‚Regietheater‘?“

11.15 Uhr

Axel Brüggemann: „Zeitenwende der Klassik? Tradition und Aufbruch“

12.00 Uhr

Podium: Dr. Sven Friedrich, Dr. Klaus Billand, Axel Brüggemann

14.30 Uhr

Jasmin Solfaghari, Regisseurin: „‘Zwangvolle Plage, Müh‘ ohne Zweck?‘ –

Aspekte von Regiekonzeption“

15.15 Uhr

Dr. Klaus Billand: „Publikum und Kritik“

16.00 Uhr

Podium: Jasmin Solfaghari, Dr. Klaus Billand, Dr. Sven Friedrich

16.30 Uhr

Ende der Veranstaltung

  1. August 2022      

10.00 Uhr

Prof. Dr. Susanne Vill: „Reflexe des Wertewandels auf der Opernbühne“

11.00 Uhr

Klaus Florian Vogt im Gespräch mit Prof. Dr. Udo Bermbach.
Moderation: Dr. Sven Friedrich

12.30 Uhr

Ende der Veranstaltung

 

Die Teilnehmer des Symposiums haben ihre Beiträge folgendermaßen zusammengefasst:

 

  1. Sven Friedrich – Was ist und warum Regietheater?

 

In seiner Keynote „Was ist und warum Regietheater“ befasste sich Sven Friedrich nach einem historischen Abriss über die Begriffe von „Regie“ und „Regietheater“ vor dem Hintergrund der seit etwa um die Wende zum 20. Jahrhundert virulenten ästhetischen Autonomie des Theaters mit der Trennung von Spielvorlage (Partitur) und deren Epiphanie mit dem Verhältnis zwischen Produktions-und Rezeptionsästhetik unter besonderer Berücksichtigung der empirischen Publikums- und Medienwirkungsforschung, insbesondere den Theorien Moritz Geigers und Leon Festingers sowie der postdramatischen Ästhetik des Dekonstruktivismus. Nach einem Blick auf die Problematik der postmodernen Suspendierung von Autor und Hermeneutik stellen sich die Fragen nach Sinn und Zweck einer Opern-Regie der Zukunft, einem ästhetischen a priori, ob und inwiefern es überhaupt eine Wechselwirkung zwischen sozialer und ästhetischer Realität gibt sowie der künftigen gesellschaftlichen Relevanz von Theater aufgrund zunehmendem Legitimationsdruck in einer Zeit der pandemischen, ökologischen und ökonomischen Krise.

sfriedrich3
Dr. Sven Friedrich. Foto: Dr. Klaus Billand

Als mögliche künftige Optionen der Wagner-Regie stehen dabei – unabhängig von einer ästhetischen Bewertung – im Raum:

 

  1. a) die konsequente Dekonstruktion auch der Partitur, nicht nur der Dramaturgie und Regieanweisungen der Stücke;
  2. b) die vollständige Auflösung semantischer Verweisungszusammenhänge zwischen historischem und gegenwärtigem Werk der Aufführung bis hin zu autonomen künstlerischen Parallelaktionen;
  3. c) die Regression zu Ritual und Kult durch Musealisierung und ästhetizistischen „Dekorativismus“.

 

Dr. Sven Friedrich, Museums- und Archivdirektor RWM

www.wagnermuseum.de

 

  1. Dr. Susanne Vill – Reflexe des Wertewandels auf der Opernbühne 

 

In westlich orientierten Ländern galten Opern traditionell als Garanten der Werte der Hochkultur, ihre Aufführungen hatten einen Bildungsauftrag zu erfüllen. Mit dem Anspruch auf künstlerische Autonomie und kritische Dekonstruktion der Werke legten die Inszenierungen die Differenzen offen zwischen den Inhalten der Opern und den aktuellen Diskursen über Ethik und Werte. Neuinszenierungen schockieren das Publikum oft mit drastischen Bildern und Interpretationen. Die Frage nach dem Wert solcher, von staatlichen Zuschüssen finanzierten Aufführungen, wurde brisant durch die für viele Institutionen existenzbedrohenden Auswirkungen der Digitalisierung, Klimakrise, Pandemie und der Energiekrise. Auch die 3D-Inflation: Demografie, Deglobalisierung und Decarbonisierung belastet die Betriebe der Opernhäuser, die mit Personal- und Nachwuchsschwund zu kämpfen haben. In der Unsicherheit über die Akzeptanz des Publikums gelten Mozart, Verdi, Wagner, Puccini und Strauss den Intendanten als die fünf Säulen des Opernspielplans.

Anpassungsversuche an den vermuteten Horizont des Publikums sollen die Bedeutung der alten Werke für die aktuelle Kultur und die Existenzberechtigung der Opernhäuser bestätigen helfen. So wird die Wahl der Regisseure zum Politikum. Engagiert werden bekannte, erfolgreiche Opernregisseure, auch Schauspiel- und Filmregisseure (ergänzt um musikkompetente Mitarbeiter); von „Shooting stars“ werden radikal junge Perspektiven erwartet, von Künstlern der Performance-Szene, Malern, bildenden Künstlern und Choreografen zeitgemäß Außergewöhnliches.

svill4
Dr. Susanne Vill. Foto: Dr. Klaus Billand

Die heutige Inszenierungspraxis orientiert sich weitgehend an der postmodernen und der postdramatischen Theaterästhetik. Postmoderne Kreationen lieferten Calixto Bieito, Yuval Sharon, Johan Simons, David Livermore u.a.. Postdramatische Produktionen brachten Christoph Schlingensief, Milo Rau, Frank Castorf, Christoph Honoré, Nicholas Stemann u.a. mit „Überschreibungen“ auf die Bühne. Für die Opernhäuser, ihr Personal und ihr Budget bisher kaum realisierbar sind die innovativen Kreationen, die mit virtueller Realität, augmentierter Realität und künstlicher Intelligenz faszinierend immersive Visionen schaffen.

 

Prof. Dr. Susanne Vill, Theaterwissenschaftlerin

www.susanne-vill.at

 

  1. Jasmin Solfaghari – Wohin wird sich also die Wagner-Regie entwickeln?

 

Zur rechten Antwort fehlt uns dazu wohl eine Dritte Norn. Eines ist klar: solange es eine Erwartungshaltung gibt, die etwas „Ganz Neues“, „Noch-Nie Dagewesenes“ einfordert und maßlos enttäuscht ist, wenn Charaktere und Zusammenhänge des Werks ausgelotet und „nur“ sehr gut gearbeitet werden, ohne dass die Handlung auf dem Mars spielt, solange wird es auch verkopfte Konzepte geben. Es gab bereits den Planet der Affen, die Entdeckung der Langsamkeit, das ewige Filmteam, das gerade am Set ist und die Oper einstudiert. Sicher, es fehlen noch viele absonderliche Spielorte oder – wie auch gerade hier in Bayreuth bei den ersten beiden Teilen der Tetralogie erleben wir – eine bisher unbekannte Sicht der Dinge.

 

Brauchen wir nicht inzwischen Aufführungen für Frischlinge und alte Hasen?

Als langjährige ehemalige Spielleiterin war ich – wie viele unendlich hart arbeitende Kolleginnen und Kollegen weltweit – in der Pflege alter Produktionen aktiv. Mein erster Besuch neulich im „Parsifal“ von 1957 am Nationaltheater Mannheim zeigte mir: lasst uns exemplarische Aufführungen wieder beleben, beatmen und wie ein Stück lebende Zeitgeschichte erlebbar machen, solange die Spielleiter von damals noch zur Verfügung stehen. Gerade für Opernanfänger halte ich diese Methode für sehr erhellend.

Aber das ist auch eine Fundgrube für Freundinnen und Freude von Theatergeschichte: dazu noch ein Exkurs in Physik und der Lichttechnik von damals und heute…würde ich übrigens auch mal Physiklehrern empfehlen, das Thema Theater-Beleuchtung einmal in ihrem Lehrplan aufzugreifen.

jasd
Jasmin Solfaghari. Foto: Dr. Klaus Billand

Ich plädiere dafür, in unserem Goldschatz Repertoiretheater das Neue und das Alte nebeneinander als Auswahl für das Publikum anzubieten, um eine Fülle und Vielfalt der lebendigen Oper abzubilden…solange wir noch diese hohe Anzahl an Theatern pro Quadratmeter haben!

Solange die Partitur für eine Inszenierung eine bloße Folie ist, die wie Filmmusik „druntergelegt“ ist, ist alles, was ein Opernsänger innerhalb seiner Rolle von sich gibt,  nicht überzeugend, da mag die Stimme klingen wie sie will.

Statt des Hangelns von Meisterkurs zu Meisterkurs würde ich mir eine Opernakademie der anderen Art vorstellen. Ein Punkt ist, die musikdramatischen Inhalte früh genug zu erarbeiten, das Ausloten der Rollen in puncto Charakter, Aussage und Diktion schon in den frühen Semestern 2-4 zu starten. Abgesehen davon sollten meiner Ansicht nach Gesangsstudenten einmal zu Übungszwecken dirigiert und ein Bühnenbild entwickelt haben, Dirigenten auf einer Bühne gestanden und sich dazu bewegt, Regisseure musiziert und Kostümbildner einmal eine Rolle in einem sperrigen Kostüm durchgespielt haben. Back to the roots!

Wenn wir in Zukunft noch ein Publikum ansprechen wollen, dann beginnt die Auseinandersetzung für mich außerdem an der Musikvermittlung für jedes Alter, in den Schulen. Die Wissenschaften gehören außerdem viel stärker einbezogen und nicht immer von der Kunst abgekoppelt. Da gibt es viele kreative Köpfe, die nicht den Stress haben, sich als Künstler präsentieren zu wollen und denen sehr kluge Dinge einfallen. Wir Opernleute sind nicht in einem selbstreferenziellen bubble. Vielleicht sind wir die semipermeable Membran, die halbdurchlässige Trennwand, die dem AUSSEN den Blick auf das INNERE eines Werkes in Anteilen ermöglicht. Wir sind Vermittler, die kein Geheimrezept brauchen, außer sich an die Arbeit zu machen: „Die Zeit ist da!

 

Jasmin Solfaghari, Regisseurin

www.solfaghari.com

 

  1. Klaus Billand – Publikum und Kritik

 

Wie bei den Neuerungen der Berliner Krolloper um 1930 führten schon in der weiter zurück liegenden Vergangenheit – vor allem jener von Wieland und Wolfgang Wagner ab 1951 im sog. Neu-Bayreuth – Veränderungen zu heftigem Widerstand beim Publikum, welches bis dahin einen konservativen, eng an den Regieanweisungen Richard Wagners orientierten Inszenierungsstil gewohnt war. Der im allgemeinen Bewusstsein wohl präsenteste Beginn des Wagnerschen Regietheaters, wie wir es heute kennen, fand in den 1970er Jahren mit den „Ring“-Inszenierungen von Joachim Herz in Leipzig, Ulrich Melchinger in Kassel und Patrice Chéreau in Bayreuth statt. Es entstand im Publikum der Vorwurf, der theatralische Teil des Musiktheaters trete zu stark hinter den musikalischen zurück.

Damit soll gar nichts gegen eine Vorrangstellung von Regie und Werkinterpretation gegenüber Musik und Gesang gesagt sein. Die Kunstform Oper mit ihren allgemeingültigen Universalwerken sollte durchaus auch aktuelle Themen aufgreifen, um auch für ein zeitgenössisches Publikum interessant und bereichernd zu wirken. Und sie kann das auch – eine Musealisierung durch immer gleiche Interpretationen ist sicher keine Option. Gutes und im besten Sinne des Ausdrucks „wasserdichtes“ Regietheater ist allerdings anspruchsvoll und verlangt bei allem Wagemut für neue Lesarten eine profunde Kenntnis des Opern-Handwerks, der Stücke sowie ihrer Partitur. Doch daran mangelt es einigen der heute in der Wagnerschen Regietheaterszene wandelnden Regisseure. In Zukunft sollte in viel höherem Maße auf die fachliche und handwerkliche Eignung sowie die inszenatorische Erfahrung von Opernregisseuren geachtet werden. Das erscheint auch deshalb angezeigt, da das Musiktheater substanziell von der öffentlichen Hand finanziell unterstützt wird und Betriebsverluste durch eine später wegen Nachfragemangels notwendig werdende vorzeitige Absetzung der Produktion und die zu einem solch frühen Termin nicht geplante Einstellung einer neuen zu vermeiden.

sbilland
Dr. Klaus Billand. Foto: privat

Beim durch nichts zu ersetzenden Primat der Freiheit der Kunst sollte der Regisseur ein Werk des Musiktheaters auch als musiktheatralisches Werk begreifen und nicht als Theater nach seinem – oftmals allzu beliebigen, bisweilen hyperintellektualisierten – individuellen Gusto mit musikalischer Untermalung. Oft verstehen die „normalen“ Abonnenten, von denen die Oper aber lebt, die Werke nicht mehr. Ausgerechnet die oft als spektakulär und vermeintlich aufregenden, später dann aber oft langweilenden, weil den thematischen Fokus und damit den Assoziationsspielraum des Publikums zu stark einengenden Regietheater-Produktionen sind ja meist genau die, die auch besonders teuer sind. Dazu der schweizerische Bühnenbildner und Regisseur Roland Aeschlimann: „Das Publikum muss freien Raum haben – das ist entscheidend. Die Opernarbeit ist stets so zu machen, dass sie beim Publikum ankommt. Es muss aber verstehen, was es sieht und hört.“ Das findet auch der Wagner-Sänger Klaus Florian Vogt, wie dem Gespräch mit Prof. Dr. Udo Bermbach zu entnehmen ist.

Man sollte auch den Bildungsauftrag sowie die Tradierung relevanter europäischer Ideen und Werte durch die Kunstform Oper im europäischen und internationalen Kontext nicht unterschätzen. Die bedeutende öffentliche Finanzierung wird wesentlich mit dem Bildungsauftrag begründet, und sicher zu Recht. Allerdings spricht viel dafür, dass auch die für die Kulturbudgets und die Bestellung von Intendanten zuständigen Politiker – und jene für die Bestellung der Kulturpolitiker Verantwortlichen – mit mehr Sachverstand agieren sollten als bisweilen nach ganz anderen Kriterien und politischen Vorstellungen.

Der Publikumszuspruch zur Oper ist in Deutschland und anderen europäischen Ländern klar abnehmend, erst recht nach der Pandemie. Die rasante Zunahme der Bedeutung der sozialen Medien ist gerade für junge Menschen ein Grund, weniger oft oder überhaupt nicht in die Oper zu gehen. Aber diese Kunstform wird die jungen Leute auf lange Sicht immer mehr brauchen, auch um die öffentliche Finanzierung für das Gros der Theater zu sichern. Ein zentrales Problem sind in diesem Zusammenhang die vermeintlichen Kultur-Eliten, sowohl bei den Kulturmachern als auch bei den Kritikern und dem Feuilleton ganz allgemein, die sich in gewissem Ausmaß selbst genügen und denen das breite Publikum relativ egal ist. Diese „Meinungsmacher“ arbeiten oft mehr im eigenen Saft anstatt im Dienst des Werkes, seines Entstehungsrahmens und des Publikums. Eine Publikums-Befragung, wie sie von der Oper Leipzig nach ihrem temporären Niedergang in der Saison 2011/12 unter dem neuen Intendanten und GMD Ulf Schirmer durchgeführt wurde, wäre eine interessante Option. Macht man Musiktheater nicht für das Publikum?!

 

Dr. Klaus Billand, Opern-Kritiker

www.klaus-billand.com

 

  1. Gespräch von Prof. Dr. Udo Bermbach mit Klaus Florian Vogt

 

Das Gespräch dreht sich um die Einstellung des Wagner-Sängers Klaus Florian Vogt zu Regie-Konzepten und zu seiner Bereitschaft, auf das einzugehen, was Regisseure von ihm erwarten.

sbermbach vogt
Klaus Florian Vogt im Gespräch mit Prof. Dr. Udo Bermbach. Foto: Dr. Klaus Billand

Auf eine entsprechende Frage nach seinen Grenzen, nicht alles mitzumachen, was verlangt wird, antwortet er in einem langen Statement, dass es ihm bisher noch nicht passiert sei, dass Regisseure etwas verlangen, was er nicht liefern könne oder wolle. Das hänge auch damit zusammen, dass er im Vorfeld mit dem Regisseur ausführliche Gespräche habe über das, was auf der Bühne passieren solle und dabei auch besprochen werde, wie die Aktionen sich auf das Singen auswirken würden. Ihm käme es stets darauf an, mit seinem Singen die Zuhörer zu erreichen, sie emotional zu bewegen und seine Empfindungen auf sie zu übertragen. Was die Regie beträfe, so sei er vorab informiert, was ein Regisseur plane, stelle sich darauf ein, bringe aber seine eigene Sicht durchaus ein. Sänger seien ja keine Marionetten, sondern eigenständige Künstler und sollten so auch auf der Bühne auftreten. Er glaube, dass eine überzeugende Darstellung auf der Bühne die Menschen berühre und neue Interessenten in die Oper locken könne.

 

Zur Regie: wenn ein Regisseur Neues und Überzeugendes vorschlage, werde er das gerne aufnehmen. Bestimmte Dinge seien allerdings festgelegt, ergäben sich aus der Aufführungspraxis: so, wenn etwa, um ein Beispiel zu nennen, die Schusterstube auf der Bühne weit hinten platziert wird, so sollte sie nach vorne. Grund: es ist eine intime Szene, bei der die Sänger das Orchester sehen und hören müssen, es genauen Kontakt mit dem Dirigenten geben muss und das Publikum in diese Dialoge einbezogen werden sollte. Das alles von weit hinten zu machen, geht nicht, weil Sänger und Orchester vermutlich nicht zusammen sind. Hier muss auf sängerische Belange Rücksicht genommen werden.

svogt5
Klaus Florian Vogt. Foto: Dr. Klaus Billand

Schlussfrage von Bermbach: Was bedeutet Ihnen Bayreuth? Vogt, das ist eine schwierige Frage, weil es für ihn ein sehr emotionales Thema und weil es eine lange Geschichte durch die Schwiegereltern gibt, die früh hier waren. Die eigene Familie hatte schon früh Kontakt zu Bayreuth, war in Bayreuth, und ich, Klaus Florian Vogt, wäre ohne Bayreuth vielleicht nicht Sänger geworden, weil Bayreuth mich so beeindruckt hat und etwas so Besonderes ist. In Bayreuth zu sein, bedeutet mir sehr viel, es ist ein unglaublicher Traum und ein Hochgenuss, auf dieser Bühne zu stehen.

 Prof. Dr. Udo Bermbach, Wagner-Autor

sschlussrunde
Schlussrunde. Foto: Dr. Klaus Billand

Die durchwegs interessanten Beiträge und Podiumsdiskussionen, die ihnen jeweils unmittelbar folgten, sowie die Beteiligung des an beiden Tagen äußerst zahlreich erschienenen Publikum (einige mussten gar stehen) legen nahe, das Thema auf einem weiteren Symposium ähnlicher Art weiter zu diskutieren und zu vertiefen. (Von Axel Brüggemann lag bei Redaktionsschluss keine Zusammenfassung vor).     

Klaus Billand                                   

 

 

 

 

Diese Seite drucken