AUF DEN SPUREN VON JAMES ENSOR : OOSTENDE
Oostende…allein schon der Klang dieser belgischen Küstenstadt erweckt Sehnsüchte…seine zwei Oos werden in der Phantasie zu sehr viel mehr Ooooooooooos und entführen den Tagträumenden gedanklich in die Weite, in die Ferne, in fremde Länder, auf andere Kontinente…
In der Belle Epoque war Oostende einer der luxuriösesten Badeorte Europas, und bis in die 70er Jahre war es insofern noch ein Begriff, als der Kontinentaleuropäer von hier aus mit der Fähre nach Dover übersetzen konnte…
Der junge Ensor. Foto: Robert Quitta)
Auch heute ist es noch ein beliebtes Ausflugziel, und sein Name ist in erster Linie mit dem Maler James Ensor verbunden. Dessen 75. Todestag hat man in Flandern zum Anlass genommen, 2024 zum ENSOR JAHR auszurufen – mit vielen Aktivitäten, Ausstellungen usw., hauptsächlich hier und in Antwerpen.
Der alte Ensor. Foto: Robert Quitta
James Ensor (1860-1949) hat – für einen Maler sehr ungewöhnlich – den größten Teil seines Lebens in Oostende verbracht. Und er ist hier nicht nur geboren und gestorben, er hat eigentlich die meisten Inspirationen für seine Werke aus dieser seiner Umgebung bezogen. Da auch sein Wohnhaus glücklicherweise nicht nur erhalten, sondern auch sehr schön renoviert worden ist, ist ein Besuch in Oostende in Sachen Ensor etwas ganz Besonderes, ja Einzigartiges und genaugenommen ein Muss für jeden kunstgeschichtlich Interessierten.
Auslage des Ensorhuis. Foto: Robert Quitta)
Den überwältigendsten und bewusstseinserweiterndsten Eindruck erhält man schon, bevor man das „Ensorhuis“ betritt. Denn da blickt man in die Auslage eines wirklich sehr kuriosen Kuriositätengeschäfts (mit Souvenirs, Muscheln, Masken, Karnevalskostümen etc.),das die Mutter Ensors im Erdgeschoss betrieben hat und das der Sohn nach ihrem Ableben absolut unverändert beliess.
Und ohne dass es einem jemand erklären und ohne dass man einen Katalogtext lesen muss, wird einem bei diesen Anblicken schlagartig klar, dass dieses seltsame Habitat den kleinen James ursächlich und nachhaltig geprägt hat. Er schreibt selbst: „ Ich habe meine Kindheit inmitten von glänzenden perlmuttfarbenen Muscheln mit tanzenden, schillernden Reflexen und den bizarren Skeletten von Meeresungeheuern und -pflanzen verbracht. Diese herrliche Welt voll Farben, diese Überfülle von Spiegelungen und Strahlen hat aus mir einen Maler gemacht, der in die Farbe verliebt und von der blendenden Glut des Lichtes entzückt ist.“
Ein Stockwerk höher wird diese Erkenntnis, wird dieser Eindruck beim Besuch in seinem atmosphärisch sehr dichten, „ensormässigen“ Atelier nur noch verstärkt.Es gibt kaum einen anderen Gedenkort auf der Welt, wo man einen Künstler dermassen s p ü r e n kann, wo er quasi direkt durch Haut und Poren in einen eindringt.
Eingang zum „Ensorhuis“. Foto: Robert Quitta
Zeitlich parallel zur kleinen, aber feinen und von Xavier Tricot sorgfältig kuratierten Ausstellung „Selbstportraits“ im Ensorhuis selbst, fand im Oostender Museum für moderne Kunst eine riesige, nahezu erschöpfende Schau über JAMES ENSOR UND DAS STILLEBEN IN BELGIEN statt.
Und ich muss sagen, dass diese Erfahrung meinen Blick ihn noch einmal vollkommen verändert hat.
Ensor gilt ja – nicht zu Unrecht – als düsterer Maler der grotesken Karikaturen, der Fratzen, der Masken. In seinen Stilleben kommt ein ganz anderer Ensor zum Vorschein. Der Meister kennt natürlich genau diese große Tradition der flämischen Malerei und bezieht sich auch auf sie, verändert sie aber und macht sie ganz zu seiner eigenen. Statt finsterer Grossformaten mit Unmengen toten Geflügels sehen wir hier freundliche Bilder mittlerer Dimensionen. Mit großer Liebe und Zärtlichkeit malt Ensor allerlei Meeresgetier aus der Nordsee und dem Shop seiner Mutter, seine Palette hat sich aufgehellt, er verwendet viel Deckweiss, die Bilder strahlen eine große Ruhe und stille Fröhlichkeit aus. Das (Still)Leben ist schön…Fast sieht es so aus, als wäre sogar der als Menschenfeind, Menschenverachter und Menschenhasser verschriene James Ensor ein paar Stunden lang glücklich gewesen…
„Der Rochen“ – gemalt. Foto: Robert Quitta)
Das Schönste aber an Ensors lebenslanger Symbiose mit Oostende ist, dass man einige der Objekte seiner Stilleben nicht nur im Museum bewundern, sondern auch in Restaurants (z.B, im Grand Café Brassi im Kursalon mit überwältigendem Blick auf die endlosen Sandstrände) verzehren kann. Der faszinierende Riesen – Rochen hatte zwar leider gerade keine Saison, aber die auch sehr oft dargestellten Austern (es gibt in Oostende eine eigene Austernbank, eine eigene Austernsorte) gab es in Hülle und Fülle. Sozusagen von der Leinwand direkt auf den Tisch. Schlürf !
Hotel d Parc. Foto: Hotel d Parc
Sein Haupt zur Ruhe betten kann man am besten im sorgfältig renovierten Traditionshaus HOTEL DU PARC (mit eigener Brasserie) in der Innenstadt, in dem auch schon Albert Einstein genächtigt hat. Das familiär geführte Hotel vermittelt Frieden und Geborgenheit, sodass man relativ sicher sein kann, im Traum nicht von Ensors Masken und Fratzen heimgesucht zu werden.
Robert Quitta, Oostende