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ALL IS LOST

08.01.2014 | FILM/TV

FilmPlakat All is lost

Ab 10. Jänner 2014 in den österreichischen Kinos
ALL IS LOST
USA / 2013
Drehbuch und Regie: J.C. Chandor
Mit: Robert Redford

Amerikanischen Kritikern ist natürlich sofort „Der alte Mann und das Meer“ eingefallen, und wenn der 77jährige Robert Redford knappe zwei Kinostunden nichts anderes tut, als die tobenden Elemente in Gestalt des Indischen Ozeans zu bekämpfen, dann mag eine solche Assoziation nahe liegen. Aber sie ließe einen komplexen Film schlicht aussehen, und genau das ist er nicht.

Dem Zuschauer wird es nicht leicht gemacht. Es gibt keine Vorgeschichte, es beginnt umweglos mit einem Crash – beängstigendes Knirschen, das Plätschern von schnell fließendem Wasser, und man sieht, dass sich ein Riesencontainer, der im Meer schwimmt, mit scharfer Ecke in eine Jacht gerammt hat und den darin schlafenden Mann aus seiner Ruhe reißt…

Hier ist man nun, und hier bleibt man den ganzen Film hindurch: Der Zuschauer und der Mann, der im Lauf der Zeit vielleicht ein halbes Dutzend Worte sagt. Der Mann, von dem man absolut nichts weiß und auch persönlich nichts erfährt – warum er einsam auf dem Boot ist, wer „draußen“ auf ihn wartet oder nicht, in welcher seelischen Situation er sich befindet. Parallele Schnitte zu anderen Menschen, die zu ihm in Bezug stehen, oder Rückblenden werden komplett verschmäht. Das Angebot des Films ist gewissermaßen minimalistisch: Da ist ein alter Mann, der nicht wie ein solcher wirkt, weil auch ein 77jährigen Robert Redford keinerlei „Greisen“-Züge aufweist (wie einst Spencer Tracy, als er in der Hemingway-Verfilmung tatsächlich „Der alte Mann“ war). Und man sieht ihm dabei zu, wie er den Naturgewalten trotzt und mit der ganzen Intelligenz des Homo Sapiens das schier Unmögliche versucht: In der unfasslichen Weite des völlig einsamen Ozeans zu überleben, obwohl die Natur ihm kaum eine Atempause gönnt und sich faktisch von Minute zu Minute eine neue Katastrophe ausdenkt.

Dass man dennoch, auf dem winzigen Raum der Jacht und dann des Schlauchboots, in das der Mann flüchtet, mit keinerlei fassbarer „Handlung“ bedacht, ununterbrochen bei der Stange bleibt, verdankt dieser Film Robert Redford. Er hat noch immer etwas von dem charismatischen Aussehen hat, das ihn einst als blonden jungen Mann des amerikanischen Films an die Spitze trug. Aber er hat es mit dem Sonny Boy nie bewenden lassen: Längst ist er einer der Anspruchsvollsten des amerikanischen Film-Business, der im allgemeinen nur seine eigenen Projekte verfolgt, meist als Regisseur, gelegentlich noch als Darsteller.

Robert Redford

Hier inszeniert nun nach eigenem Drehbuch mit aller Dichte J.C. Chandor, Jungspund und Nachwuchstalent in Amerikas Szene, der bisher nun den sehr interessanten Wall-Street-Krimi „Der große Crash – Margin Call“ geliefert hat, der von anderen Filmen dieser Art abstach, weil er kein hektisches Reich & Schön-Drama lieferte, sondern eine kühle Analyse menschlicher Verhaltensweisen unter Druck. Im Grunde beschwört – bei gänzlich anderer Handlung – „All is lost“ eine ähnliche Situation, und offenbar fand sich Chandor damit auf der Höhe von Redfords Ansprüchen.

Denn es geht in diesem Film nicht um ein großes, dramatisches Abenteuer, sondern um eine geradezu beklemmende Überlebensgeschichte, in der es nie, keine Sekunde lang händeringendes Pathos gibt, keine Verzweiflungsseufzer, kein Jammern, keine Panik, sondern immer nur das gänzlich selbstverständliche, nicht zelebrierte, sondern gelebte Durchhalten, indem man bewältigt, was die jeweilige Situation bringt. Wasser, Sturm, Regen, Zerstörungen, die mit primitivsten Mitteln halbwegs gerichtet werden müssen, undurchdringliche Einsamkeit, denn sein Funkgerät ist zerstört…

Er braucht Trinkwasser, er schafft es sich (eine erstaunliche Idee, zu Kondensationswasser ohne Salz zu bekommen). Er hat eine Karte und die Sterne, die ihm ermöglichen, den Kurs zur großen Schifffahrtsstraße zu nehmen, die das Meer durchpflügt. Als seine Jacht dem x-ten Ansturm der Elemente immer noch nicht standhält, ist er dann in seinem Überlebensschlauchboot endlich dort, wo die Riesen-Frachtschiffe fahren. Aber zerbricht man sich als Durchschnittsmensch, der nie mit einer Jacht einsam in den tiefen Ozean vordringen würde, eigentlich den Kopf darüber, dass Ozeandampfer durchaus neben einem Mini-Schlauchboot vorbeifahren können – und es schlechtweg nicht sehen…?

Spannung bis zum Ende, aber doch viel, viel mehr als nur diese. Keine „Heldengeschichte“, aber doch mehr als nur eine solche. Wunderbar.

Renate Wagner

 

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