Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

ZÜRICH: LA TRAVIATA mit Diana Damrau

06.05.2013 | KRITIKEN, Oper

ZÜRICH: Diana Damrau debütiert in LA TRAVIATA am 5.5.2013  (Werner Häußner)

 Diese Frau, die sonst mit hohen und höchsten Herrschaften umzugehen pflegt, verliert fast die Nerven. Diese Frau, die sonst kühl kalkulierend und leidenschaftslos gesellschaftliche Brillanz versprüht, bringt ein linkischer junger Mann aus der Provinz aus der Fassung. Selten hat man diesen Einbruch von etwas völlig Neuem, Anderem sinnenfälliger erlebt als in der Zürcher Wiederaufnahme von Jürgen Flimms „La Traviata“. Die Frau, die es fertig bringt, ein tausend Mal durch die Theaterroutine gejagtes Stück wie Verdis wohl beliebteste Oper wieder frisch und unmittelbar wirken zu lassen, ist Diana Damrau. Ihr Europa-Debüt in der Rolle der Violetta bestätigte, was vor ein paar Wochen die New Yorker Presse schrieb. Ihr Debüt in „La Traviata“ an der Met war ein Triumph, mit standing ovations, wie sie einer der Kritiker lange nicht mehr gehört zu haben vermeldete. In Zürich war der Beifall nicht besonders lang, aber warm und herzlich.

Sich in dieser Rolle, die einem Bonmot zufolge drei Stimmen braucht, auf den ganz großen Bühnen der Welt zu präsentieren, erfordert Mut, bedenkt man die erdrückende Konkurrenz schöner Stimmen, die in den letzten, akustisch dokumentierten gut hundert Jahren die Rolle gesungen haben: von den zwitschernden italienischen Koloratur-Vögelchen der Frühzeit der Schallplatte über wundervoll reiche, reife und ausdrucksfähige Stimmen wie Elisabeth Rethberg und Rosa Ponselle bis Maria Callas und den modernen Darstellerinnen à la Ileana Cotrubas.

Doch der Mut relativiert sich wieder, bedenkt man, wie sich der Geschmack gewandelt hat, wie wenig ein Publikum heute von Stil und subtilem vokalem Ausdruck erwartet, wenn es grobstimmigen russischen oder bulgarischen Gesangs-Schlachtschiffen undifferenziert zujubelt. Die „Traviata“ ist viel gespielt und wird überall irgendwie besetzt, doch idiomatisch zutreffenden Gesang hört man nicht häufig; auch verschleiert das schauspielerische Talent bisweilen die fragwürdige stimmliche Expression.

Diana Damrau hat sich lange Zeit gelassen für diese Rolle, die für sie etwas Besonderes ist: Als Kind, so erzählte sie einmal in einem Interview, hatte sie der „Traviata“-Film von Franco Zeffirelli mit Teresa Stratas so ergriffen, dass sie beschlossen habe, Sängerin zu werden. Die Violetta nannte sie in jugendlichen Sängerjahren ihr Traumziel auf der Bühne. Zuvor hat sie klug beraten agiert: Sie bewegte sich im Koloraturfach allmählich auf die dramatischeren Partien zu, ließ sich auch für eine „Lucia di Lammermoor“ genügend Zeit, eignete sich die Gilda an und die Elvira in Bellinis „I Puritani“. Jetzt war die Zeit reif – und der lange Atem hat sich gelohnt.

Ein wenig nervös war der Beginn schon noch, als Damrau aus einer ungünstigen Position von einem Aufbau des Bühnenbilds von Erich Wonder herab ihren Vergnügungswillen verkünden musste; auch die kurzen Dialoge, in denen jeder Satz emotional anders zu färben ist, waren noch etwas zu hastig. Aber schon über das Bekenntnis im Duett mit Alfredo („Tutto è follia nel mondo“) legt Damrau einen leisen Anflug sarkastischer Grelle: Ein Mensch, der weiß, dass Vergnügen wohl nicht alles sein kann, der aber keine Perspektive findet, wohin das Leben den sonst gehen könnte.

Die öffnet sich mit dem unerwarteten Bekenntnis Alfredos (Saimir Pirgu verdiente eine eigene Würdigung), und Diana Damrau ist unvergleichlich als Stimm-Darstellerin, wenn sie ihre Reaktion zunächst belustigt färbt, dann mit überraschter Beklommenheit spüren lässt, wie irritiert sie ist. Sie muss diesen Alfredo loswerden, bevor er sie völlig aus der Fassung bringt: Das, so zeigt Damrau, ist der tiefere Grund, ihn mit der Kamelie wegzuschicken. Keine Koketterie, reine Verblüffung. Und dann zeigt die Sängerin, wie sie mit der Stimme spielen, den Klang changieren, den Ausdruck intensivieren kann: Wie sie von „È strano“ bis „Oh gioia“ die Stimme verändert, von einer noch halb verwunderten Frage an sich selbst bis zur überraschten Überwältigung durch die Freude, geliebt zu werden, ist nicht nur ein Meisterstück differenzierte Psychologie, sondern auch technisch tadellos bewältigt.

Damraus Stimme zeigt Farben, keine Verfärbungen. Auch als sie ihre Gedanken schweifen lässt, hin zur träumerischen Erinnerung an das Liebes-Bekenntnis des jungen Mannes, setzt Damrau exquisit gebildete Mezzavoce und zarte Lasuren ein, füllt den Ton allmählich, kommt bei einem entfalteten Dolce genau dann an, wenn es von der Psychologie des Textes gefordert ist. Und der Umschwung in „Follie!… follie! … delirio vano è questo!“ gelingt ihr furios: Sie reißt sich die Träumereien förmlich aus dem Gehirn, macht sich ihre Situation klar: alleine in einer bevölkerten Wüste, die man Paris nennt. Damrau singt diese Sätze mit einer grellen, wissenden Verzweiflung, aber ohne Druck und ohne aufgesetzte Dramatik. Und dann mahlen die „Strudel der Lust“ tatsächlich in den Kaskaden der Koloratur, in den glänzend gesetzten Verzierungen.

Gut, der erste Akt kommt der Koloratursängerin Damrau entgegen. Wer ihre lyrischen Partien kennt – sie hat zum Beispiel in Mannheim noch die Leila in „Les pêcheurs de Perles“ gesungen – war für den zweiten nicht bange. Und ihre gestalterischen Fähigkeiten sind enorm: „Donna son‘ io, Signore, ed in mia casa“ – die Zurechtweisung des alten Germont formuliert sie voll Noblesse und Charakter. Aber auch den inneren Zusammenbruch, das Bewusstsein des nahen Todes, die Angst vor dem Verlust des Geliebten, die verzweifelte Entschlossenheit, mit der Violetta ihre Briefe schreibt, bis hin zu dem großbogiges, expansives Singen verlangenden Aufschrei „Amami, Alfredo“ stellt Diana Damrau stimmlich abgesichert und glaubwürdig dar: leuchtende Piani, substanzreiche Steigerung, bebend funkelnde Erregung. Den dramatischen Prüfstein am Ende des Bildes nimmt sie nicht mit dem Aplomb singender Heroinen, sondern mit einem seelenvoll gefluteten, aber immer noch schlank leuchtenden Ton.

Beste Voraussetzungen also für die beiden letzten Bilder: Als Darstellerin findet sich Diana Damrau in ihrem Element. Nervöse Reizung, atemloses Entsetzen in der ausweglosen Ballszene, seelische Qual in „Alfredo, Alfredo, di questo core…“: Damraus Ton ist klanglich erfüllt, solide positioniert und eminent wandlungsfähig. Die allmähliche Eindunkelung des Timbres gelingt fabelhaft, ohne dass die zarten Töne der Resignation an feinem Schimmer verlieren. „Addio del passato“, der Prüfstein für das lyrisch-dramatische Potenzial jeder „Violetta“-Stimme, profitiert von Damraus flexibler Tongebung. Sie singt beide Strophen, differenziert den Ausdruck, erfüllt das „Or tutto finì“ mit dem sehrenden Schmerz der unerbittlichen Einsicht: Alles ist zu spät. Das Aufflackern der Hoffnung, als Alfredo zurückkehrt, füllt sie noch einmal mit leuchtendem Sopran, aber schon in „Parigi, o cara“ wählt sie eine reduzierte, eingetrübte Tongebung: Der Wunsch nach einem neuen, gesunden, freien Leben irgendwo außerhalb von Paris ist nurmehr ätherisch-resignierte Vision.

Diana Damrau steht am Anfang ihrer unmittelbaren Erfahrung mit „La Traviata“. Manches wird noch reifen, wird sich erst in die Stimme „einnisten“. Und auch die gelegentlich outrierte Kurzatmigkeit der Schwindsüchtigen, die Damrau bis zum Niederschlag auf die Stimme physisch darstellt, wird das rechte Maß in der Rollengestaltung finden. Auf jeden Fall weckt das Debüt in Zürich reiche Hoffnungen: Diana Damrau wird sich die Juliette in Gounods „Roméo et Juliette“ vornehmen, die Amina in „La Sonnambula“. Die Königinnen in Donizettis Tudor-Trias zählen zu ihren Traumrollen – und wer nun erlebt hat, wie sie sich die Partie der Violetta erarbeitet hat, wird nicht zweifeln, dass sie ihr Ziel erreicht.

Auf eine Sängerin wie Diana Damrau warten noch viele dankbare Partien, bekannte und unbekannte, die sie hoffentlich nicht aus künftiger Repertoire-Erweiterung ausblenden wird. Denn wer könnte sich Diana Damrau nicht in den Glanzrollen Donizettis, Mercadantes, Meyerbeers, in Aubers berührender „Manon Lescaut“ oder sogar in Massenets „Sapho“ vorstellen? Erst einmal wird sie sich – und auch das verdient, hervorgehoben zu werden – einer zeitgenössischen Oper widmen: Im Herbst singt sie im Theater an der Wien in „A Harlot’s Progress“ des britischen Komponisten Ian Bell, von dem sie bereits den Liedzyklus „The Hidden Place“ gesungen und aufgenommen hat.

 

 

Diese Seite drucken