Zürich – Tschaikowski – Pique Dame – Besuchte Vorstellung 11.04.2014
Doris Soffel (Gräfin). Foto: Monika Rittershaus
Vorspiel. Spielcasino. Grüne Wände. Schwarze Spieltische. Ein Mann liegt mit einem Revolver in der Hand am Boden. Um ihn herum die männliche Spielergesellschaft. Die Herren verlassen den Ort – der Mann am Boden bleibt liegen. Die folgerichtig, denn er ist tot. Wir wechseln die Perspektive und blicken in das Innere des Toten. Und wie in einem Wunder erhebt er sich und durschreitet die Bühne. Auf seinem Weg begegnen ihm die beiden Frauen, welche seine letzten Tage geprägt haben. Über allem dominiert jedoch das satte Grün der Wände des Spielcasinos. In diesem bleiben wir, zusammen mit Hermann, der Gräfin und Lisa während des ganzen Abends gefangen. Der riesige Raum dominiert Hermanns Innenleben, die Menschen darin verkommen zu handelnden Nebenfiguren.
Es ist ein düsteres, leeres Innenleben eines verzweifelten Aussenseiters, welches uns Regisseur Robert Carsen am Opernhaus Zürich präsentiert. Obwohl der Bühnenraum von Michael Levine riesig erscheint, gibt es viele klaustrophobische Momente – es gibt aus dem Spielcasino kein Entrinnen, so wie es auch für Hermann kein Entrinnen aus seiner Spielsucht gibt. Er bleibt in ihr und in sich gefangen – nicht einmal Lisa, welche ihn bedingungslos liebt, vermag ihn auch nur andeutungsweise daraus zu befreien. Die Wände in grün – Grün ist die Farbe der Hoffnung. Die Hoffnung gerät hier zur Gier und zur Sucht des Verzweifelten nach wenigstens monetärem Glück. Wie gerne würde wohl Hermann seinen zerschlissenen Mantel und mit ihm sein Aussenseitertum abwerfen und zur elegant gekleideten, wenn auch reichlich oberflächlichen Gesellschaft gehören (die Kostüme sind eine elegante Augenweide: Brigitte Reiffenstuel). Es gibt jedoch kein Entkommen – alle bleiben im Casino gefangen, auch Lisa: Sie wird am Ende als Wahnsinnige den Wänden entlang rennen.
Regisseur Carson gerät eine gefällige, nachvollziehbare Inszenierung. Er legt den Fokus klar auf Hermanns wachsender Gier nach den verheissungsvollen drei Karten und dem damit verbundenen vermeintlichen Glück. Sein Wahnsinn gipfelt darin, dass er die Zarin gar nicht wahrnimmt, sondern das Bett der Gräfin von oben herab schweben sieht, sich draufstellt und ein Gelddusche nimmt. Inszenatorischer Höhepunkt für mich ist jedoch die Szene, in welcher die starke, herrische Gräfin sich zum Schlafengehen umzieht und die schwarze Perücke ablegtt. Damit beginnt der Zerfall dieser herrischen Frau, welche sich mit letzter Kraft als physisches und psychisches Häufchen ihrer selbst ins Bett quält. Das Grauen um sie gipfelt dann in der Szene, in welcher sie als Geist Hermann erscheint und ihm die drei Karten nennt. Offensichtlich hat sich hierbei Robert Carsen von Ed Wood inspirieren lassen: Die Gräfin nähert sich als weisshaariger Zombie, so wie einst Vampira in Woods filmischem Vermächtnis „Plan 9 from Outerspace“ (immerhin als „schlechtester Film aller Zeiten“ ausgezeichnet) und zückt die Karten aus ihrem Sarg. – Dass auf die Kinderszenen sowie das Schäferspiel verzichtet wird, verdichtet die klaustrophobische Wirkung der Inszenierung auch auf musikalischer Ebene.
Die Philharmonia Zürich bereitet unter Dirigent Jiri Belohlavek einen dichten, klangvollen Tschaikowski-Abend. Zwar gibt es die eine oder andere Länge zu beklagen, die letzte Begegnung zwischen Lisa und Hermann gerät etwas gar schwerfällig. Der lyrische Tenor Misha Didyk macht zu Beginn den Eindruck unter grossem Druck zu stehen. So wirkt seine Höhe doch recht forciert, die Tiefe gepresst, bei den Szenen mit dem Chor zeigt er Mühe, sich durchzusetzen. Im Laufe des Abends löst sich seine Anspannung jedoch etwas. Tatiana Monogarova zählt zu den in der Partie der Lisa erfahrenen Sängerinnen. Ihre Lisa ist jedoch nicht jugendlich-unschuldig sondern selbstbewusst mit einer gewissen Reife ausgestattet. Dieser Eindruck wird durch das dunkle Timbre von Frau Monogarovas Stimme bewirkt. Im ersten Teil gerät ihr die Rolle sehr sensibel und stimmlich differenziert. In ihrer letzten Szene kämpft sie jedoch zusammen mit Misha Didyk gegen die langsamen Tempi. Alexey Markov glänzt als Graf Tomski und liefert eine traumhafte Kartenarie. Haus- und Rollendebütant Brian Mulligan gefällt als berührender Fürst Jeletzki. Ihr Rollendebüt als Gräfin meistert Doris Soffel mit Bravour. Ihr Wandel von der herrischen Frau hin zur sterbenden Greisin geht sowohl musikalisch als auch in der Darstellung unter die Haut. Ein Highlight für sich ist Anna Garyachova mit ihrer erfrischend jugendlichen Polina. Zudem gefallen Martin Zysset (Tschekalinski), Tomasz Slawinski (Surin) und Julia Riley (Gouvernante). Alexandra Tarniceru (Mascha), Kristofer Lundin (Tschaplitzki), Alexei Botnarciuc (Narumow) und Alessandro Fantoni (Festordner) vom „internationalen Opernstudio“ beweisen, dass in Zürich der Nachwuchs an jungen Talenten nicht ausgeht. Grosser Applaus im bis unters Dach ausverkauften Haus.
Michael Hug