Spendenkonzert für die Opfer des Kriegs in der Ukraine • Opernhaus Zürich • 11.03.2022
«Wir dürfen uns nicht gegenseitig umbringen»
Nach dem, wie es Kollege Berzins beschreibt, «Netrebko-Wirbel», fand auch am Opernhaus Zürich ein Konzert für die Opfer des Kriegs in der Ukraine. Bei der Besprechung des Abends gilt es zwischen Ursache (Konzeption) und Wirkung (Anklang bei Publikum) zu unterscheiden.
Foto © Opernhaus Zürich
Bei Publikum war der Abend ein grosser Erfolg, gemessen am Applaus im Haus wie auch an den 180’000 Franken Spenden, die über den Ticketverkauf (50, 100, 200, 500 oder 1‘000 Franken pro Platz) zustande kamen. Das Opernhaus schreibt dazu: «Zum Dank für Ihre Spende beschenken wir Sie mit einem Konzert. Gespielt wird ein exklusiv für diesen Anlass entstandenes Programm: Als Zeichen der Verbundenheit mit der Ukraine werden ukrainische wie auch russische Künstler*innen des Opernhauses gemeinsam mit internationalen Solisten*innen, darunter Benjamin Bernheim, Thomas Hampson, Laurence Brownlee oder Rebeca Olvera, und Mitgliedern des Internationalen Opernstudios Arien und Lieder präsentieren. Alle Mitwirkenden haben spontan zugesagt und verzichten selbstverständlich auf ihre Gage». Es traten beim Konzert neben dem Orchestra La Scintilla und dem Ballett die Künstler auf, die gerade am Haus tätig waren. Die gesammelte Summe wird dem Schweizerischen Roten Kreuz überwiesen, das damit ganz direkt Hilfe in einer humanitären Notlage leistet. Als Beispiel, wie diese Hilfe aussehen könnte, führte Intendant Andreas Homoki aus, dass damit 700 «Erste-Hilfe-Rücksäcke», die jeweils die Versorgung dreier Patienten für 10 Tage ermöglichen, beschafft werden könnten.
Das Orchestra La Scintilla (Leitung und Solovioline Bartek Niziol) beginnt den Abend mit «Wir sind» von Yuri Shevchenko, einer Paraphrase der ukrainischen Nationalhymne für Solovioline und Streichorchester (2014) gefolgt von Sinfonia op. 3 no. 3 in D-Dur von Johann Adolf Hasse, die seit ihrer Komposition sowohl als Konzertstück wie auch als Ouvertüre zu seiner Oper «Cleofide» (1731) gespielt wird. Der Chor der Oper Zürich (Chorleitung: Ernst Raffelsberger; Klavier: Esteban Dominguez Gonzalo) beteiligt sich mit «Patria oppressa» aus Verdis Macbeth und den beiden wunderbar vorgetragenen ukrainischen Volksliedern «Schtschedryk» (Lidiya Filevych, Sopran, und Nazariy Sadivskyy, Tenor) und «Segne, meine Seele, den Herrn». Enrico Cacciari am Klavier begleitet Cheyne Davidson bei «Why do the nations so furiously rage together?» aus Händels «Messiah». Am Klavier von Anna Hauner begleitet tragen Rebeca Olvera, Sopran, Sarah Castle, Mezzosopran und Yannick Debus, Bariton, «Soave sia il vento» aus Mozarts «Cosi fan tutte» vor. Lawrence Brownlee begleitet von Marie-Eve Scarfone Spiritual «All night, all day». Mit zwei ukrainischen Liedern endet der erste Teil: «Die Mondnacht ist so hell und klar» (Valeriy Murga, Bariton und Anna Hauner, Klavier) und «Ich gehe durch den Garten» (Ilya Altukhov, Bass-Bariton, und Alina Shevchenko, Klavier). Altukhov wendet sich als einziger der beteiligten Künstler ans Publikum: «In meinen Adern fliesst russisches, weissrussisches, ukrainische und kasachisches Blut. Wir dürfen uns nicht gegenseitig umbringen!» Das Publikum erhebt sich.
Der zweite Teil beginnt mit grosser Oper: Benjamin Bernheim und George Petean (am Klavier Andrea Del Bianco) reissen mit «Dio, che nell’alma infondere amor» aus Verdis «Don Carlo» das Publikum zu einem Begeisterungssturm hin. Laura Aikin trägt Dmitri Schostakowitschs «Gamajun, der Kündevogel» (aus Sieben Lieder nach Texten von Alexander Blok, am Klavier Anna Hauner) vor, Thomas Hampson (Klavier Esteban Dominguez Gonzalo) Gustav Mahlers «Lied des Verfolgten im Turm». Sandra Hamaoui (Klavier Marie-Eve Scarfone) «Adieu notre petite table» Jules Massenets aus «Manon». Nun folgt, neben den ukrainischen Kompositionen, der wohl passendste Beitrag des Abends: Pietro Spagnoli (am Klavier Enrico Cacciari) singt das italienische Partisanenlied «Bella Ciao» und gestaltetet dieses eindrücklich intensiv. Über «Nebo bezzoryane» (Vladislav Tlushch, am Klavier Alina Shevchenko), den Monolog des Bogdan aus der zum 300jährigen Jubiläum des Vertrags von Perejaslaw (nach ukrainischer Lesart ein Abkommen zweier unabhängiger Staaten, nach russischer Lesart die territoriale Angliederung des Kosakenstaates an das Zarenreich) entstandenen Oper «Bogdan Khmelnytsky» von Kostiantin Dankevych (1904-1985). Mit einem Lied zum Mitsingen, John Lennons «Imagine», endet das Konzert.
Dem Abend ist das Improvisierte deutlich anzumerken, dem Publikum hat er aber gefallen.
12.03.2022, Jan Krobot/Zürich