Zürich: „SIEGFRIED“ – 9.3.2023 – sensationell, originell und richtig!
Klaus Florian Vogt. Foto: Konstanze Baumer)
Nicht zuletzt hängen derartige Musiktheater-Ereignisse wohl damit zusammen, dass Richard Wagner sein halbes Leben als Exilant in der Schweiz verbracht hat. Nicht nur lese und höre ich, wie diese Premiere von Stammbesuchern und Wagnerianern aus aller Welt bei der Premiere gestürmt wurde, sondern ein gleiches tat sich bei dieser ersten Reprise. Und wie unser lokaler Premieren-`Merker` John H. Müller, der sogleich noch einmal reinging, mir sagte, war diese zweite Aufführung noch um einige Grade beglückender.
Da meine „Ring“-Erfahrungen in die Wiener Karajan-Ära und in die Bayreuther Wieland-Wagner-Ära zurückreichen, weiß ich wohl, wovon ich rede bzw. schreibe. Das Glück fängt mit dem Dirigenten Gianandrea Noseda und seinem Orchester an, setzt sich mit der Inszenierung des Intendanten Andreas Homoki fort und findet in der idealen Sängerbesetzung sein „non plus ultra“.
Klaus Florian Vogt könnte als Siegfried geboren worden sein. Einerseits naiv, andererseits klug, mit natürlicher männlicher Kraft und kindlicher Empfindsamkeit, singt er die Rolle so klar und wortdeutlich, ohne jemals angestrengt zu klingen, und immer zur jeweiligen Bühnensituation passend. Knabenhafter Charme und Übermut wechselt problemlos in Ärger über seinen zwielichtigen Erzieher, seine angeborene Naturverbundenheit äußert sich, etwa im Waldweben, ganz berührend, seine ererbte männliche Kraft ist imposant, und letztendlich seine innere Wandlung, wenn ihm bewusst wird, wen er da auf dem feuerumwaberten Fels erweckt hat. Siegfrieds, des Götterkinds, angeborene Gaben ermöglichen ihm die Einsicht in das Wesen seiner Widersacher, sei es Mime, Alberich, Fafner oder gar Wotan, und Erkennen des ihm wohlwollenden entzückenden Waldvögleins letztendlich der seiner würdigen Brünnhilde, Camilla Nylund. Sie ist, wie ihr tenoraler Partner, offensichtlich ganz natürlich ins große Fach hineingewachsen, und nun bei Isolde und Brünnhilde zuhause. Fehlerfreies Deutsch hat die gebürtige Finnin ja schon bald beherrscht, nachdem sie sich familiär in Dresden niedergelassen hatte. Und für die Aussagekraft der jeweils zu singenden Musik hatte sie immer offene Sinne, sodass Gesicht und Körper ganz selbstverständlich mitspielen. Sehr erfreulich, dass ihr Sopran in allen Lagen gleichmäßig anspricht und Leises, Verinnerlichtes ebenso beeindruckt wie ihre Höhenstrahlkraft. Das sexuelle Erwachen des ebenbürtigen Paares ermöglicht ein sehr menschliches Finale der Oper.
Camilla Nylund. Foto: Konstanze Baumer
Einen echten Wanderer, vom einen zum anderen für ihn wichtigen Schauplatz, gestaltet Tomasz Konieczny. Seine geradezu riesige Stimme, die in den letzten Jahren mit zunehmender Wortdeutlichkeit eingesetzt wird, ist einfach imposant und seine Reaktionen auf diverse Sangespartner sind ebenso köstlich, wie sie furchterregend sein können. Er macht uns bewusst, wie fragwürdig eine solche göttliche Existenz sein kann. Anders steht es mit der Erda, die in Gestalt von Anna Danik in weißem Gewand mit Augenmaske auftritt, als wolle sie Ihr Inneres nicht preisgeben. Ihr kräftiger Mezzosopran tut kund, dass ihr ein Ewigkeitswert zusteht. Das ebenfalls weiß gewandete Waldvöglein, Rebecca Olvero, könnte bezaubernder, beweglicher und witziger nicht sein.
Christopher Purves mit hartem Bariton und David Leigh als mächtig auftrumpfender bassaler Fafner stellen ebenso fragwürdige Erscheinungen dar wie der recht bewegliche Mime, der in allem und jedem, trotz normaler Körpergröße, ein Zwerg bleibt, was seine Selbstsicherheit betrifft: Wolfgang Ablinger Sperrhacke versucht sich überall einzumischen, tut es meist mit böser Absicht, ist physisch recht rege und vokal so vielschichtig wie optisch. Großartig!
Gianandrea Noseda holt aus seinem Orchester alles heraus, was zur dramatischen Glaubwürdigkeit dieser oft minderbewerteten „Ring“-Oper beiträgt: Hintergründiges und Zwiespältiges, wo es die Charakterisierung der Riesen und Zwerge fordert, Liebevolles und Schmerzliches für die menschlichen Empfindungen und die Naturverbundenheit des Titelhelden und der Wotanstochter, sowie des Waldvögleins, Machtbesessenheit seitens des Alberich und des Göttervaters – und nicht hoch genug muss gelobt werden, dass das Orchester nie zu unangenehmer Lautstärke, wohl aber zu stets großer Intensität angehalten wird.
Alles in allem: ein herrlicher, Festspiel-würdiger Wagner-Abend!
Sieglinde Pfabigan