Giuseppe Verdi: La forza del destino • Opernhaus Zürich • Vorstellung: 07.11.2025
(2. Vorstellung • Premiere am 02.11.2025)
Endlich!
Endlich ist die von den Medien unnötig geförderte, unwürdige Hetzjagd gegen Anna Netrebko und ihren Zürcher Auftritt vorbei! Losgetreten von der ukrainischen Botschafterin in der Schweiz und ihren Briefen an Parlamentarier haben die Medien grossmehrheitlich die Chance genutzt und mit unreflektierter Entrüstung Quote gemacht. Einzig die Neue Zürcher Zeitung hat Qualitätsjournalismus betrieben und ein Interview mit dem Intendanten zum Thema geführt, wo sich dieser ruhig und klar zum Thema äussert (Einlagezettel mit entsprechendem QR-Code im Programmheft). Wo jeder einzelne für sich in Anspruch nimmt, dazulernen zu dürfen, ist man nicht bereit dies auch jemand anderem zuzugestehen. Mit einem Minimum an Vorstellungskraft wäre es durchaus zu schaffen, sich vorzustellen, dass gerade ein Star nicht jedes Foto unter Kontrolle hat und so Fotos entstehen, die in kontrollierten Situationen nicht entstanden wären. Netrebko hat eingestanden, dass es ein Fehler war und hat sich mittlerweile auch gegen den Krieg geäussert. Dass sie in der Heimat mittlerweile als Feind gilt, ist eigentlich Zeichen genug. Und zudem: Wer aus dem Kreis der Empörten hat sich 2014 mit gleicher Vehemenz gegen die Annexion der Krim gewendet? Der Finanzplatz Schweiz und damit die Gesellschaft profitieren bis heute davon, dass die Schweiz nach anfänglichem Zögern das Sanktionsregime der Europäischen Union umsetzt, den «wirtschaftlich Direktinteressierten indessen etliche Lücken» offenhält (Jakob Tanner im Programmheftbeitrag «Die Welt ist schlecht, die Schweiz macht es gut»).

Foto © Monika Rittershaus
Endlich gibt es am Opernhaus Zürich, nach Rossinis «Mose in Egitto» (Moshe Leiser, Patrice Caurier; 2009), wieder episches Theater, wieder eine Inszenierung, die zeigt, wie aktuell Oper sein kann! Für Valentina Carrasco (Inszenierung) ist der Krieg das zentrale Thema von «La Forza del destino». «Dies zeigt sich für [sie] daran, dass Verdi neben dem spanischen Drama vom Duque de Rivas auch Szenen aus Schillers Kriegsepos «Wallenstein» eingebaut hat». (Zitat aus dem Interview mit Valentina Carrasco im Programmheft). Um zu unterstreichen, dass die Oper eine über ihre Entstehungszeit und deren politischen Kontext hinausgehende Botschaft hat, ist es für Carrasco wichtig, das Stück an die Gegenwart zu rücken. «Wenn man heute in einer dreistündigen Oper über Schicksale in einem Krieg erzählen will, reicht es nicht, abstrakt zu bleiben. Man muss eine ganze Atmosphäre kreieren und auf konkrete Situationen oder Erinnerungen referieren, die das Publikum bereits hat» (Kostüme: Silvia Aymonino; Video: Massimiliano Volpini; Lichtgestaltung: Fabrice Kébour). Nun fehlt dem Schweizer Publikum die Kriegserfahrung weitgehend. So hat sie sich entschieden, eine unwirkliche Situation zu erfinden. «Wir haben uns entschieden, die Schweiz in einem fiktiven Kriegszustand zu zeigen. Kunstwerke stellen immer Fragen. Und ich möchte, dass die Fragen, die Verdi in dieser Oper aufwirft, sehr konkret beim Publikum ankommen. Wir leben heute in einer Welt, in der uns Kriege durch die Medien ohnehin sehr nahekommen. Diese medialen Bilder verbinden wir in unserer Inszenierung mit kriegszerstörten ikonischen Gebäuden, die einem Schweizer Publikum bekannt sind». (Bühnenbild: Carles Berga; Bühnenbildmitarbeit: Mariangela Mazzeo). Da wirkliche Zerstörung auf der Bühne nicht darzustellen ist, und «Realismus» eigentlich auch von keinem vernünftigen Zuschauer erwartet wird, hat das Leading Team «eine besondere Methode gewählt, die auch offen sichtbar ist: Wir haben riesige hochaufgelöste Fotografien von den ikonischen Gebäuden auf eine Holzkonstruktion geklebt, die wir dann «wirklich» zerstört haben». Carrasco setzt ihr Konzept schlüssig um: «Ich glaube, die stärkste Kraft gegen den Krieg ist es, ihn zu zeigen. Und zwar nicht nur die Kämpfe, sondern auch deren Folgen: Das Menschen zu wenig Wasser, Nahrung und medizinische Versorgung haben, dass sie krank sind. Wenn man all das sieht, wird man zum Pazifisten». So rückt Carrasco das Stück mit starken Bildern an die Gegenwart und eröffnet dem Teil des Publikums, der bereit ist sich auf ihre Arbeit einzulassen, neue Perspektiven. Wie sie die Botschaften des Stücks umsetzt, zeigt sich in den Details, die man sehen wollen muss: Wenn Netrebko vor dem Eintritt ins Kloster ein Sturmgewehr in der Hand hält, tut sie dies nicht mit der triumphalen Geste des Siegers, sondern lässt es angesichts seiner Last fast fallen. Mit dem Bild einer «Schweiz in einem fiktiven Kriegszustand», zeigt Carrasco nicht nur, wovon die Schweiz, in den Augen der Mehrheit auf Grund ihrer «Neutralität», bis anhin verschont wurde, sondern auch, was der Schweiz drohen könnte, wenn sie weiterhin auf der «mythischen» Realität bestehen würde. Die Schlacht von Marignano war keineswegs der Beginn der Neutralität: Frankreich erhielt das Monopol auf Schweizer Söldner. Die katholischen Orte erhielt Geld dafür, dass sie Söldner schickten, die reformierten Orte dafür, dass sie dies zuliessen. Die mythische, wie auch die faktische Neutralität der Schweiz war seither weder «immerwährend» noch «integral». Die Unschuldsbehauptung der «Geistigen Landesverteidigung», «Wir haben mit Krieg und Zerstörung nichts zu tun, wir sind neutral», funktioniert in Gegenwart und Zukunft nicht mehr. Carrascos Inszenierung lenkt den Blick also nicht nur auf die Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch auf die Zukunft, thematisiert die Geschichte und die Aktualität der schweizerischen Neutralität (cf. dazu Jakob Tanners von den bisher erschienenen Kritiken nicht beachteten Programmheftbeitrag «Die Welt ist schlecht, die Schweiz macht es gut»).
Endlich gibt es am Opernhaus wieder grosse italienische Oper! Unter musikalischer Leitung von GMD Gianandrea Noseda läuft das Orchester der Oper Zürich, das endlich wieder so heissen darf, zu grosser Form auf und zeigt sich in blendender Verfassung. Noseda wählt einen leicht trockenen Klang, klar wie eine kalte Novembernacht, und setzt mit seiner grossen Erfahrung, er hat auch schon die Erstfassung am Orte ihrer Uraufführung dirigiert, die idealen Akzente. Das Orchester und er bleiben einer der besten Partituren Verdis nichts schuldig und schöpfen die Akustik, die das Haus bietet, voll aus. Zurecht gefeiert werden die Chöre (Chor der Oper Zürich, Chorzuzüger, SoprAlti und Kinderchor der Oper Zürich), die mit wunderbar homogenem und sattem Klang begeistern (Choreinstudierung: Klaas-Jan de Groot). Die Chöre begeistern mit guter Bühnenpräsenz und engagiertem Spiel: selbst in Situationen mit «schwierigen» Sichtverhältnissen funktioniert die Koordination tadellos.
Endlich wird wieder angemessenes Gewicht auf die Besetzung der Rollen gelegt. Der Eindruck vom Saison-Beginn bestätigt sich. Stanislav Vorobyov gibt den Marchese di Calatrava mit schlankem, tadellos fokussiertem Bass. Anna Netrebkos Rückkehr nach Zürich ist natürlich das Ereignis des Abends. Und der Intendant, dessen Standhaftigkeit nicht hoch genug einzuschätzen ist, behält recht: Sie ist die beste Donna Leonora der Gegenwart. Ihr Auftritt ist in jeder Beziehung Weltklasse: Hier ist zu erleben, was mit der menschlichen Stimme alles ausgedrückt werden kann, sublimiert in der grossen Finalarie «Pace, pace, mio Dio!». Netrebko wird zu Recht stürmischst gefeiert. George Petean gehört zu den führenden Baritonen der Gegenwart und mit seinem Don Carlo di Vargas bestätigt er diesen Ruf. Die Stimme ist perfekt geführt, spricht in allen Lagen gleichmässig an, von viriler Farbe und klingt auch in den schwierigsten Situationen immer elegant. Yusif Eyvazov (Don Alvaro) hat sich gegenüber seinen letzten Zürcher Auftritten (in Tosca in der Saison 2022/2023) massiv verbessert. Die Stimme spricht gut an, strahlt und bietet das gewisse Etwas. Eyvazov hat gelernt mit der Stimme zu gestalten und wird so zum ebenbürtigen Partner Netrebkos und würdigen Gegenspieler Peteans. Eine Entdeckung ist die Preziosilla Annalisa Stroppas. Sie beeindruckt mit einem hellen, agil geführten klangvollen Mezzosopran und grossartiger Bühnenpräsenz. Für die beiden Geistlichen hat das Opernhaus zwei Haudegen der italienischen Oper engagiert. Michele Pertusi gefällt mit klarem, noblem Bass als Padre Guardiano, Roberto Frontali mit agilem Bariton als Fra Melitone. Natália Tuznik als Curra, Lobel Barun als Un alcade, Tomislav Jukic als Mastro Trabuco und Max Bell als Un chirurgo.
So grossartig die Vorstellung auch war, dominiert beim Verlassen des Hauses ein andrer Gedanke: In welch kranker Welt leben wir, dass Netrebko für ihren Auftritt Personenschutz braucht?
Weitere Aufführungen (weitgehend ausverkauft):
Mi. 12. Nov. 2025, 19.00; Sa. 15. Nov. 2025, 19.00; Di. 18. Nov. 2025, 19.00; Fr. 21. Nov. 2025, 19.00;
Mi. 26. Nov. 2025, 19.00; Sa. 29. Nov. 2025, 19.00; Mi. 17. Dez. 2025, 19.00; So. 21. Dez. 2025, 19.00.
08.11.2025, Jan Krobot/Zürich

