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ZÜRICH: LA FANCIULLA DEL WEST – Verismo in jeder Beziehung

26.06.2014 | KRITIKEN, Oper

Zürich: Opernhaus – „La Fanciulla del West“ – Besuchte Aufführung 25.06.2014

 Verismo in jeder Beziehung

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Foto: Monika Rittershaus

 Nach mühsamer Arbeit kommen sie in Scharen in Minnies Bar um sich den wenigen Vergnügungen, welche sie hier finden, hinzugeben – die Grubenarbeiter, welche unter Tag unter schwersten Bedingungen ihrem harten und gefährlichen Job nachgehen – für ein bisschen Geld, mit welchem sie ihren Familien zu Hause ein besseres Leben oder sich selbst die Erfüllung eines Herzenswunsches ermöglichen wollen. Wann und ob sie da jemals wieder rauskommen, ist ungewiss. Sie sind quasi unter Tag gefangen, denn auch Minnies Bar, Ort der grossen Hoffnungen und der kleinen Freuden, befindet sich in einem betongrauen Raum ohne Fenster, karg und spartanisch eingerichtet. Die einzige Lichtquelle ist eine Deckenlampe. In diese klaustrophobische Szenerie (phantastisches Bühnenbild: Rufus Didwiszus) legt der australische Regisseur Barrie Kosky, der seit der Spielzeit 2012/13 auch als Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin wirkt, die Zürcher Neuinszenierung von Puccinis „Fanciulla“ an. Er verzichtet dabei auf jegliche Deutung des Stoffes und „beschränkt“ sich darauf, die Geschichte zu erzählen. Er siedelt sie in der heutigen Zeit an. Wonach die Grubenarbeiter graben, ist irrelevant – es könnte jede Grube sein. Wie schon Meister Pountny, der für die vorangehende Inszenierung dieses Werkes am Opernhaus verantwortlich zeichnete, bedient sich Kosky bei cineastischen Mitteln. Das ist nicht nur wegen der Handlung sondern auch wegen der historischen Hintergründe dieser Oper nachvollziehbar und richtig. Die Oper stammt aus der Zeit, in der die Bilder laufen lernten. David Belasco, auf dessen Bühnenstück „Girl Of The Golden West“ die Oper beruht, versuchte bereits die aufkommende Kinotechnik fürs Theater einzusetzen. Puccini lieferte eine Partitur, welche durchaus auch als Filmsoundtrack eines Monumentalfilmes bestanden hätte. Vereinzelt klingen auch Motive aus Andrew Lloyd Webbers „Phantom Of The Opera“ durch – also legte Puccini mit diesem Werk bereits damals den Grundstein zum heutigen „dramatischen“ Musical. Im Gegensatz zu Pountny inszeniert Kosky keinen Western, sondern einen klassischen „Film Noir“ – dies vor allem im zweiten Akt. Der Regisseur löst die handelnden Personen aus dem Bühnengeschehen und bedient sich bei cineastischer Ausrdrucks- und Bildersprache. Es entsteht ein athmosphärisch-dichtes Thrillerdrama, durch Franck Evin phantastisch ausgeleuchtet. Veristischer geht nimmer – ganz grosses Kino! Die treffenden Kostüme stammen von Klaus Bruns. Das einzige Fragezeichen in der Regie setzt die Gestaltung der Indianerin Wowkle, welche während ihrer Szene mit Minnie eine Woodoo-Puppe foltert und stranguliert.

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Foto: Monika Rittershaus

 Auch musikalisch gerät dem Opernhaus mit dieser Produktion ein ganz grosser Wurf. Schon beim kurzen Vorspiel wird klar: das wird eine tolle Sache! Marco Armiliato dirigiert die Philharmonia Zürich schwungvoll durch den Abend und das Orchester lässt sich mitreissen. Es wird fein differenziert musiziert. Das ist ja auch gerade bei Filmmusik so wichtig – und bei einer grossen Oper, welche als solcher angelegt ist, erst recht! Es bleibt aber Puccini – kraftvoll, leidenschaftlich – ohne jedoch zu laut oder schnulzig zu werden. Diese schlanke, ehrliche Spielweise verstärkt die musikalische Wirkung des Abends enorm. Der Chor der Oper Zürich (Einstudierung: Jürg Hämmerli) ist schlicht und ergreifend göttlich!

 Ein fulminantes Rollendebut gibt Catherine Naglestad als Minnie. Sie setzt sich einfühlsam und zuweilen energisch gegen „ihre“ Männer durch. Sie gestaltet gesanglich äusserst differenziert und gefällt auch in der Darstellung. Sie lebt ihre Rolle intensiv, ohne auch im für sie nicht nur gesanglich sehr fordernden zweiten Akt einen Anflug von Müdigkeit aufkommen zu lassen. Zoran Todorovic gibt einen leidenschaftlich liebenden, kraftstrotzenden und energiegeladenen Dick Johnson. Seine wunderbare, strahlende, kräftige Tenorstimme und die ebenso angelegte Sopranstimme von Catherine Naglestad passen ideal zusammen und sorgen für leidenschaftlichen Puccini-Genuss. Haus- und Rollendebütant Scott Hendricks entwickelt Jack Rance im Verlaufe der Geschichte vom nicht unsympatischen Macho-Sheriff zu einem bösartigen, sadistischen Schurken, der einem Baron Scarpia problemlos das Wasser reichen kann. Im zweiten Akt verleiht Hendricks dem Sheriff eine stimmliche und darstellerische Schwärze, dass es einem kalt den Rücken runter läuft. Eine Idealbesetzung für diese interessante Rolle, welche im Gegensatz zu Scarpia, trotz aller Schwärze  nicht ausschliesslich schwarz ist. Der Unterschied zwischen Scarpia und Rance besteht eben darin, dass der Sheriff aus Eifersucht und enttäuschter Liebe sich zum Bösen wandelt, während Scarpia von Anfang an ein „Böser“ ist – und auch offen dazu steht. Die Wandlung von Rance, welche am Schluss in verzweifelt einsamem Wahnsinn endet, gelingt Scott Hendricks auf eindrücklichste Art und Weise. Dank seinem augenzwinkernden Schalk und frischem gefälligem Tenor entwickelt sich der junge talentierte Sänger Sunnyboy Dladla vom Opernstudio als Nick zum geheimen Publikumsliebling. Aus dem Opernstudio stammt auch Judit Kutasi als gesanglich gefällige und darstellerisch pfiffige Wowkle. Auch die übrigen, kleineren Partien sind erstklassig besetzt, Banjospieler Carlos Vega überbrückt die Umbaupause zwischen dem zweiten und dritten Akt nach einem donnernden Gewitter mit leisen Klängen gekonnt. Hoch verdienter, langer, mit vielen Bravos durchsetzter Applaus für sämtliche Aufführenden als Dank für einen fantastischen Opernabend.

Michael Hug

 

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