Elektra, 26.9.2015, Sternstunde mit damönischem Damentrio
Evelyn Herlitzius. Foto: Judith Schlosser
In der Wiederaufnahmeserie dieser Spielzeit von Strauss‘ „Elektra“ singt und spielt, nein, i s t wiederum Evelyn Herlitzius die fabelhafte Atridentochter von einer ungeheuren Bühnenpräsenz und charismatischen Ausstrahlung. In der Vorstellung vom 26.9. war sie zudem in stimmlicher Topform und war gleich von Anfang an „voll da“. Das hohe c“ in der Klytemnästra-Szene hatte eine Strahlkraft sondergleichen. Evelyn Herlitzius wurde bei ihrem Solo-Vorhang umjubelt wie ein Pop-Star. Dazu trug auch ein jugendliches Publikum bei, das dem Geschehen auf der Bühne – das vielleicht zum ersten Mal in der „Elektra“ war – mit atemloser Spannung gefolgt war. Als ihre kongeniale Partnerin erlebten wir nun Waltraud Meier als Klytemnästra, die nicht nur wunderschön sang, sondern auch eine allen Klischees abholde Mutter spielte und kein Monster war. So suchte sie immer wieder die Nähe zu ihrer Tochter, schlechte Träume (= Gewissen) lassen sie nicht mehr ruhen. Elektra ist aber nur noch auf Rache bedacht, will und kann die Liebe nicht mehr erwidern. Man spürt förmlich, dass die beiden Künstlerinnen die letzte Regie von Patrice Chéreau in Aix-en-Provence verinnerlicht haben. Es war einfach fabelhaft! Als Dritte im Bunde war Emily Magee wieder eine schönstimmige, sehr feminine Chrysothemis und vermochte mit ihrem Schicksal beim Publikum Empathie zu erregen. Michael Kraus – zum ersten Mal in Zürich – war ein aus dem vollen Bass-Bariton-Fundament schöpfender, darstellerisch ob seiner Tat zweifelnder Orest. Die Erkennungsszene zwischen ihm und seiner Schwester war auch diesmal der emotionelle Höhepunkt. Michael Laurenz war der ins karikaturhafte verzerrter Aegisth, sang aber deutlich und charaktervoll. Als Aufseherin durften wir diesmal Nadine Secunde wieder begegnen, die ihre ganz Persönlichkeit und immer noch beachtlichen Stimm-Mittel in die Partie investierte. Das Mägde-Quintett war mit Kismara Pessatti, Julia Riley, Irène Friedli (hervorragend!), Mélissa Petit und der strahlenden Ivana Rusko besetzt. Die Diener mit Iain Milne und Bastian Thomas Kohl, der Pfleger de Orest mit Reinhard Mayr, Shelley Jackson und Estelle Poscio waren alle auf hohem Niveau besetzt. Der Chor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger), der Statistenverein inkl. einer originalen Samba-Tanz-Gruppe aus Brasilien. Man fragt sich, muss das sein? Aber die Inszenierung von Martin Kusej hat trotz einigen Ärgernissen ein paar höchst magische Momente aufzuweisen. Die zuweilen etwas arg laut aufspielende Philharmonia unter der energischen Führung von Lothar Koenigs trugen zu einer wahren Sternstunde am Opernhaus Zürich bei.
John H. Mueller