Zürich: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER -20.2.2016 (Wiederaufnahme-Aufführung)
Die Menschwerdung des Holländers
Wenn der Holländer plötzlich im Kontor Dalands, der hier ja ein kolonialistisch-kapitalistisch interpretierter Global-Player ist, wie aus dem Nichts auftaucht und sich in seinem zottigen Pelzmantel über den Schreibtisch beugt, hat man gleich den unmittelbaren Eindruck eines wilden, verletzten Raubtieres vor sich. Michael Volle hat nun – im Vergleich zum „sanfteren“ Holländer seines Rollenvorgängers Bryn Terfel – die Rolle vermutlich ganz im Sinne des Regiekonzeptes (Andreas Homokis Inszenierung vom 9.12.2012) – zum „unheimlichen Besucher halb Tier halb Mensch“ hin verdeutlicht. Dazu passt auch der markante Bariton von Michael Volle, der über eine fabelhafte Technik verfügt, mit der ihm einfach alles gelingt, was diese verflixte Partie so an „Ecken“ zu bieten hat. Er gestaltet die Partie stimmschön, ausgeglichen und ausdrucksstark. Besonders hervorzugeben ist, dass bei Volle, einem deutschsprachigen Sänger, in seiner Diktion des Deutschen die Vokale sehr wohl verschiedene Färbungen aufweisen und je nachdem, was sie bedeuten und ausdrücken, eine andere Tönung haben. Neben der fulminanten Höhe, wogegen die Tiefe nicht ganz ausbalanciert scheint, weiss Volle sehr wohl auch die innigen Passagen im vollendet gestütztem Piano und perfekten Legato zu singen. Bei aller Stimmschönheit versteht man bei ihm jedes Wort. Die Figur des Holländer entwickelt Volle hier als das Porträt einer Menschwerdung bis hin zum fatalen Ende, wenn der Holländer wieder aufs Meer zieht und Senta so „vor dem ewigen Verderben“ rettet. Diese letzten Passagen, die hoch liegen und gegen volles Orchester gesungen werden müssen, meistert Volle quasi mit links. Eine grossartige Leistung des sich auf dem Zenith seines Könnens und seiner Karriere befindenden Künstlers. – Doch nicht nur er allein, sondern auch das Zusammenspiel mit einer rundum ebenbürtigen Besetzung, macht einen grossen Abend, wie diesen, aus.
Da ist die optisch geradezu ideale Senta der bildhübschen jungen Amerikanerin Meagan Miller zu nennen, die mit jugendlich-dramatischem Sopran nicht eine „dräuende“ Hochdramatische abgibt, sondern mit ihrem „mädchenhaften“ Timbre auch stimmlich ideal dem schwer zu besetzenden Stimmtypus der Senta-Partie entspricht. Die Ballade mit ihren vielen Piano-Tönen, dem enormen Stimmumfang und dem Ausbruch am Schluss meistert diese sympathische Sängerin auf bewundernswerte Weise. Meagan Miller verfügt über eine strahlende, schlank gesungene Höhe, die sie ohne Anstrengung und ohne einen Anflug von Schärfe in den Raum projiziert. Zudem ist sei eine hervorragende Schauspielerin und bietet ihren Partnern in allen Belangen voll Paroli.
Als Erik war Marco Jentzsch von der Premierenbesetzung „übriggeblieben“: Jentzsch, der letzte Spielzeit in Basel einen hervorragenden Apoll in Strauss‘ Daphne gesungen hat, war auch hier der jugendliche Held mit lyrischem Timbre und leichter Höhe. Und als Vierter im Bunde war für den erkrankten Christoph Fischesser aus Wien Ain Anger zur Stelle, der ganz im Sinne des Premieren-Sängers Matti Salminen, ihm auch in der Maske verblüffend ähnlich, einen ganz hervorragenden Daland sang. Er hatte sich mit professioneller Erfahrung die nicht einfache Regie nahtlos angeeignet. Die Szenen zwischen diesen Protagonisten, im Vergleich zum Premierenjahr, waren noch um Einiges nuancenreicher ausgearbeitet worden und wurden auch intensiver in der ausdrucksstarken Darstellung dargeboten. – Als Frau Mary hörten wir Judit Kutasi und als Steuermann Dmitry Ivanchey, die sich beide wegen Erkältung entschuldigen liessen, was aber in der Folge kaum zu bemerken war.
Der Chor (Einstudierung: Jürg Hämmerli, Michael Zlabinger) war stimmlich und schauspielerisch voll bei der Sache und meisterte die grosse Chorszene mit den beiden Chören wirklich höchst beeindruckend. Alle Fäden, oder besser gesagt, alle Schiffstaue hielt der Bayreuth-erfahrene Axel Kober in Händen und liess es keinen Augenblick an Spannung im dramaturgischen Aufbau dieses hinreissenden Frühwerkes Wagners fehlen. Die Philharmonia spielte in Gross-Besetzung und mitunter kräftig zugreifend, was zum „ruppigen“ Charakter dieser Oper sehr gut passte. Die Ouvertüre und das Finale der Oper enden in der in Zürich gespielten Dresdner Fassung ohne den Erlösung verheissenden Harfenschluss, sondern mit harten Orchester-Akkorden, die das Schicksal von Senta umso unerbittlicher erscheinen lassen. Senta erschiesst sich.
John H. Mueller