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ZÜRICH: AIDA – Verdis Kriegsdrama ernst genommen

03.03.2014 | KRITIKEN, Oper

Zürich: AIDA – Premiere 2.3.2014  

Triumphmarsch mit beklemmenden Bildern – Verdis Kriegsdrama ernst genommen

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Latonia Moore als bewegende „Aida“, Foto: Monika Rittershaus

Nach der kontroversen Inszenierung von Verdis „Rigoletto“ durch die preisgekrönte Regisseurin Tatjana Gürbaca musste man sich wohl auch auf eine unübliche Lesart von Verdis „Aida“ gefasst machen. Dass ihr aber vom Premieren-Publikum eine derartige Abfuhr mit einem deutlichen Buhkonzert erteilt wurde, das hat uns doch überrascht. Was macht denn die Regisseurin, was die Leute so in Rage bringt. Sie wird sich zuerst einmal gefragt haben, wie kann ich eine „Aida“ inszenieren, unter Weglassung des ägyptischen Lokalkolorits, der grossen Aufmärsche. Also, Reduktion auf das Wesentliche. Und das ist für Tatjana Gürbaca klar zu erkennen, dass es sich in der Oper „Aida“ vor allem um eine Kriegssituation handelt, bei der es nichts mehr zu lachen gibt. Wir, die wir tagtäglich von den Medien durch die Bilder vom Krieg aus allen Regionen „bedient“ werden, wollen das natürlich nicht auf der Opernbühne sehen. Dabei hat Verdi aber ganz deutlich seinen Librettisten Ghislanzoni angewiesen, insbesondere beim Triumphmarsch nicht an Ägypten, sondern an das säbelrasselnde Preussen zu denken. Und in der Tat, wenn man sich gedanklich mal vom ägyptischen Kolorit löst, dann ist der Triumphmarsch ein reiner Militärmarsch mit dem ganzen Pomp und der aufgeblasenen Leere der simplen Musik.

Davon ausgehend hat die Regisseurin aber die Handlung in das Heute und Jetzt verlegt. Hat sich von Klaus Grünberg ein Bühnenbild bauen lassen, das einen neutralen Raum mit dem Mobiliar der in etwa siebziger Jahre karg ausgestattet ist, wobei die Wände und die Decke windschief sind wie bei Murnaus Stummfilm „Dr. Caligari“, und die Wände transparent werden. So werden die Militärszenen hinter diesen Wänden wie stehende Bilder jeweils ein paar Sekunden lang eingeblendet. Im Raum sind nur die Personen der Handlung, bewegen sich wie im Traum und haben keinerlei Beziehung mehr untereinander. Ob Radamès nun Aida liebt oder nicht, er phantasiert vor sich hin, sie wartet passiv auf seine Zuneigung. Erst am Schluss findet das Liebespaar zueinander, im Angesicht des Todes, in einer imaginierten anderen Welt. Dieses Schlussbild ist das eindrücklichste der ganzen Arbeit Gürbacas, weil sie hier zu einer Transzendierung findet, die vorher zwar vorbereitet, aber noch nicht sein durfte. Radamès nimmt den Triumphmarsch nur als Trauma wahr; die hinter dem Schleier auftauchenden Bilder verfolgen ihn, lassen ihn mit dem Gedanken an Selbstmord spielen. Er ist zu nichts mehr fähig, legt sich hin und findet doch keinen Schlaf. Er „schnallt“ es nicht mehr, sieht die Gefahren nicht mehr, verrät sein Heimatland, ergreift die Chance nicht, die ihm Amneris bietet. Er stolpert quasi seinem Ende entgegen, nachdem der Krieg ihn kaputt gemacht hat. Dies nennt man das Vietnam-Syndrom, das viele Männer belastet, die sich nach dem Krieg in der Alltagswelt nicht mehr zurechtfinden.

Diese ganze Situation hat Tatjana Gürbaca beklemmend auf die Bühne gebracht. Sie hat dafür Bilder gefunden, die unbequem sind und wehtun. Sie hat den Alltag um den Krieg auf die Bühne gebracht. Das hat sie aus dem Werk „Aida“ gelesen, was aber offensichtlich die Mehrheit des Publikums nicht sehen wollte. Man mag sich fragen, ob eine Oper dafür das richtige Medium ist. Ich glaube wohl, denn es heisst, die Intentionen des Komponisten in seinem Wesen ernst zu nehmen, ohne dabei der sogenannten Werktreue dienen zu müssen. Was ist denn Werktreue? Eine müssige Frage. Sicher nicht „Aida“ als ägyptisches Spektakel auf die Bühne zu stemmen. Das wäre, Verdi unterschätzt zu haben.

Solches im Hinterkopf wenden wir uns nun der musikalischen Seite zu, aus welcher sich ja jeder Opernabend speist. Das war einiges höchst Erfreuliches zu vermelden! Fabio Luisi dirigierte einen ganz fabelhaften Verdi, einerseits unglaublich fein und ausbalanciert die lyrischen Stellen, von denen es in dieser Oper mehr gibt als man gemeinhin annimmt, aber auch wieder mit grosser, aber klarer Geste die Massenszenen, die bei Luisi nie grob oder grobschlächtig wirken. Luisi versteht es auch, die Sänger zu begleiten und ihnen, wo nötig, über die Klippen hinwegzuhelfen. Wunderschön war das letzte Bild, das auch von Regisseurin beklemmend gelöst war. Die Protagonisten irren in einer von Krieg versehrten Welt umher, nachdem vom Himmel ein wahrer Regen von Trümmern herabgefallen und die Erde mit weissem Schutt bedeckt hat. Latonia Moore, die mit grossem Erfolg an der Met als Aida eingesprungen war, ist das Zentrum dieser Aufführung. Ihre Stimme hat dieses Timbre, das wohl nur schwarze Sänger haben können: ein äusserst flexibles, warm getöntes Timbre, eine Stimme von beachtlichem Volumen und strahlender Schönheit. Mag es an der Premieren-Nervosität gelegen haben, dass ihr die Spitzentöne nicht immer so gerieten, wie sie es gewollt hätte. In dieser Lesart war sie wirklich der einzige Mensch hier auf der Bühne, bewegend und rührend zugleich. Ihr Partner war mit Aleksandrs Antonenko als Radamès ebenfalls zum ersten Mal in Zürich und zudem noch in seinem Rollendebut. Dass er sich bei der Premiere auf sein gesundes Mezzoforte verliess, kann man ihm nicht verdenken. Er wird sicher in folgenden Aufführungen zu mehr Differenzierung und Stimmfarben finden. Antonenko ist vor allem ein Radamès, bei dem man keine Angst um irgendwelche Töne haben muss. Als Amneris hörten wir mit Iano  Tamar eine relativ lyrische Sängerin, die mit Geschick die beiden Register ihres Mezzos gut verbinden konnte. Allerdings liegen ihr die dramatischen Ausbrüche manchmal arg in einer unbequemen Lage, was die Sängerin aber trotzdem nicht zum Forcieren verleitete. Sie war eine gute, wenn auch nicht überragende Amneris. Amonasro war mit Andrzej Dobber ordentlich besetzt. Seine harte Stimme passte gut zum unerbittlichen Charakter des äthiopischen Heerführers. Wieder fielen unsaubere Töne auf. Pawel Daniluk war ein unüblich guter König und Rafal Siwek ein ebenso unüblich intriganter Ramfis, quasi der Propagandaminister. Beide Bässe waren stimmlich untadelig. Sen Guo sang die Priesterin mit glockenreinem Sopran und Dmitry Ivanchey absolvierte den kurzen, aber heiklen Einsatz als Bote beachtlich. Hervorragend war der Chor in der Einstudierung des bewährten Jürg Hämmerli. Neben voller Klangentfaltung waren insbesondere die fein ziselierten Passagen von besonderem Reiz. Die Philharmonia Zürich folgte den Intentionen ihres GMD Fabio Luisi auf das Genaueste. So fein und abgestuft haben wir die „Aida“ seit längerem nicht mehr gehört. War auch die Inszenierung nicht unumstritten, so darf man doch von der sängerisch-musikalischen Seite von einer gelungenen Premiere ausgehen.

John H. Mueller

 

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