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ZÜRICH: DREI HÖHEPUNKTE ZUM JAHRESWECHSEL: LA CENERENTOLA / NEUJAHRSKONZERT / DIE SCHÖNE GALATHÉE und IL CAMPANELLO

04.01.2015 | Oper

Jahreswechsel in Zürich – Drei Höhepunkte  

Zürich Opernhaus: „CENERENTOLA“Cecilia Bartoli in ihrer GlanzrolleWA 31.12.2014

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Cecilia Bartoli (Cenerentola), Oliver Widmer (Dandini) und Liliana Nikiteanu (Tisbe). Foto: Monika Rittershaus

Seit 1994 läuft nun diese entzückende Inszenierung von Cesare Lievi und bezaubert immer wieder von neuem in ihrer teils märchenhaften und doch wieder ironisierenden Lesart das zahlreich herbeigeströmte Silvester-Publikum. Es kam natürlich wegen Cecilia Bartoli, die von Anfang an bei dieser Produktion mit von der Partie war und als Angelina die Herzen wieder im Sturm eroberte: Cecilia Bartoli ist Cenerentola! Wohl kaum eine andere Partie ist ihr so auf den Leib geschneidert wie diese. Und keine wie sie weiss das verblüffende Spiegel-Kleid in der Ball-Szene so zu tragen, dass ein Raunen durchs Publikum ging. Es ist immer wieder die vollkommene Authentizität dieser sympathischen Künstlerin, die einen in ihren Bann zieht. Sicher, man kann über die Art des Singens verschiedener Meinung sein – das wird  wohl zu einem gewissen Grade immer eine Geschmacksache bleiben -, aber ihrem Charisma kann man sich wohl kaum entziehen. Die Stimme, jung wie immer, hat noch immer diesen guttural-samtenen Klang, die Koloraturen laufen wie aufgereihte Perlen. Aber es sind vor allem die einfachen Melodien, wie das Lied, das sie zu Beginn singt und ihr „Leitmotiv“ ist, das ungemein berührt und direkt ins Herz geht. Im Finale, dem Rondo „Nacqui all‘affanno“ legte sie dann, ganz im Sinn der Auszierungstechnik des Belcanto, einige Koloratur-Varianten ein, die nicht nur kaltes Glitzerwerk, sondern bei der Bartoli eben Ausdruck ihrer ungemeinen Lebensfreude sind. Und das ist es, was die Bartoli so einzigartig macht: Sie gibt sich ganz in die Rolle, wird damit eins und erreicht damit die Herzen des Publikums. Eine unverwechselbare, einzigartige Künstlerin in unserer Zeit, wo perfekte Glätte und Unverbindlichkeit das Mass aller Dinge geworden sind. Auch wieder dabei war auch diesmal der unverwüstliche Carlos Chausson, der mit grosser Stimme, hoher Musikalität und köstlichem Spiel dem Don Magnifico bei aller Schäbigkeit des Charakters doch ein paar gute und versöhnliche Züge abgewinnen konnte. Cecilia Bartoli und Carlos Chausson spielten sich die Bälle nur so zu. Als Don Ramiro war Lawrence Brownlee, der zurückhaltend begann, aber dann sich immer mehr steigern konnte und  eine Arie „Si ritrovarlo, io giuro“ in der Cabaletta mit schlanken Extremspitzentönen hinlegte, sodass das Publikum ihm einen Riesenorkan an Applaus kredenzte. Die beiden „hässlichen“ Schwestern, die diesmal gar nicht hässlich, sondern adrett, aber „nur“ zickig und verzogen dargestellt wurden, waren mit Martina Jankova und Liliana Nikiteanu quasi „luxus“-besetzt. So lässt man sich natürlich die vielen Ensembles gefallen, wo sich alle Stimmen ausgeglichen und harmonisch zu einem transparenten, homogenen Klang vereinigten. Oliver Widmer war auch wieder als Diener Dandini dabei und hielt sich wohltuend und sympathisch zurück. Ein neuer Alidoro war zu hören: Shenyang debütierte in der seit dem Tode von Laszlo Polgàr verwaisten Rolle. Er hat eine grosse Stimme, die noch etwas poliert werden sollte, aber schönes Material lässt sich vernehmen. Am Pult wirkt der wirklich umsichtige und federnd dirigierende Giancarlo Adretta, der alle Ensembles perfekt zusammenhielt und immer vorwärts drängte. Der Herrenchor (Einstudierung Ernst Raffelsberger) erfüllte seine gesanglichen wie darstellerischen Aufgaben mit Aplomb und die Philharmonia Zürich spielte hervorragend, klar, transparent und federnd. Eben einen richtigen Rossini der Opera buffa. Bravi a tutti!

Zürich Tonhalle: Neujahrskonzert mit Vesselina KasarovaTonhalle, 1.1.2015

Das ZKO (=Zürcher Kammerorchester) lud zum Neujahrskonzert, nachdem es mit dem gleichen Programm am Silvesterabend im KKL Luzern gastiert hatte. Als prominenten Gast hatte man Vesselina Kasarova mitgebracht, die einmal mehr ihre herrliche Stimme, ungeschmälert seit ihren frühen Tagen und noch reifer geworden, verströmte. Zuerst sang sie die  Arie des Sesto „Deh, per questo istante solo“ aus Mozarts TITUS, wobei sich die Sängerin noch nicht ganz entfalten konnte. Dann spielte Fabio Di Càsola, der fabelhafte Klarinettist des ZKO, zwei Lied-Adaptionen Schuberts und Schumanns von Fabian Müller und brillierte mit dem höchst virtuosen Klarinettenquintett B-dur op. 34 von Carl Maria von Weber, allerdings nur mit dem ersten und vierten Satz in vergrösserter Streicherbesetzung, sodass das Kammermusikwerk zum Solokonzert mutierte. Vor der Pause trat dann nochmal Vessi, wie sie in Verehrung genannt wird, und sang die grosse Szene des Tancredi „O patria…Di tanti palpiti“  aus der gleichnamigen Oper von Gioacchino Rossini und zeigte da, wie sie das Melos des Meisters aus Pesaro zu beleben weiss und die Koloraturen mit Ausdruck und perfekter Technik präsentieren kann. Grandios! – Nach der Pause war dann die „Fledermaus“-Ouvertüre angesagt, die der Gastdirigent Ari Rasilainen, wie schon zu Beginn des Konzertabends die „Titus“-Ouvertüre, zwar schwungvoll, aber etwas grob und wenig differenziert mit dem ZKO musizierte. Köstlich die nun ganz aufgelockerte Kasarova mit dem Couplet Orlowskys „Ich lade gern mir Gäste ein“. Ganz fabelhaft gerieten dann den dann dem  Orchester mit dem Dirigenten die „Carmen“-Auszüge. Vesselina Kasarova sang eine temperamentvolle Carmen, die sicher ihren Willen durchzusetzen weiss, so sehr beherrschte sie mit ihrer eleganten Körpersprache das Konzertpodium. Zu hören und sehen war die Kasarova in der Habanera und dem Chanson Bohème und sie kitzelte aus der genialen Musik Georges Bizets alles an Erotik und Verführung heraus, aber immer mit einer gewissen Zurückhaltung und ohne je gewöhnlich zu werden. Der grosse Erfolg von Vesselina Kasarova resuktierte in einer amüsanten Zugabe in Form des hübschen Couplets „O quel diner“ aus Offenbachs „La Périchole“, wo die Kasarova den Schwips stimmlich und darstellerisch köstlichst charakterisierte und der ersten Publikumsreihe Champagner kredenzte. Schön, Vesselina Kasarova wieder mal in Zürich zu hören. Hoffentlich auch bald wieder am Opernhaus!

 

Zürich OperaBox: „DIE SCHÖNE GALATHÉE und IL CAMPANELLO 3.1.2015

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Violetta Radomirska zwischen zwei Männern: Erich Bieri (Ehemann) und Cheyne Davidsen (Liebhaber) Copyright: Thomas Entzeroth

Ein wahres Juwel hat die OperaBox unter Leitung von Paul Suter, der auch die Regie von beiden am Abend auf dem Programm stehenden Werken übernommen hatte, mit dem Einakter „Il Campanello di notte“ von Gaetano Donizetti präsentiert. Zuerst aber gab es als „Lever du Rideau“ (= Vorhangöffner) die äusserst witzige Operette „Die schöne Galathée“ von Franz von Suppé. Der aus Dalmatien stammende Komponist, dessen Onkel Donizetti ja war, hatte sich in Wien mit der von Johann Nestroy importierten Offenbach Operette befasst und seinen eigenen, mit Wiener Charme angereicherten Stil kreiert. Die Musik klingt oft nach Offenbach, ist es aber doch wieder nicht: ein Stück Wien klingt immer mit. Die Story von der lebendig gewordenen Statue der schönen Galathée des Bildhauers Pigmalion, die allen Männern den Kopf verdreht und allen gewaltig auf die Nerven geht, wurde von Paul Suter in das gegenwärtige Zürich versetzt und mit Spässchen und Anekdötchen aus der hiesigen Schicki-Micki-Society angereichert. Nun, das kann man machen. Allerdings kam die Aufführung in den Dialogen nicht so richtig vom Fleck, dagegen hat Andres Joho mit seinen 12 Musikern des Zürcher Kammerorchesters (ZKO) mit Elan und Rhythmus das Werk in einer verkleinerte Orchesterfassung dirigiert, die sehr gut in das Ambiente des nicht allzu grossen ZKO-Probesaales passte. Hier muss improvisiert werden, aber da hat Paul Suter Erfahrung und weiss alle Ecken des Raums für witzige Einfälle auszunutzen. Als Galathée war die bildhübsche Schweizerin Andrea Suter angesetzt, die mit klarer Stimme und angenehmem Spiel, aber doch nicht ganz frei die kesse Galathée verkörperte. Leider war Ján Rusko als Pigmalion indisponiert, rettete aber die Aufführung; er entzieht sich aber dadurch einer Beurteilung, was schade ist, denn Rusko verfügt über einen schön timbrierten Tenor. Als Midas wuselte Ulrich Amacher in seiner bekannten Buffo-Manier durch das Stück und vermochte doch, einigen Schmiss hinein zu bringen. Leider wurde die Hosenrolle des Ganymed zur Sekretärin mutiert, was zu einer dramaturgischen Änderung des Schlusses führen musste. Schade, denn nach dem erotischen Duett zwischen Galathée und Ganymed verflucht Pigmalion aus Eifersucht seine Schöpfung und Galathée sollte wieder zu Stein werden, damit auch der ihr von Midas geschenkte Schmuck. Hier aber entfällt dieser Witz und Galathée verschwindet einfach mit dem ganzen Schmuck und entzieht sich so ihrer Bestrafung. Schade eigentlich, dass sich der Regisseur dieses ironischen Endes begab. Aber das Duett wurde fabelhaft gesungen: Violetta Radomirska und Andrea Suter taten dies auf berückende Weise, allerdings in dieser Fassung jede mit einem andern (stummen) Partner.

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In flagranti: Violetta Radomirska und Cheyne Davidsen – das Liebespaar und der Ehemann Erich Bieri

Durch Einführung von Personen des folgenden „Campanello“ schlug der Regisseur die Brücke zum Hauptwerk des Abends. In diesem Juwel des Bergamasker Meisters sind Witz und Sentiment, Schicksal und Ironie enthalten. Die Buffa-Handlung vom Apotheker, der eine junge Frau heiratet und von deren Liebhaber jeweils zur nachtschlafenen Zeit durch das Läuten der Nachtglocke am „Vollzug der ehelichen Pflichten“ in der Hochzeitsnachts gehindert wird, hat etwas unglaublich Witziges, aber auch Tragisches. Signor Annibale Pistacchio wurde von Erich Bieri in köstlicher Buffo-Tradition verkörpert. Wohltuend ist, dass er über einen wohl klingenden Bass-Bariton verfügt, der ihm auch für das schnelle Parlando à la Rossini zur Verfügung steht. Als seine junge Gattin Serafina war Violetta Radomirska ein stimmlicher Hochgenuss: ihr rundes Timbre, die ausgezeichnete Höhe und ihr gutes Spiel hinterliessen einen hervorragenden Eindruck: dieser Sängerin möchte man öfter begegnen! Als weiterer Pluspunkt des Abends war Cheyne Davidson vom Opernhaus Zürich mit von der Partie, der im Dr. Enrico Malatesta eine Paraderolle gefunden hat. Das grosse Duett zwischen ihm und Violetta Radomirska ist allerbester Donizetti und war von beiden hinreissend gesungen und gestaltet. Die zahlreichen Verkleidungen des Dr. Malatesta, der eben als Störfaktor diese Nachtglocke betätigt, wurden von Cheyne Davidsen in allen Verkleidungen köstlich dargestellt und mit seinem flexiblen, virilen Bariton hervorragend gesungen. So stellt Davidsen einmal den eitlen Opernsänger dar, aber eben auch den sich in endlosen lateinischen Rezeptwünschen sich ergehenden alten Knacker. Das grandiose Sängerterzett Radomirska-Bieri-Davidsen wurde von Barbara Hensinger als Madame Rosa/Mutter von Serafina, Yvonne Theiler, Flavio Corazza, dem Urgestrein Jürg Krattinger und dem Neuling Sarah Padrutt, die alle auch die wenigen Choreinsätze übernahmen, qualitätsvoll ergänzt. Das Zürcher Kammerorchester unter Leitung des erfahrenen und umsichtigen Andres Joho spielte beschwingt, klangschön und rhythmisch höchst akkurat. Grosser Erfolg für diese Produktion der OperaBox – mögen viele weitere solcher Qualität folgen!

John H. Mueller

 

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