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WÜRZBURG: DES TEUFELS LUSTSCHLOSS von Franz Schubert. Premiere

17.02.2013 | KRITIKEN, Oper

Würzburg: „DES TEUFELS LUSTSCHLOSS“ – Premiere 16.02. (Werner Häußner)

 Was für ein attraktiver Titel! „Des Teufels Lustschloss“ müsste eigentlich jeden Dramaturgen, jeden Opernliebhaber zum Hinschauen animieren. Was schwingen alleine im diesem Titel für Bilder mit: Dante’sche Höllen, fleischgefüllte Sündenpfühle, Etablissements der Wollust, Geilheit und Schrecken, und alle verworfenen, von Moral und Menschlichkeit im Zaum gehaltenen Vorgaukelungen erhitzter Fantasie. Franz Schubert, der anders als im gemütvollen „Schwammerl“-Klischee gerne „im Schlamme badete“, scheint August von Kotzebues Lustspiel-Titel auch als inspirierend empfunden haben: Er vertonte die Parodie auf damals beliebte Ritterstücke in zwei kreativen Schüben zwischen Herbst 1813 und 1814 gleich zwei Mal, fest das Ziel einer Aufführung im Auge: Schon mit 16 wollte sich Schubert als Opernkomponist etablieren.

Das gelang nicht, wie die Musikgeschichte weiß. Und mit „Des Teufels Lustschloss“ wird das auch heute nicht gelingen. Kotzebues bürgerliches Unterhaltungstheater, das erträumte Mittelalter biedermeierlicher Romane, Schuberts bewusstes oder ahnungsloses Ignorieren des parodistischen Elements dieser „natürlichen Zauberoper“ sind viel zu weit von uns entfernt, um unser Interesse zu reizen. Eine Freilicht-Aufführung in Zwingenberg, nahe Heidelberg, hat 1994 gezeigt: Das Stück lässt sich nicht mehr erzählen.

So beweist es halsbrecherischen Mut, wenn der Intendant des Würzburger Mainfrankentheaters, Hermann Schneider, eine szenische Aufführung an seinem Haus wagt. Und es gehört schon ein Kenner der Romantik wie Peter P. Pachl als Regisseur dazu, um ein solches Husarenstück in Angriff zu nehmen. Pachl verzichtet von vornherein auf das Erzählen, streicht sämtliche Dialoge, macht aus den Nummern des gut zweieinhalbstündigen Werks eine Studie über einen in Krankheit gefangenen, im Fieberwahn komponierenden, von sexuellen Begehrnissen bedrängten, in der Welt schon immer heimatlos irrenden jungen Mann.

Da gibt es auf der Drehbühne die Spielfläche der Imagination und des vom Wahn hellsichtig getrübten Blicks, umzäunt von den Zacken der Fieberkurven. Bühnenbildner Robert Pflanz zitiert Versatzstücke des Wiener Maschinentheaters und der billig bemalten Bretterwelt des Praters: Kasperltheater, Mirakelkammern, Schießbuden, Hau-den-Lukas und sogar eine mit Glitzerstoff bespannte Guillotine. Alles Schau, Täuschung, Schmiere. Nur der Protagonist, der mit unverkennbarem Schubert-Kopf in seinem Anstaltsbett im Vordergrund die medizinischen Misshandlungen mit Kanüle und Klistier erdulden muss, merkt es nicht.

Die Suche nach der idealen Geliebten – in gretchengleichem Gewande – wird zur burlesken Persiflage einer „Beziehung“, in komisch-traurigem Kontrast zu den von Ernst erfüllten Arien, die Schubert der weiblichen Hauptfigur Luitgarde geschrieben hat – eine Partie zwischen Lischen und Leonore, halb Singspiel, halb Rettungsoper. Silke Evers – vor kurzem an der Berliner Staatsoper als „Freischütz“-Ännchen erfolgreich – singt sie mit weich geformten Sopran, stößt aber in den eng geratenen Höhen an Grenzen, die nur eine Dramatische überwinden könnte.

Derweilen brütet Ritter Oswald, den Pachl mit Schubert identifiziert, über den bürgerlichen Kardinaltugenden. Erik Fenton, dessen schauspielerische Leistung an diesem Abend stark gefordert ist und sich bravourös bewährt, muss mehrfach Bekenntnisse zu Treue und unerschütterlicher Liebe ablegen, was er mit kräftigem, aber grellem und ausgefranstem Tenor auch tut. Jedes Mal stürzt er wieder in den Abgrund; am Ende, inmitten aller Geisterbahn-Scheinwelten, demaskiert er nur sein anderes Ich, den romantischen Doppelgänger, den Schubert in einem seiner unheimlichsten Lieder besungen hat.

Logik, Schlüssigkeit, Sinn sucht der Zuschauer in dieser wüsten Flut der Bilder vergebens: Er leidet mit dem armen Menschen, dem da, assistiert von seinem vom Schildknappen zu Franz von Schober mutierten Freund, die Höllenwelt der Illusionen aufgefächert wird. Ohne Lektüre des Programmhefts Christoph Blitts verliert er sich rettungslos in den Abgründen des theatralen Labyrinths. So ergreife er die Hand des Regisseurs Pachl, der ja auch ein sachkundiger Autor ist, und lasse sich durch die inneren Pfühle der Schubert’schen Seele mit ihren – damals „unaussprechlichen“ – Ausschweifungen und Sehnsüchten führen.

Das Programm enthält auch einen Aufsatz des Generalmusikdirektors: Enrico Calesso plädiert für Schuberts Jugendoper als ein Werk des musik- und geistesgeschichtlichen Übergangs, als Zeugnis neuer formaler, romantischer Strukturen. Die Lust am Unerhörten, das unbekümmerte Fortschreiten auf den Spuren Beethovens, Salieris, Cherubinis haben Forscher schon lange an dieser Oper gelobt: Ein unschätzbares Zeugnis für Schuberts Entwicklung zum Schöpfer heute unumstrittener Lieder, Symphonien, Klavier- und Kammermusik.

Nur: Muss man die ingeniöse Gärung auch anhören, auf der Bühne sehen? Letztendlich, bei allen möglichen Einwänden, bejaht sich die Frage, erlebt man, was Schubert in stürmischer Produktivität geschaffen hat: Da greifen Ensembles nach den Sternen der großen Oper, da klingt in einem wundervollen Solo des Baritons – Daniel Fiolka macht das leicht und schönstimmig, nur am Ende der Oper rutscht die Stimme vom Sitz – der ganze Liederkreis auf, da tönen in der Geisterwelt der Amazone – Karen Leiber war leider krank – die erhabenen Opern Glucks und Salieris nach. Schuberts Bläsersatz ist atmosphärisch weit fortgeschritten und klanglich experimentell.

Das Philharmonische Orchester lässt sich von Calesso durch diese Klangwelten leiten, zeigt wieder ausgezeichnete Holzbläser, findet den leichten und den edel hochfahrenden Ton. Ein wenig entschiedener phrasierende Violinen, ein wenig mehr Streicherglanz, und Schuberts jugendliche Partitur findet eine ansprechende, idiomatisch gelingende Wiedergabe. Die Komparserie des Mainfrankentheaters war in ständigem, aufmerksam absolviertem Einsatz; der Chor unter Markus Popp, ebenso darstellerisch gefordert, mühte sich um das fast aussichtslose Ziel eines homogenen Klangs.

Noch einmal: Es gehört ein fester Glaube an Schuberts theatralische Sendung dazu, im Spielplan „Des Teufels Lustschloss“ szenisch, „La Traviata“ aber konzertant anzubieten. Zu hoffen ist, dass das Würzburger Publikum, mit Neugier nicht gerade gesegnet, seine ehrgeizigen Theatermacher nicht im Stich lässt und die Fortsetzung der verdienstvollen Reihe selten gespielter romantischer Opern goutiert.

Werner Häußner

 

 

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