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WUPPERTAL: ALCINA. Premiere

23.03.2014 | KRITIKEN, Oper

Wuppertal: ALCINA   – Premiere am 23. März 2014

 Die Kassen sind leer, in Wuppertal besonders. Und mit dem einst schönen, inzwischen aber maroden Schauspielhaus, welches ohne erkennbare Zukunft vor sich hin gammelt, hat man eine wichtige Spielstätte verloren. Irgendein neues Zweckgebäude ist angedacht. Das Opernhaus wurde vor einiger Zeit aufwändig saniert. Hier drängeln sich nun alle Sparten, auch das Ballett von Pina Bausch, Wuppertals Kunst-Wahrzeichen.

  Es sind freilich keine Terminkollisionen, welche die Vorstellungszahl beim Musiktheater künftig zurückgehen lassen. Vielmehr werden Ensemble und Spielbetrieb komplett umfunktioniert. Der Japaner Toshiyuki Kamioka, viriler GMD des Sinfonieorchesters Wuppertal, und bereits in früheren Jahren häufiger im Opernhaus aktiv, steigt nun zum Opernintendanten auf. Der bisherige Oberspielleiter (und Operndirektor) Johannes Weigand wird gegangen, das gesamte Sängerteam  und viele Leute „hinter der Szene“ entlassen. Einige Sänger wie Dorothea Brandt und Thomas Laske, zu Recht vor Ort sehr beliebt, erhalten durch Wiederaufnahmen („Barbier von Sevilla“, „Hänsel und Gretel“) immerhin nochmals Auftrittsgelegenheiten. Ansonsten werden Künstler künftig lediglich stückbezogen engagiert, die meisten Premieren (und Folgevorstellungen) hat Kamioka höchstselbst inne.

 Diese Konzeption lässt nur noch einen En-Suite-Spielplan zu; zwischen den einzelnen Vorstellungen gibt es oft viel Luft. Ob das mit den Ansprüchen des Publikums harmoniert? Auf einer Pressekonferenz, welche der hier zeichnende Rezensent nicht besuchen konnte, wurde offenbar von einem Ensemblegeist der anderen Art gesprochen. Wo Not Ideen gebiert, sind Verteidigungsworte nicht weit. Immerhin: man sollte nicht gleich mit Kassandra-Rufen reagieren. Skepsis ist gleichwohl angebracht.

 Der Spielplan für 2014/2015 beruht auf einem für’s erste extremen Sicherheitsdenken, wie Kamioka einräumt. Es gibt „Tosca“, „Giovanni“, „Parsifal“, „Salome“, freilich auch eine szenische „Johannes-Passion“, weiterhin eine in Auftrag gegebene Kinderoper „Alice im Wunderland“ von Andreas N. Tarkmann, bekannt für seine Harmoniemusiken. Die beiden Wiederaufnahmen wurden bereits erwähnt. Vielleicht sollte man die nächste Saison wirklich zunächst einmal mit Zuwendung betrachten und das Publikumsverhalten abwarten. Die Wuppertaler sind freilich nicht ganz „ohne“. Als vor vielen Jahren die „Schiller-Theater“-Fusion mit Gelsenkirchen ins Leben gerufen wurde, blieben die Zuschauer ganz offensichtlich demonstrativ weg. Man hatte wohl den Mentalitätsfaktor unterschätzt, sicher auch das Wirken von Lokalstolz.

 Die kommenden Opernangebote sind im Detail manchmal durchaus attraktiv. Einige Sänger geben Rollendebüts, ihre Namen insgesamt müssen einem nicht unbedingt bekannt sein. Auch die „Sub“dirigenten Andreas Kowalewitz („Giovanni“) und Jörg Halubek (Passion) hat man erst einmal kennenzulernen. Unter den Regisseuren befinden sich einige, welche gleichzeitig für die Ausstattung zeichnen. Zu ihnen gehört Nikolaus Harnoncourts Sohn Philippe, der vor einiger Zeit in Gelsenkirchen freilich einen etwas seltsamen „Rosenkavalier“ präsentierte und in Wuppertal die Passion verantwortet. Da man der Theaterstadt Wuppertal wirklich nur alles Gute wünschen möchte, sei bei allem Vorbehaltsdenken ein kräftiges „Glück auf“ ausgesprochen.

  Die letzte Produktion mit einem demnächst nicht mehr existierenden Ensemble wird am 14, Juni Karol Szymanowskis „Krol Roger“ gelten. Gute Wahl einer Oper, die erfreulicherweise wieder im Kommen zu sein scheint. Im Folgenden geht es um Händels „Alcina“ mit der sich jetzt JOHANNES WEIGAND verabschiedete. Der Schlussbeifall für ihn darf als durchaus demonstrativ bezeichnet werden. Dass vor einiger Würdigung an die letzte Inszenierung dieser Oper in Wuppertal erinnert wird (Premiere 1981, Regie Friedrich Meyer-Oertel), ist der Tatsache geschuldet, dass die Ausstatterin HANNA JORDAN am 26. Januar in hohem Alter starb. Sie prägte das Theaterleben ihrer Heimatstadt nachhaltig. Die Bildeinfälle für „Alcina“ waren besonders hinreißend, incl. eines riesigen Deko-Elefanten, auf welchem das liebestrunkene Paar Alcina und Ruggiero auf die Szene eskortiert wurde. Als vorher ein schwarz gelackter Tautropfengteppich in die Höhe gezogen wurde und sich in eine Rüschengrotte verwandelte, war das ein Moment höchster Magie.

 Was jetzt MORITZ NITSCHE bietet, ist weit weniger üppig, nämlich eine Rundwand, deren Stoffbespannung partiell wie eine Jalousie gerafft werden kann, Durchblicke und Auftritte ermöglichend. Meist aber werden Projektionen auf den luftbewegten Stoff geworfen. Gleich zehn  Leute sorgen für schöne, farbige Bilder, deren tieferer Sinn freilich nicht immer einleuchtet. Auch mit Schattenspielen wird gearbeitet. Ist die Wand lediglich hell beleuchtet, wirken JUDITH FISCHERs Kostüme besonders gut. Vor allem die Zauberdamen Alcina und Morgana sehen mit ihren apart gebauschten Krinolinengewändern und auch den hochtoupierten Frisuren äußerst attraktiv aus. Oronte kommt gänzlich grasgrün daher, Oberto ist ein Amor-ähnliches Jüngelchen. In alledem steckt ein Gutteil Ironie, welche auch Weigands Inszenierung immer wieder prägt. Sie weiß aber auch „menschliche“ Akzente zu setzen, wenn etwa Morgana und Oronte nach ihren Eifersüchteleien peu à peu wieder zusammenfinden.

 Die Titelfigur bleibt psychologisch freilich ein wenig unterbelichtet. Dass sich Alcina, als ihr am Schluss alle Felle wegschwimmen, mit einem Pistolenschuss in den Mund ins Jenseits befördert, hätte als Konsequenz eines krassen und wechselvollen Liebeslebens stimmiger vorbereitet werden müssen. ELENA FINK, in dieser Partie ansonsten at her best, hätte alle Voraussetzungen für ein geschärftes Porträt, was sie besonders bei ihrer Geisterbeschwörung (übrigens eine extrem „moderne“ Händel-Szene) auch zu demonstrieren weiß. Die stratosphärische Tessitura ihrer Rolle bewältigt sie schwerelos, ausdrucks- und glanzvoll. DOROTHEA BRANDT (Morgana) steht ihr in nichts nach. Beide Damen wird man demnächst besonders vermissen. JOSLYN RECHTER gibt dem Ruggiero kraftvolle Umrisse bis in bestens bewältigte Sopranhöhen hinein. Beklemmend lässt sie seine bis zuletzt anhaltenden, verstörenden Gefühle für Alcina deutlich werden. Überzeugend Auch NOHAD BECKER als Bradamante; bei den Koloraturen ist freilich ein wenig Nachsicht zu üben. MARTIN JS. OHU (Melisso) ist mit seiner Stimme generell noch nicht fertig. Dafür hat CHRISTIAN STURM mit dem Oronte eine für ihn perfekt passende Rolle gefunden und wirkt mit seiner gertenschlanken Figur auch sehr bühnenattraktiv. Charmant ANNIKA BOOS als Oberto.

 Das SINFONIEORCHESTER WUPPERTAL ist mit Archiliuto, Kleinharfe, Cembali, Naturhörnern und Blockflöten angereichert und wird von BORIS BRINKMANN zu angenehm lebendigem Spiel herausgefordert. Dass nicht alles nach dem Maßstab historischer Aufführungspraxis gerät, muss nicht eigens gesagt werden.

 Christoph Zimmermann

 

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