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WÜRZBURG/ Mozartfest:ERÖFFNUNGSKONZERT – „Was heißt hier Klassik?“

27.05.2015 | Konzert/Liederabende

WÜRZBURG / Mozartfest: Eröffnungskonzert – „Was heißt hier Klassik?“ am 23.5.2015 (Werner Häußner)

 Ist es nicht eine bloß akademische Frage, wenn man den Begriff der „Klassik“ untersucht? So manchem Musikfreund wird er nicht problematisch vorkommen: „Klassik“ ist etwas Altes, das sich von Pop, Rock, Jazz, Techno, Indie oder Elektro absetzt, werden die Jüngeren definieren. Die Älteren sehen in der „Klassik“ vielleicht vertrautes Bildungsgut, herausgearbeitet in einem geschichtlich gewachsenen Kanon, der das Schöne, Gute und Erhabene vom Durchschnittlichen, Zeitbedingten, Belanglosen geschieden hat. Wer mit der Hilfe der musikalischen Begriffsbildung argumentiert, wird vielleicht die „Wiener Klassik“ Haydns, Mozarts, Beethovens von der „Vorklassik“ oder der „Romantik“ unterscheiden und trefflich diskutieren, ob etwa Beethoven noch ein Klassiker oder doch schon ein Romantiker gewesen ist.

Aber: Sind solche Begriffe noch von Belang in einer Welt, in der sich alles, auch der musikalische Geschmack, relativiert hat? In der in nicht wenigen Augen Musik sowieso ein Freizeitvergnügen ist, mit dem man keine intellektuelle Anstrengung verbinden möchte? In der die „Feuilletons“ in „Kultur und Freizeit“ umgewidmet wurden? Auch das Würzburger Mozartfest hat sich lange auf die kulinarische Verbindung erlesener Barock- und Rokoko-Interieurs mit unangefochten gängiger Musik verlassen: eine Veranstaltung, die (scheinbar) problemlose Klänge in ästhetisch ansprechendem Ambiente zum Genuss darbot.

Damit ist in der Festival-Landschaft heute kein Staat mehr zu machen. Eine Dramaturgie war gefordert, eine geistige Linie. Das hatte schon der frühere Würzburger GMD Jonathan Seers als künstlerischer Leiter des Mozartfestes in den neunziger Jahren erkannt; das führt die in der zweiten Saison amtierende Intendantin Evelyn Meining jetzt mit forschem Ehrgeiz fort. Einen „Artiste étoile“ – gemeinhin heißt so eine Person „Stargast“ – wie Renaud Capuçon zu gewinnen, wertet das Festival in der kleinen unterfränkischen Großstadt erheblich auf: Capuçon gehört – und das ist keine PR-Übertreibung – zu den weltweit erfolgreichen Geigern. Sein Spiel ist nicht nur technisch makellos, lebt nicht nur vom vollendet gerundeten Ton, sondern hat auch etwas zu sagen. Capuçons Interpretationen haben eine noble, unaufdringliche Art zu sprechen, die aus Erfahrung, inspirierter Energie und Verantwortung dem Werk gegenüber entsteht.

In den beiden Eröffnungskonzerten im Kaisersaal der Residenz Balthasar Neumanns war zu hören, wie Capuçon sich einem Komponisten widmet, der „klassische“ Schönheit in einer im Heute verankerten Tonsprache ausdrückt und dessen Werk ohne eine biografische Komponente nicht erklärbar wäre: Das für Gidon Kremer geschriebene Violinkonzert des Letten Pēteris Vasks, eine vielsätzige Rhapsodie zerstobener und rekonstruierter Formen, wirkt wie eine mit großer Ruhe beseelte Meditation über expressive Möglichkeiten abendländischer Musik.

Dass der Gesang als Urform menschlichen Musizierens eine entscheidende Rolle darin spielt, kommt Capuçon sehr entgegen: Er ist ein Magier des Cantabile, der großformatigen Phrasierung, der Intensivierung melodischer Linien. Was nicht heißt, das der erregten Komplexität der drei Kadenzen irgendetwas abginge: Der französische Violinist beseelt sein Spiel auch dort, wo andere die Pyrotechnik der Finger bemühen. Das Mahler Chamber Orchestra als Partner gibt sich im von dissonanten Schlieren durchzogenen Glas der Klangflächen, dem zerbrechlichen Porzellan der Pianissimi, den farbigen Kaleidoskopfiguren der aufgewühlten Momente ebenfalls keine Blöße. Am Ende, bevor der in kurzen Wellen zitternde Ton verklingt, nimmt es die helle Farbe der Solovioline auf: Ein Zeichen für das „Licht im Dunkel“, das Pēteris Vasks in den schweren Zeiten seines Landes und seiner persönlichen Geschichte stets in der Musik zu finden wusste?

Natürlich geht es bei einem Festival, das seinen Namen trägt, nicht ohne Mozart: Seine „Pariser“ Sinfonie (KV 297), dirigiert von Capuçon vom Pult des Konzertmeisters aus, beschwört mit ihren wohlkalkulierten Effekten den Festesglanz herauf. Mit fülligem Klang lassen die Musiker des Mahler Chamber Orchestras die Tutti explodieren, die „Raketen“ starten, die Energie der knappen, komplexen Durchführung sprühen. Das „assai“ des eröffnenden Allegro ist konsequent gelesen! Nur: Die engagierten Damen und Herren an den Pulten, von keinem Dirigenten gezügelt, vergessen den Kontrast. Wo die Musik elegant und flexibel auf den forschen Ton der Exposition antworten sollte, beharren sie auf draller Gravität. Wo sich Entspannung, Erleichterung, vielleicht sogar ein wenig Ironie einmischen sollte, verbeißen sie sich in Don-Giovanni-Dräuen. Und wo man sich im Andante-Satz einen schwebenden, aufgelichteten Klang wünschen würde, bleibt es bei handfester Frische.

So füllig-fröhlich bleibt das Orchester auch im Violinrondo C-Dur (KV 373), mit dem Capuçon Mozart seinen Tribut zollt. Der feste, kernige Ton ist nicht von Finesse geadelt, auch der Solist gewinnt dem Stück keinen Reiz ab: Er spielt nicht mit den rhetorischen Möglichkeiten. Wenn er etwa nach den Ausflügen in Mozarts lebendige Melodik wieder zum Rondo-Thema zurückkommt, nutzt er die Chance des Übergangs nicht. Es bleibt der Eindruck hochklassiger Routine.

Ähnlich wirkt Bachs a-Moll-Violinkonzert (BWV 1041): Schön, dass man dem Vollender aller später „klassisch“ gewordenen musikalischen Formen das erste Wort gegeben hat; weniger schön, dass er sich so laut, so wenig differenziert äußern musste. Die Akustik des Saals verträgt das kraftvolle Auftrumpfen erst recht nicht: Die Transparenz, die Bachs dichtes Gefüge durchhörbar machen würde, blieb auf der Strecke. Sympathisch war, dass Capuçon seinen Ton mit leichtem Vibrato und polierter Rundung von der gläsern-flachen Marotte eines retrospektiven Historismus frei hielt; sympathisch auch, dass sich das Orchester zu einem ausreichenden Bassfundament bekannte.

Zum Profil des Mozartfestes gehört, dass der „Artiste étoile“ doch mehr als ein „Stargast“ ist: Renaud Capuçon spielt nicht nur konzertante und Kammermusik und eine Uraufführung des Japaners Toshio Hosokawa. Er unterrichtet und diskutiert auch – etwa im Rahmen des „MozartLabors“, das Studenten, Musiker, Wissenschaftler und Publizisten zusammenführt. Erfahrungsraum und künstlerischer Austausch sollen sich mit neuen Hör- und Denkperspektiven verbinden. Renommierte Partner wie der Komponist Wolfgang Rihm oder der Mozartexperte Ulrich Konrad stellen den „Klassik“-Begriff auf die Probe und versuchen, ihn aus den Kategorien des ausgehenden 19. Jahrhundert zu lösen. Und ihn vom Ruch einer bloß akademischen Kategorie zu befreien. Denn schon der – im Programmheft zitierte – Johann Gottfried Herder hatte erkannt: „O das verwünschte Wort: Classisch! Dies Wort hat manches Genie unter einem Schutt von Worten vergraben.“

Das Mozartfest Würzburg dauert bis 28. Juni. Informationen: www.mozartfest.de

 

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