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WÜRZBURG: MAGNOLIENZEIT von Tjark Bernau und Antonia Tretter– Uraufführung

09.02.2018 | Theater

WÜRZBURG: MAGNOLIENZEIT von Tjark Bernau und Antonia Tretter– Uraufführung am 8.2.2018
(Werner Häußner)

Wenn nach dem Winter die Sonne wieder Kraft gewinnt und die Tage mild werden, ist die Zeit der Magnolien gekommen: Die beliebten Ziergehölze öffnen ihre weiß-rosa Blüten noch bevor ihre Blätter treiben und erfreuen die Menschen als Frühlingsboten. Für die Stadt Würzburg brachte die „Magnolienzeit“ des Jahres 1945 allerdings tausendfach Sterben und Leid. Am 16. März 1945 legte ein Angriff der britischen Royal Air Force die von Dichtern gepriesene „sonntägliche“ Stadt am Main in Schutt und Asche. Die Erinnerung an diese Nacht des Grauens prägte zwei Generationen.

Heute sind die letzten Zeugen hochbetagt, die Katastrophe des 16. März rückt fern in die Historie. Wenn zur Zeit des Angriffs, von 21.25 bis 21.42 Uhr alle Glocken Würzburgs läuten, lässt das junge Leute, die von Club zu Club ziehen, unbeeindruckt. Andere allerdings verharren immer noch stumm auf den Straßen, entzünden Lichter, gehen schweigend durch Gassen, in denen 1945 der Feuersturm mit bis zu 2.000 Grad heißen Flammen tobte. Rund 5.000 Menschen sind dem Bombardement zum Opfer gefallen; Würzburg gehörte zu den am meisten zerstörten Städten des Deutschen Reichs.

Das Mainfrankentheater Würzburg hat sich in einem Rechercheprojekt der „Magnolienzeit“ des Jahres 1945 angenommen: Regisseur Tjark Bernau und Dramaturgin Antonia Tretter entwarfen aus Dokumenten, Gesprächen mit Experten und Zeitzeugen, literarischen Erinnerungen und herumgeisternden legendären Überlieferungen eine Collage, die in einem Gewölbekeller der Alten Universität, benannt nach dem 1938 vertriebenen jüdischen Weinhändler Max Stern, seine Uraufführung erlebte.

Bernau und seinem Team ist es gelungen, den Untergang des alten Würzburg nicht zur Geschichtslektion auf dem Theater zu reduzieren. Die 90 Minuten des Abends dokumentieren nicht allein, sondern sie verdichten. Sie stellen Fakten nicht bloß dar, sondern bringen sie nahe. Und sie bleiben nicht bei den Schrecken und Leiden der Bombennacht stehen. Sie beziehen die Deportation der Würzburger Juden mit ein, erinnern an die Hungerwinter nach dem Krieg, die Verordnungen des ersten Nachkriegsbürgermeisters Gustav Pinkenburg, mit denen das Leben im „Grab am Main“ wieder erstehen, der Aufbau beginnen sollte.

„Würzburg war eine fröhliche Stadt“, verkündet einer der fünf Schauspieler. Stimmt: Franken sind lebenslustig, der Wein tut sein Übriges dazu. Aber fröhlich nicht für jeden: Nicht für die Juden, die schon vor 1933 einen scharfen Antisemitismus zu erdulden hatten. Nicht für diejenigen Katholiken, die aufmuckten und den Nazis nicht ins Konzept passten wie der Würzburger Bischof Matthias Ehrenfried. Nicht für Studenten der katholischen Verbindungen, die vor 1933 einen jahrelangen Kampf gegen die Nazis an der Uni führten. All das wird, wie die ideologischen Auseinandersetzungen, die schon Ende der zwanziger Jahre geführt wurden, kaum belichtet.

Hier aber liegen die Wurzeln des Unheils, das nach 1933 kaum mehr zu bekämpfen war und mit unheimlicher Folgerichtigkeit zum Krieg und seinen Folgen, den Bombardements der deutschen Großstädte führte. „Magnolienzeit“ hütet sich, und das macht den Abend auch so beklemmend und bewegend, die bloße Opferperspektive einzunehmen, die in Würzburg lange Zeit vorherrschte und von rechten Kreisen heute – gegen alle historische Erkenntnis – wieder mit billigen Parolen ausgegraben wird. Aber auch das andere Extrem wird nicht bedient: Die Opfer der Bombennacht waren keineswegs Täter, die zu Recht getroffen worden wären. Alle die Frauen, Männer und Kinder haben ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Verstrickungen in die geschichtlichen Ereignisse – die Bomben aber trafen unterschiedslos alle.

Die Bezüge werden vielfältig geknüpft: Banales und Bewegendes treffen aufeinander, etwa, wenn eine Rede Pinkenburgs zitiert wird und dazwischen ein Brief der Firma Siemens mitteilt, dass der zur Reparatur gegebene Staubsauger am 16. März leider „untergegangen“ sei. Oder wenn in der „fröhlichen“ Stadt der Hausrat einer jüdischen Frau versteigert wird, vom Teekännchen bis zur Leibwäsche. Das Gestapo-Protokoll, das Hannes Berg mit den schmierig-verlockenden Kommentaren eines Auktionators begleitet, wirft in seiner kalten, sachlichen Aufzählung ein Licht auf ein Schicksal, von dem wir nur mit einem Kloß im Hals ahnen können, wie es verlaufen sein mag. Helene Blechinger stürzt sich mit solcher Gier auf die Kartons, dass sie kopfüber darin verschwindet.

In aggressiv geladener Spannung verdichtet sich der Bezug, der zwischen dem geifernden Aufruf des Gauleiters nach dem Angriff (Anton Koelbl) und den vergifteten Parolen nach Art eines Björn Höcke (Bastian Beyer) allein durch den Tonfall hergestellt wird. Und wenn Maria Brendel eine Zeitzeugin zitiert, für die damals die Trauma-Therapie mit „eine links, eine rechts“ erledigt war, stellt sie sich noch einmal ein, die Trauer und Beklemmung, die selbst über den scheinbar harmlosesten Sätzen aus dieser Zeit schwebt.

Das Recherchestück vermittelt diese Trauer – auch, aber nicht nur über den Verlust einer der schönsten europäischen Städte. Vor allem aber ist es Teil einer Bewegung, die dem Vergessen Einhalt gebieten möchte. Wer aus der Geschichte nicht lernt, läuft in Gefahr, wieder in Fallen zu tappen, wie sie damals dazu geführt haben, dass Magnolien aus Ruinen blühten.

 

Weitere Aufführungen: 22., 28. Februar, 14., 17., 24. und 29. März, 25. April, 8., 17. Mai, 26. Juni, jeweils 20 Uhr. Karten: Tel. (0049) (0)931 39 08 124.

 

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