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WÜRZBUR$G: DON GIOVANNI. Wiederaufnahme

19.10.2013 | KRITIKEN, Oper

WÜRZBURG: DON GIOVANNI – Wiederaufnahme am 18.10. 2013 (Werner Häußner)

 Unsterblicher Don Giovanni. Sein Zusammenbruch ist temporär; die Dämonen können ihn zwar zerfleischen, die Bibel ihn in die Knie zwingen. Am Ende geistert er zwischen den Menschen, die sich bemühen, ihr Leben „nach“ Don Giovanni zu ordnen. François De Carpentries interessiert sich in seiner Würzburger Inszenierung von Mozarts Oper für den Mythos des „dissoluto“, des von allen Regeln, Gesetzen und Bindungen freien Libertins.

Das ist ein schlüssiger Ansatz, der sich einmal nicht in oberflächlichen Sichtweisen erschöpft. Das Programmheft hat ihn gedankenreich erläutert: Es geht nicht um eine heute längst langweilig gewordene sexuelle Ebene, um Tabubruch oder den Widerstand gegen moralische Normen des Geschlechtslebens. Es geht um Existenz und Religion, um Zeit und Geschichte, um Natur und Übernatur. Karine van Hercke macht mit ihrer Bühnengestaltung diese abstrakten Themen sinnlich: Wände mit Zeitungen tapeziert, ein riesiges Kreuz, ein Baum, der sich immer wieder wie eine Tapetentür öffnet. Sichtbar werden auch eine Uhr und eine Spirale: Ohne die Fragen nach Zeit und Ewigkeit bleibt das Don-Giovanni-Drama eindimensional.

De Carpentries nutzt dieses Setting für ein leichtfüßiges Spiel. Das „dramma giocoso“, der Komödien-Aspekt, kommt nicht zu kurz. Mozart und auch da Ponte waren nicht die Künstler, die den witzigen, grotesken, ja lächerlichen Seiten erotischer Verwicklungen kein Verständnis entgegengebracht hätten. Und so inszeniert De Carpentries luftige Szenen, ohne jedoch sein Personal durch vordergründige Spaßigkeit bösem Gelächter auszuliefern. Donna Elvira etwa, eine Zeit lang gerne als sitzengebliebenes spätes Mädchen karikiert, bleibt die verletzte Frau, die ernsthafte Gegenspielerin Giovannis – und De Carpentries betont damit auch die Höhe ihres Falls, die Schäbigkeit des Edelmanns Don Giovanni, der sie schamlos der unwürdigen Verwechslungskomödie mit Leporello ausliefert.

Merkwürdig blass bleibt in der Inszenierung das hohe Paar: Das mag daran liegen, dass in der Wiederaufnahme beide als Donna Anna besetzte Sängerinnen krank waren – und der Ersatz, Sofia Kallio aus Coburg, nach der szenischen Einweisung als dritte ihre Erkältung abbekam. So musste der Gast spielen und ein weiterer Gast am Bühnenrand singen: Eva Bernard bewältigte ihr Einspringen mit sicherer, beweglicher, aber unangenehm verfärbter Stimme.

Für Don Ottavio eine tragende Regie-Idee zu finden, ist schwer: Die Tenorpartie erschöpft sich in balsamischen Reden; der ausersehene Bräutigam Donna Annas repräsentiert die gesellschaftliche Ordnung, die freilich auf die vitale Energie Don Giovannis stets zu spät reagiert. Seine Arie „Dalla sua pace“ – in Würzburg spielt man die Wiener Fassung mit dem Duett Zerlina – Leporello – singt Joshua Whitener mit schön geführtem Tenor und so gut wie druckfrei gebildetem Legato: eine der erfreulichen Gesangsleistungen des Würzburger Abends.

Wie sich überhaupt das Würzburger Ensemble nicht verstecken muss: Entspannt und kontrolliert, problemlos in den Sprüngen und mit natürlicher Beweglichkeit gestaltet Barbara Schöller eine auch schauspielerisch überzeugende Donna Elvira. Johan F. Kirsten dreht als Leporello anfangs zu sehr auf, lässt aber dann keine mächtig-unkontrollierten Töne mehr durchgehen, macht mit gepflegtem Singen aus seinem Leporello keinen Hanswurst, sondern eine schillernde Gestalt – einen Trabanten im Widerschein der glühenden Sonne Don Giovanni. Den singt Daniel Fiolka mit locker-chevalereskem Bariton, ohne Mühe in der sogenannten Champagnerarie, die nur den Wein im Text nennt, aber diesmal so perlend, leicht und locker erklingt, als habe Mozart tatsächlich an das prickelnde Edelgetränk gedacht. Auch das „niedrige“ Paar Masetto und Zerlina ist mit Ji-Su Park und Anja Gutgesell ansprechend besetzt.

Das Philharmonische Orchester kann diesen Abend auf der Haben-Seite seiner künstlerischen Bilanz verbuchen: Gerd Müller-Lorenz mag dem einleitenden Adagio zu wenig Expression geben, mag nicht jede bedeutungsvolle Wendung ihrem Gewicht entsprechend gestalten. Aber er hält die Bewegung im Fluss, ohne zu eilen; lässt filigran formulieren, ermöglicht Transparenz und lockere Rhythmik. Seine Tempi sind schlank und gewitzt, aber nie so verhetzt, dass sie die musikalische Rhetorik Mozarts belanglos machen.

Die Finalszene stilisiert Don Giovanni zu einer Art Anti-Christ: Auf dem Friedhof lästert er leichtfertig, indem er sich an ein Kreuz stellt und den Christus-Corpus nachäfft. Der Tisch zum Essen ist gedeckt wie die Abendmahlstafel; demonstrativ bricht Don Giovanni an Jesu Stelle das Brot. Doch statt der Apostel versammeln sich dämonisch maskierte Kuttenträger am Tisch, in ihrer Mitte der Komtur (mit machtvoll-ausgeglichenem Bass: Marek Gasztecki). Die Bibliothek der Bücher, die Leporellos Register enthalten, hat ausgedient; Donna Elvira reißt aus einem die Seiten aus, ist sich schmerzerfüllt bewusst, dass Giovannis Weg zu Ende sein muss.

Ein einziges Buch hat der Komtur in der Hand, und als Don Giovanni auf dieses, wohl die Bibel, greift, knickt er ein. Die Bräute, die in weißen Kleidern auf die Bühne quellen, tun mit blutigen Umarmungen das Werk der Erynnien. So ist das Ende dessen, der Böses tut. De Caprentries Inszenierung in Würzburg hat das Verdienst, zu zeigen, worin dieses „Böse“ besteht: Don Giovanni stirbt nicht, weil er den Frauen – gegen eine herrschende gesellschaftliche Moral – erotisches Vergnügen gewährt hat. Sondern sein Ende naht, als er vergisst, dass der Mensch ein geschichtliches Wesen ist, das gut daran tut, die Mächte des Ewigen und Göttlichen nicht herauszufordern.

 

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