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WIESBADEN/ Staatstheater: OTELLO – ecco un artista!

02.05.2018 | Oper

Wiesbaden/ Staatstheater: Otello – ecco un artista!

Besuchte Vorstellung: 01. Mai 2018

Nach der ärgerlichen und musikalisch unfertig wirkenden Wiederaufnahme im Februar, gab es nun zum Auftakt der Internationalen Maifestspiele Gelegenheit, den derzeit besten Interpreten der fordernden Titelpartie zu erleben: Gregory Kunde!

Die Otello-Inszenierung von Intendant Uwe Eric Laufenberg erzählt brav und nicht eben einfallsreich die Handlung nach, verortet in der Neuzeit. Dazu baute Gisbert Jäkel eine Bühne mit pompösen weißen Säulen, die als Spielfäche in jedem Akt unterschiedlich variiert angeordnet werden. Zum Glück wurde in dieser Vorstellung auf Laufenbergs selbstverliebten Auftakt-Gag, dass der Sänger des Jagos aus dem Publikum vor dem ersten Ton der Oper aufspringt und aus Shakespeares Vorlage rezitiert, verzichtet.

Als wirklich spektakuläre Besetzung war Gregory Kunde als Otello zu erleben. Die Entwicklug des Ausnahmesängers ist eine Besonderheit. Bis weit in seine 50ziger Lebensjahre war er ganz den Partien des Belcanto-Repertoires verpflichtet. Seine Stimme konnte sich daher langsam und völlig natürlich entwickeln. Ein Vorbild für alle ungeduldigen Sänger. Kundes Entwicklung zeigt, dass eine Stimme langsam reifen muss. Nun mit 64 Jahren ist Kunde auf der Höhe seiner stimmlichen Schaffenskraft. In den letzten Jahren erorberte er sich nahezu alle dramatischen Partien der italienischen und französischen Opernliteratur. Verdis Otello war eine der ersten Partien, die er nach seinem Fachwechsel sang. Und bereits im raumgreifend geschmetterten „Esultate“ demonstrierte er sein überragendes Können. Hier war er sofort präsent: der stolze Feldherr! Mit einer Stimme und technischen Finesse, wie es in diesem Fach derzeit keinen vergleichbaren Sänger gibt. Im Liebesduett zeigte er neben einem makellosen Legato, herrliche Mezzavoce-Effekte, Diminuendi und phrasierte dabei immer ausladend großzügig. Leider ohne adäquates weibliches Pendant an seiner Seite! Der zweite Akt ist für jeden Otello-Sänger die Stunde der Wahrheit. Hier verlangt Verdi dem Interpreten alles ab. Nicht so bei Gregory Kunde. Stets agierte er stimmlich und darstellerisch staunenswert souverän. Keine Schwäche, keine Unpässlichkeit, es dominierte schlicht seine Meisterschaft in der hinreißenden Bewältigung jedweder Anforderung. Im Rache-Duett konnte er seine Stimmkraft außerordentlich steigern und begeisterte mit schmetternden, mühelos ausgesungenen Höhen! Ecco il leone! Im dritten Akt kamen dann vielerlei Charakterfarben hinzu, gipfelnd in einem unvergesslich tief empfundenen „Dio mi potevi“. Und natürlich kann Kunde das fast immer unterschlagene hohe C vor seinem Monolog locker aussingen. Im vierten Akt schließlich die ganze Gebrochenheit und Verzweiflung in einem grenzenlosen Kaleidoskop tiefster Gefühle! Gregory Kunde hat sich in der Geschichte der Otello-Interpretation einen herausragenden, bleibenden Platz ersungen. Seinen außerordenlichen Rang seiner künstlerischen Kompetenz belegte er auch hier in seinem eindrucksvollen Gastspiel. Dieser Abend war allein durch ihn ein besonderes und absolut unvergessliches Erlebnis!

Als Desdemona war wieder Olesya Golovneva zu hören. Wie schon im Februar, so war auch in dieser Vorstellung befremdlich, dass sie ihre Partie fast durchgängig im Forte ansiedelte.  Davon profitierten die dramatischen Anforderungen im dritten Akt. Hingegen blieben nahezu alle Chancen lyrische Phrasen zu entwickeln, ungenutzt. Erwartbar dann auch die recht deutlichen Schwierigkeiten im „Ave Maria“ des vierten Aktes. Hier litt die Intonation und immer wieder gab es in der Tiefe aus dem Fokus geratene Töne. Alexsei Isaev als Jago war in seiner Charakterisierung gegenüber der Wiederaufnahme wie ausgewechselt. Seiner Stimme fehlt der Biß und die letztliche Durchschlagskraft. Aber endlich sang er dafür mit Textbezug und vielen Akzenten. Darstellerisch agierte er immer noch viel zu blass, was auch durch sein kaum vorhandenes Mienenspiel verursacht war.  Besonders erfreulich Youn-Doo Park als herrlich sonorer Lodovico. Ärgerlich ist der inzwischen schlampige Umgang mit der Artikulation bei Aron Cawley als Cassio. Laute Töne im sprachlichen Esperanto-Stil…..  das ist zu wenig!

Jugendchor, Chor und Extrachor des Staastheaters wurden von Albert Horne vorbereitet. Der Chor wirktein der Sturmszene etwas unsicher, lief aber dann zu guter Form auf.

Eine Bürde für den Abend war die musikalische Leitung! Daniela Musca wirkte zwar am Pult des Hessischen Staatsorchesters sicherer als in der Wiederaufnahme im Februar. Aber sie agierte wie eine Verkehrspolizistin, sorgte lediglich für einen (nicht immer) unfallfreien Ablauf und konzentrierte sich allein darauf, die Sänger nicht zu übertönen. Von ihr gingen keinerlei gestalterische Impulse aus. Eine Interpretation blieb sie schuldig. Zwischem dem Premierendirigat und ihrer Lesart lagen Welten! Brav und geradezu mit provozierender Einfallslosigkeit buchstabierte sie sich durch dieses Meisterwerk. Dazu seltsame Tempi, so z.B. das völlig verhetzte Liebesmotiv oder die entsetzlich ausdruckslosen Eröffnungsakkorde von Otellos „Niun mi tema“! Ein Jammer und schwer zu ertragen! Das unterforderte Orchester irritierte wieder mit einigen Schmissen. Hängende Becken und Schlagbecken fehlten auch hier wieder beim Auftakt, ebenso der Kanoneneinsatz. Obwohl es die Maifestspiele sind, gab es im Schlagzeug wieder nur die „Sparbesetzung“ mit einem Spieler an der großen Trommel mit aufgeschnalltem Becken. In der so wichtigen Sturmszene war kaum etwas davon zu hören. Hingegen viel zu viel Lärm von der Tontechnik. Und manche Schlagzeug-Einsätze, etwa in Jagos Trinklied oder im Racheduett gingen wieder daneben. Au weiah!

Hinzu gab es so manches „Schwimmfest“, so im großen Ensemble des 3. Aktes, in welchem Chor und Orchester nicht zusammen waren.

Immerhin erfreuten die Holzbläser durch gelungene Phrasierungen, ebenso Solo-Cello nebst Celli-Gruppe im Liebesduett.

Große Begeisterung für einen herausragenden Sänger, Gregory Kunde!

Dirk Schauß

 

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