Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIESBADEN/ Kurhaus: „IGOR LEVIT-DEUTSCHE KAMMER- PHILHARMONIE BREMEN-PAAVO JÄRVI“

06.12.2019 | Konzert/Liederabende


Igor Levit, Paavo Järvi. Copyright: AKM

Wiesbaden: „IGOR LEVIT-DEUTSCHE KAMMER- PHILHARMONIE BREMEN-PAAVO JÄRVI“ Konzert im Kurhaus 05.12.2019

Als Spätlese im Rahmen des „Rheingau-Musik-Festivals 2019“ gab sich im Ambiente des F. von Thiersch-Saals im Kurhaus der Pianist Igor Levit begleitet von der Deutschen Kammer-Philharmonie Bremen unter der Leitung von Paavo Järvi die Ehre.

Der inzwischen auf den Bergmassiven des pianistischen Mount Everest angekommene Klavier-Virtuose hatte das „Erste Klavierkonzert“ von Johannes Brahms im Gepäck, also keine gängige Kost für an Chopin-Beethoven etc. gewöhnte Ohren. Nichts dessen zum Trotz ich freute mich besonders auf den seltener gespielten Brahms. Kaum ein anderes Werk des Komponisten hatte eine so lange andauernde und verwickelte Entstehungsgeschichte wie sein 1. Klavierkonzert. Im Jahre 1854 zunächst als Sonate konzipiert gelangte es als Konzert nach diversen Umarbeitungen am 22. Januar 1859 in Hannover zur UA.

Von geradezu titanischen Ausmaßen erscheint der erste Satz, allein bedingt durch die mit 90 Takten ausgeweitete Orchester-Exposition zum wild auffahrenden Einleitungsthema mit seinen Intervallsprüngen und Trillerkaskaden. Brahms schrieb diese Art Trauermusik nach der Nachricht des Selbstmordversuchs seines Freundes Robert Schumann. Nach dem Gedanken der wehklagenden hellen und dunklen Streicher und der überleitenden Holzbläser erhält das Solo-Instrument seinen ersten Einsatz. Nach gemilderten Seitenthemen des Orchesters führte das Klavier im Maestoso ein versonnenes Selbstgespräch. In ungemeiner Natürlichkeit eröffnete Igor Levit sein Spiel, geprägt von tiefer Brahms-Liebe in warme Klangfarben voller Poesie getaucht. Der Notentext schien für ihn, den kritischen Denker höchstes Gut zu sein, ohne Forcierung, locker musizierte Levit die Dynamik der Satzfolge aus und hatte dennoch im großen Raum das Ausdrucksspiels jede Menge überraschender Effekte bereit. Irritierend für mich völlig neu und ebenso etwas gewöhnungsbedürftig die akribische Analyse des Künstlers, ich erlebte einen Brahms quasi auf dem Sezernier-Tisch präsentiert. In dennoch  zuweilen ungestümer Frische, handwerklich jedes Zweifels erhaben, konzeptionell  legte der versierte Pianist in gestisch-mimischer Optik sein enormes musikalisches Spektrum dar.

Gleich einem Nachdenken über die Musik, ein Eintauchen in die Strukturen, in den Pathos welche diese Komposition inne hält und sich in Spannungsbögen offeriert begleitete Paavo Järvi mit der klangvoll aufspielenden Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und stand dem Pianisten verlässlich und akkurat zur Seite. Jedoch klangen die Effekte der Piani-Forte-Dimensionen sowie die dilatablen Tempi des Dirigenten in meinen Ohren recht seltsam.

Mit feinem Gespür für lyrisch-melancholische Zwischentöne zeichnete Igor Levit das Adagio  sein Spiel glich einer Synthese aus Klarheit, romantischem Schmelz, herrlichem Legato, präziser abgetönter Tastatur-Meditation.

Empfindungsreich in pianistischer Brillanz durchdrang der Virtuose die thematischen Stimmungen und strukturellen Winkel des Rondos. Wunderschön gelangen die fugierten Varianten zwischen Klavier und Horn sowie berückende wie gleichsam spektakuläre Momente in technisch-kühner Dynamik. Spannungsreich erklang die kompositorische Obligation zwischen Piano und Orchester und offenbarte sich im finalen Klangrausch. Nach der kurzen Klavier-Kadenz verklang das Werk im herrlichen Dur-Ausklang.

Wogen der Begeisterung schlugen dem  Künstler entgegen, welcher sich mit „Pretenderness“ (Chilly Gonzales) sehr elegisch präsentiert und vom Blatt gespielt bedankte.

Ein Sprung ins 18. Jahrhundert erfolgte nach der Pause und die DKPB brachte die „Symphonie Nr. 103“ von Joseph Haydn zu Gehör, riss mich aus meiner noch aller Einwände zum Trotz schwelgerischen Brahms-Euphorie. Gewiss traten in diesem Werk „mit dem Trommelwirbel“ alle stilistischen Vorzüge des Komponisten in edelster Verbindung zutage, doch hielt sich meine Begeisterung, ich gestehe verschämt es ein, merklich in Grenzen oder lag es lediglich an der Kuriosität der Programmgestaltung?

Der Paukenwirbel leitete weihevoll das Adagio ein, vortrefflich entfaltete das famos aufspielende Orchester unter Paavo Järvis Leitung seine instrumentalen Vorzüge im Allegro.

In würdevoller Eleganz und geschmeidiger Spielfreude spiegelten die Instrumentalisten die Themen von anmutiger Heiterkeit, den zopfigen Humor des Tonschöpfers wider und begegneten trefflich den musikalischen Einfällen voll Herzlichkeit, Schalk, Grazie in beglückender Verschmelzung und hoher Musikalität.

Die herzliche Zustimmung des Publikums wurde von den „Bremern“ als Dank mit dem 1. Satz aus Beethovens „Vierter Symphonie“ quittiert.

Gerhard Hoffmann

 

Diese Seite drucken