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WIESBADEN/ Kurhaus: GEWANDHAUSORCHESTER LEIPZIG – ANDRIS NELSONS mit Bruckners „Achter“

23.08.2019 | Konzert/Liederabende

Wiesbaden / Kurhaus: „GEWANDHAUS ORCHESTER LEIPZIG – ANDRIS NELSONS“  –  22.08.2019

Eines der traditionsreichsten deutschen Orchester das Gewandhaus Orchester Leipzig unter der Stabführung seines Chefdirigenten Andris Nelsons gastierte im herrlichen Kurhaus-Jugendstil-Konzertsaal und bescherte dem „Rheingau-Musik-Festival 2019“ einen weiteren Konzert-Höhepunkt.

Da gab es kein Leipziger Allerlei, weit gefehlt, der ehrwürdige Klangkörper servierte lukullische Hörgenüsse quasi auf dem Silbertablett Anton Bruckners „Achte Symphonie“.

Andris Nelsons seit 2018 im Amt des 21. Gewandhaus-Kapellmeisters des legendären Gewandhaus Orchesters Leipzig brachte Bruckners Alterswerk auf elitäre Weise zu Gehör, dass es einem schier den Atem verschlug. Es erklang die 1. Fassung aus den Entstehungs-Jahren 1884-87.

Im dunklen Schatten des Violinen-Tremolos, den dumpf tönenden Hörnern erhob sich das  Allegro moderato, drohend regten sich die tiefen Streicher, in finsterer Wucht erklang der klagende Quinten-Ruf der Klarinette zum Hauptmotiv zu den Schluchzern der Holzbläser vereint im Fortissimo der Trompeten kündete sich die Unentrinnbarkeit des Schicksals an.

Andris Nelsons verband mit dem hervorragend aufspielenden Gewandhaus-Orchester strömende Gesänge aus dem zweiteiligen Anhang-Rhythmus mit den übrigen Instrumenten zu sekundärer Gestaltung des angstvoll-unheilvollen Bebens dieses großartigen sinfonischen Aufbaus Bruckners. Spannungsvoll verband der versierte Dirigent verklingende brechende Crescendi in weichem Wechsel zu tönenden Skulpturen der prächtigen Orchester-Tutti. Nun muss ich gestehen, dass mir derartige Tongebungen in der „Achten“ etwas befremdlich erschienen, mich jedoch zunehmend in ihren Bann zogen ja regelrecht begeisterten.

Konträr zum übermächtigen Schicksalsmotiv des ersten Satzes antwortet Bruckner im Scherzo schier mit Querköpfigkeit und Träumerei – der Komponist nannte diesen zweiten Satz gar selbst: Der deutsche Michel. In aufreizender Einfalt ertönten in Instrumenten Verlockungen, es polterte, rieselte, flötete und zirpte, aus dem Michel wurde Michael der Erzengel zu choralartigen Weisen. Zarte Geigen, schmelzende Hornweisen, wiegende Klarinetten und die glitzernde Harfe „entführten“ den Michel aufs Land zu instrumentalem Trio, doch unheilvoll eigensinnig klopfend meldete sich in dunklen Bässen das Schicksal erneut zurück.

In schwebenden Synkopen der Streicher wurde das Adagio eingeleitet, man glaubte ein Seraph war vom Himmel herab gestiegen, dem man sich in verklärter Weise im weiteren Verlauf dieses wundervollen Satzes immer näher wähnte. Dieses herrliche Adagio gehört mit Sicherheit zu den schönsten Melodien welche der große Meister hervorbrachte und zu den eindrucksvollsten der gesamten Musikliteratur gehört. Kein anderes Bruckner-Thema demonstriert derart klar und betörend die Aufbauphase musikalischer Gedanken, in bezwingender Konstruktion der sich immer mehr in Verzückung steigernder Instrumente, gipfelnd im rauschhaften Fanfarenton der Blechbläser. Virtuos verknüpfte Nelsons in zwei Segmenten den Orchesterklang mittels diaphaner Register Bratschen und Celli mit Solo-Passagen der Holzbläser zu leichtgewichtigen Girlanden individueller Klang-Dimensionen. Ein Adagio von knapp 30 Minuten? In derartig einmalig akustischer Perspektive hätte es aus meiner Sicht eine Stunde dauern können.

Gleich einer Krönung des Werkes, als überragender Gipfel der instrumentalen Gebirgskette erklang das Finale der vierte Satz vom majestätischen akkuraten Choral der brillanten Blechbläser eröffnet. Ahnte der Tondichter, dass es sein letztes sein würde? Mit donnernden Cambiata-Quarts rückten die Streicher heran, ein Sturmwind des Schicksals forderte Entscheidung, Ergebung und Abwehr zugleich, Hörner, Tuben, Posaunen bliesen zum Choral- Schlachtgesang unwiderstehlich, selbstvertrauend. Andris Nelsons bündelte gleich einem Kosmos des Lebens, in einer Art Reprise alle Kräfte des gesamten Orchester-Apparates zum Kondensat aller Themen, Motive, Rhythmen in machtvollen Gebärden zu gewaltig beschwörender Coda. Der sensible Dirigent punktete nicht nur mit luxuriös nuancierter Konsonanz, nein seine Bruckner-Interpretation schlug vom ersten Takt an durch sein unwiderstehliches Tempo, seine intellektuelle Fokussierung und die sorgfältige musikalische Profilierung in seinen Bann.

Teile eines undisziplinierten Publikums schienen von Inhalt und Größe des grandiosen Werkes mental überfordert, doch dessen Großteil würdigte die Sternstunde eines unvergesslichen Konzertabends und bedachte die Leipziger Gäste und Nelsons mit frenetischer Begeisterung.

Ich werde mir das erneute Gastspiel in derselben Formation im Festspielhaus Baden-Baden am 03. Juli 2020 keinesfalls entgehen lassen.

Gerhard Hoffmann

 

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