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Wiener Festwochen: PLAYING CARDS 1: SPADES

11.06.2013 | Theater

Wiener Festwochen/ Messehalle D:
PLAYING CARDS 1: SPADES von Robert Lepage
PRODUKTION Ex Machina, Quebec, KOPRODUKTION Wiener Festwochen u.a.
Premiere: 11. Juni 2013

Dem Wiener Publikum muss man nicht erzählen, wer Robert Lepage ist – das wusste man hier schon lange, bevor der Met-„Ring“ ihn zum Gesprächsthema aller Opernfreunde machte. Schon in den neunziger Jahren hat man den kanadischen Theatermacher und seine eingeschworenen Schauspieler mit ihrem „Hiroshima“-Projekt bewundert, und in den letzten Jahren war er mit seinem in Quebec beheimateten Ensemble EX MACHINA regelmäßig bei den Festwochen zu Gast. So auch heuer – wieder mit einem Virtuosenstück, das jeden begeistern muss, der einfach auch mal zusehen will, wie Theater „gemacht“ wird – und was man damit machen kann, wenn man es kann.

Lepage „zaubert“ üblicherweise seine Stücke selbst (wenn ihn nicht jemand so herausfordert wie Richard Wagner), und „Playing Cards 1: SPADES“ (zu Deutsch: Karten spielen 1: PIK) ist der erste Teil eines Großprojekts, das sich durch die vier Farben der Karten natürlich zu einem Quartett finden wird. Erster und einziger Einwand – inhaltlich ist man von früheren Lepage-Produktionen ungleich mehr gepackt worden als diesmal, wo zwar alles, was er auf die Bühne bringt, in seinem Zusammenhang inhaltlich „stimmt“, aber im Grunde nicht die große Spannung erreicht. Dennoch – dass es zweieinhalb Stunden hochgezüchtetes Theater katexochen sind, die man nicht missen wollte, muss man nicht betonen.

Es fängt so richtig an – zum Thema Spiel, Glücksspiel, gibt es den Ort, der aus nichts anderem besteht, und der heißt Las Vegas. Und wer je dort war, hat neben den abenteuerlichen Luxushotels auch die zahllosen Heiratskapellen gesehen, in denen am Fließband geheiratet wird, und die Elvis-Kopien stehen auch an jeder Ecke. Ein „Elvis“ traut also zu Beginn ein eher unbedarft wirkenden französisches Paar – und man hat einmal zwei Protagonisten des Spiels. Dann springt die Handlung zum Personal des Luxushotels, und bei den Stubenmädchen und Boys spricht man Spanisch, die Franzosen unter sich natürlich Französisch, die Lingua Franca ist in Vegas begreiflicherweise Englisch – aber keine Angst, Übersetzungen laufen allerorten, das ist wahrlich kein Problem.

Eine französische Geschäftsfrau reist zu einer Konferenz über Fernsehrechte an, wird am Zoll geärgert. Soldaten aus aller Welt (in diesem Fall ein Spanier und ein Däne) sind in den USA, um in Terrorbekämpfung ausgebildet (und von ihren Ausbildnern schikaniert und selbst terrorisiert) zu werden – und außerdem steht, man schreibt 2003, der Irak-Krieg vor der Tür… Schließlich lernt man den Briten Mark kennen, die nachdrücklichste Figur des Spiels – dem Spiel nämlich verfallen, dagegen ankämpfend, von einem Kredithai gehetzt und irgendwann der Verzweiflung anheim fallend. Man erlebt auch, dass das französische Pärchen von einem Wüstling namens Dick, der wohl kein Geringerer als der Teufel (!) ist, außer Gefecht gesetzt und missbraucht wird, man erfährt von der (vermeintlichen) Krankheit des Stubenmädchens, das natürlich illegal im Lande ist und nicht ins Krankenhaus gehen kann, und irgendwo am Rande schlendert ein Indianer (?) durch die Wüste und vollzieht seltsame Rituale.

Die fehlen auch nicht, wenn der dänische Soldat ausrastet, sich in die Rolle eines heroischen Vorfahren hineinträumt, der schon als Kreuzritter gegen die Moslems gekämpft hat – und wenn er dann von einer Nutte ermordet wird und unser unglücklicher Brite splitterfasernackt in der Wüste den Tod sucht, dann macht das Handlungschaos nach und nach weniger Sinn, als man es sonst bei Lepage gewöhnt ist. Da ist dann vieles – auch mit seinem Schielen in Richtung Metaphysik – ein bisschen affektiert.

Aber die Machart! Vergiß, was Du siehst, und schau zu! Jean Hazel hat eine Bühne gebaut, die ein Wunder ist, ein riesiger hölzerner Rundbau, der in der Mitte des Raumes steht, von vier Zuschauertribünen umgeben. Diese Bühne ist nicht hoch, aber sie hat ein Innenleben, das alles Nötige herausklappen kann, Türen, Räume, ein Swimmingpool, eine Bar, Hotelzimmer, einen Spielsaal, die Wüste (auf dem drehbaren äußeren Rand, wo man wandern und wandern kann, dass es einfach existenziell ist).

Jean Hazel hat hier Außerordentliches geschaffen, wobei die „Abzugshaube“ oben über der Bühne noch Platz für sehr viel Rauchspiele lässt und sich die Produktion einen „Wind-Künstler“ leistet, den man wahrlich braucht. Nein, man glaubt es nicht – das ist eine scheinbar leere Bühnenfläche, aber die Maschinen hat man, wie es Goethe so richtig fordert, nicht geschont. Die Logistik, dies am Laufen zu halten, kann nicht ein Werk des Computers sein: Kurz, man sollte auch noch den / die Inspizienten des Abends bewundern.

Und natürlich Robert Lepage, dem die Virtuosität des Theaters so viel Spaß macht, wenngleich ihm offenbar viel an seinen (überfrachteten und zerfaserten) Geschichten liegt: Er braucht Dutzende und Aberdutzende (laut Pressemeldung gezählte 52) Personen, um alles zu zeigen, und am Ende verbeugen sich sechs Darsteller, zwei Damen, vier Herren: Nuria Garcia (vom Stubenmädchen bis zur tödlichen Nutte) und Sophie Martin (von der souveränen Geschäftsfrau bis zur unbedarften frisch Vermählten) sowie Tony Guilfoyle, der u.a. als der verzweifelte Brite zwischen Spielsucht und panischer Geldnot die stärkste Leistung liefert, der Deutsche Martin Haberstroh, der u.a. den ausgerasteten dänischen Soldaten spielt, Sylvio Arriola und Roberto Mori – und jeder von ihnen verkleidet sich ununterbrochen und ist sofort wieder als jemand anderer da, oft nicht zu erkennen, was nicht nur darstellerische Meisterschaft beweist, sondern auch das Können eines Teams hinter (bzw. unter!) der Bühne, das diese Verwandlungen vollzieht.

Soll man Lepage wünschen, dass ihm für die nächsten drei Teile inhaltlich etwas mehr einfällt? Schon. Denn die ganze Freude an der Machart (und die Bewunderung dafür) ist ja nicht allein seligmachend. Das Publikum jedenfalls hat den sechs Personen auf der Bühne, die vielleicht keinen Autor, aber zweifellos einen Regisseur gefunden haben, dankbar zugejubelt.

Renate Wagner

P.S. Im Gegensatz zum Vorjahr, wo Ariane Mnouchkine auch in der „Messe“ gastierte, ist es diesmal nicht die Halle A, sondern die Halle D. Das bedeutet, nicht bei „Messe“, sondern eine Station weiter in „Krieau“ auszusteigen, sonst hat man einen Fußweg von einem runden Kilometer zurück zu legen, und das muss ja nicht immer sein. Bei der Haltestelle Krieau liegt die fragliche Halle dann direkt vor der Nase.

 

 

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