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WIENER FESTWOCHEN / MuseumsQuartier: OREST IN MOSSUL

06.06.2019 | KRITIKEN, Theater


Fotos: Michiel Devijver / Wiener Festwochen

WIENER FESTWOCHEN / MuseumsQuartier:
OREST IN MOSSUL Milo Rau nach Aischylos
Gastspiel des NTGent
Premiere in Wien: 6. Juni 2019

Was Martin Kusej für das Burgtheater ankündigt, in Gent findet es bereits statt – das Multi-Kulti vielsprachige Begegnungstheater. Der 42jährige Schweizer Theatermacher Milo Rau, derzeit Intendant des flandrischen NT Gent in Belgien, liefert mit seinem „Orest in Mossul“ geradezu ein Paradebeispiel. Auch für seine Forderung übrigens: „Die wörtliche Adaption von Klassikern auf der Bühne ist verboten.“ (Auch Kusejs Burgtheater-Spielplan wimmelt von „Überschreibungen“ der Originale durch Regisseure.) Was einst die „Orestie“ des Aischylos war, ist hier ein roter Faden (oder eine Wäscheleine?), wo man seine Botschaft aufhängen kann…

Das wird, zugegeben, sehr geschickt gemacht, auf einer Bühne, die von einer riesigen Videowand beherrscht wird (was die Echtmenschen ganz klein aussehen lässt): Hier arbeitet der Regisseur auf verschiedenen Ebenen. Die irakischen Beteiligten des Projekts erzählen von ihren privaten Schicksalen, die niederländisch sprechenden Schauspieler berichten, was sie während ihres Proben- und Filmaufenthalts im Irak erlebt haben, da gibt es ein paar Brocken von Aischylos-Szenen – und im übrigen ist es ja doch eine Dokumentation geworden. Nur dass man sie, liefe sie auf arte, nicht per Knopfdruck abdrehen kann.

Was im Irak passiert ist, soll mittels der „Orestie“ (die bekanntlich ein besonders blutiges Stück ist) gnadenlos präsent gemacht werden, gewissermaßen „live“ unter die Haut gehen – wenn es auch vom Video kommt, wie Agamemnon seine Tochter Iphigenie eigenhändig erwürgt und man ihr gefühlte Minuten lang zusehen muss (oder wegsieht), wie sie sich erstickend windet…

Mit dieser Bluttat begann es, und eine folgt bekanntlich auf die andere: Klytämnestra ermordet den Gatten (und Kassandra, die er sich als Betthäschen aus Troja mitgebracht hat, gleich dazu) – nach einem ziemlich quälenden Familien-Essen voll falscher Höflichkeit und offener Gemeinheit. Dann fühlt sich Orest verpflichtet, die Mutter und deren zweiten Gatten zu ermorden, und die Spirale der Gewalt (kennt man sie nicht aus den Blutrache-Ritualen vieler Clans?) würde nie enden, wenn bei Aischylos nicht die Eryinnien, die Orest folgen, von einem Athenischen Volk außer Kraft gesetzt würden, das Orest frei spricht…

Sein Argument, er sei schuldlos, all die Folge von Blut und Terror gehe auf die Götter zurück, würden wir nicht akzeptieren, wenn nicht die Kämpfer des IS ihre Gräueltaten mit dem Islam rechtfertigten. Und da koppelt Milo Rau nun das aktuelle Geschehen im Irak mit dem des Stücks zusammen, wenn er am Ende „echte“ irakische Bürger diskutieren lässt, was mit den nun gefangenen IS-Kämpfern geschehen soll: rachevoller Tod oder Verzeihung? Es ist interessant, dass sich die Befragten zu weder / noch entschließen können…

Hier ist der Dokumentationscharakter sehr stark, der auch die langen Filmsequenzen bestimmt, die das Team während seines Irak-Aufenthalts gedreht hat: Man fährt gefühlte Stunden lang (der Abend ist nur eindreiviertel Stunden lang…) durch das grauenvoll zerstörte Mossul, das hier für das zerstörte Troja steht. Rau mixt Hinrichtungsszenen (man könnte darauf verzichten, weiß aber, dass sie einen realen Hintergrund haben) mit heimischen Musikern, die in den Trümmern sitzen und musizieren. Er lässt von der einstigen Schönheit und Macht der Stadt berichten, von der die Gäste nichts, aber schon gar nichts finden, als sie sich auf die Suche nach dem legendären antiken Ninive begeben… (Der Darsteller des Agamemnon erzählt in einer „privaten“ Passage am Beginn, wie sehr ihn Cerams „Götter, Gräber und Gelehrte“ in der Jugend beeindruckt hat. Wen nicht?)

Gerade zwei der Darsteller stammen aus dem Irak, die schöne Kassandra, der schöne Pylades (der Wert, der auf die homosexuelle Beziehung zwischen Orest – einem britischen Darsteller – und Pylades gelegt wird, wirkt allerdings unnötig provokant: Man weiß, dass dergleichen im Irak das Leben kosten kann, warum muss man dann darauf bestehen, dass sich die Männer in der Öffentlichkeit küssen?). Die anderen sind Darsteller, die niederländisch sprechen, und dergleichen macht solche Abende für ein Publikum sehr anstrengend. Da man ja im allgemeinen weder des Arabischen noch des Niederländischen mächtig ist (und der Brite nuschelte so unverantwortlich leise, dass man ihn auch nicht verstand), hängt man ja doch die meiste Zeit an der Übersetzung. Und obwohl man vieles (ausgespielte Gewalt) eigentlich gar nicht sehen möchte, verdienten es doch die Darsteller, dass man ihnen zusieht…

Obwohl letzten Endes hier der Dialog zwischen Video und Echtzeit auf einer Bühne vor Publikum stattfindet, spielt Theater als solches nur eine sekundäre Rolle, erlebt man Aischylos und die Tragödie des Irak mit einiger Gewaltsamkeit zusammen geschweißt. Fraglos geht es weit weniger um einen Theaterabend als um den Vorwand für eine politische Lehrstunde. Diese wurde vom nicht vollzählig erschienenen Wiener Publikum mit großem Beifall angenommen.

Renate Wagner

 

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